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BYND

Konstantin Arnold

HIERZULANDE III

HIERZULANDE III

Auf dem Weg zum Flughafen hatte ichs überhaupt nicht mehr eilig. Mir war egal, ob wir den Flug verpassen und was der Typ auf dem Karren mit dem Pferd vor uns wieder trieb. Es war der gleiche Typ vom letzten Mal oder es war ein anderer. Der Flug nach Sharm el-Sheik war eh verspätet und selbst dann, als er losging, wurde noch in aller Ruhe gebetet und der Pilot sagte, dass wir in einer knappen Stunde in Sharm el-Sheik sind, aber nur so Gott will. Wir konnten den Sinai von oben sehen und ich versuchte mir einzureden, dass wir auf die Sinai-Halbinsel flogen und nicht in ein Ressort nach Sharm el-Sheik. Schon gar nicht nach Sharm, wie es vielen nennen. Ägypten war eigentlich auch nie was für mich, vor allem das Rote Meer, Pauschalurlaub, Reisebüros, die Sehnsucht versprechen und Saufen am Strand. Es gibt genau drei Orte in Ägypten, wo man definitiv nicht in Ägypten ist. Zwei davon haben wir gesehen. Das Rote Meer ist aber erst einmal sehr blau. Das liegt am Gelb. Tagsüber fragte man sich und erst abends, wenn die Straße von Titan Rot ist, weiß man warum. Für viele ist das Rote Meer nicht die bedeutendste Schifffahrtsroute der Welt, kein Ort, wo Zugvögel halten auf ihrem Weg nach noch weiter Süden. Aber der Sinai fällt hier ins Meer. Nirgendwo sind sich Trockenheit und Nässe so nah. Moses hat hier irgendwo das Meer geteilt, als man Ebbe und Flut noch nicht kannte. Einfache Fischer können heute noch auf den Riffen über das Wasser gehen, aber es gibt Medikamente für Leute die Götter in brennenden Dornbüschen sehen. Es ist Jordaniens Zugang zum Meer und Israels größte Handelsstraße, ohne Ägypten. Man sieht am Abend auf die Straße von Titan und weiß das alles und weiß, was die Engländer hier trieben, während Lawrence von Arabien seinen Streifzug durch die Wüste führte und die Osmanen dachten, man würde Akaba höchstens vom Meer aus nehmen, nicht aus der Wüste. Man fragt sich, ob die damals zwischendurch Schwimmen gingen und sieht ein letztes einsames Bananenboot im Abendlicht auf dem Meer. Der Wind trägt Musik von Ed Sheeran und El Taiger in Fetzen aus den anderen Ressorts her. Palmen wehen im Wind. Es war eigentlich genau das richtige nach all den Wüsten, Straßen und Streits, Scheißereien und Kairo. Dem ganzen Dreck der Cafés, Toiletten und räudigen Taxirückbänke. Ich duschte wie lange nicht, nahm eigentlich ein Bad im Stehen und genoss es, wieder in einem Four Season zu sein. Ich war gepflegt wie nie, mein Notizbuch voll, alle Filmrollen alle. Es war eigentlich nicht schlecht jetzt am langweiligsten Ort auf der Welt zu sein. Fünf-Sterne damit sie ohne religiöse Belästigungen Schwimmen und Schnorcheln gehen kann. Es war viel zu gut und ich bekam Zwangsgedanken, die sich nach unserer Ankunft darin äußerten, dass ich mein Hemd eine Viertelstunde lang zurechtlegte. In einem Anflug von Panik wollte ich in den nächsten Flieger nach Kairo steigen. Dann zerknüllte ich das Hemd und sah was passiert: Nichts. Meine Freundin beruhigte mich und sagte, komm, bügel dein Hemd, wir gehen an die Bar. Wir hatten keine Ahnung welcher Tag ist, aber das war in solchen Hotels auch egal. Hier war immer Urlaub. Ich fragte sie, ob sie nach dieser Zeit überhaupt noch eine Ahnung hätte, wer wir sind, wie unser Leben vorher war und ob wir am Meer gewesen sind? Sie sagte ja, am Toten, aber das zählt vielleicht nicht. Sie sagte, sie wusste in der ganzen letzten Zeit nicht was für ein Tag war, außer freitags, weil dann die Leute vor ihren Ausblicken saßen und alles fünfzehn Minuten weit weg war. Wir wurden auf dem Weg zur Bar schon melancholisch, wollten uns die Melancholie aber für einen Drink aufheben, bei dem wir unsere Erlebnisse Revue passieren ließen. Problem war nur, es gab keine Drinks, außer Martini, was das gleiche ist. Die Typen von der Bar ließen uns auch nicht in Ruhe. Erst stellten sie die Karte vor und dann sich und das ganze Ressort und dann machte auch noch einer Musik. Sie nannten mich Sir und Boss und waren das Gegenteil von Herbert aus der Chesa Grischuna in Klosters. Man musste auf alles Steuern zahlen, sogar auf die Steuern und der Alkohol war unbezahlbar. Die Kellner wechselten nach jedem Zug den Aschenbecher und schenkten ständig ein, und wenn ein Käfer oder irgendein hier lebendes Tier auf unserem Tisch landete, entschuldigten sie sich dafür. Man konnte sich unter diesen Bedingungen nur wie ein Arschloch vorkommen. Dazu die anderen Gäste. Manche Familien sahen aus wie Sturmbandführerfamilien, die einfach nur nettere Sachen anhatten. Sie hatten angestrengte Gesichter und wirkten wie Leute, die auf den plötzlichen Tod ihrer Ehepartner hoffen und ich-liebe-dich-Honey sagten. Die Ehemänner schienen immer auf Reisen, ihre Frauen immer zu haus. Die Männer buchten deshalb  gerne mal einen Überraschungsurlaub in Ägypten und die Frauen kauften sich dafür Klamotten, die von den Männern aber nicht wahrgenommen wurden, was die Frauen sehr wütend machte und die Männer dazu brachte ein Darling-come-on-lets-have-a-nice-time-Gesicht aufzulegen. Vielleicht versuchten sie hier miteinander zu schlafen. Das wäre ja schön. Es schien uns gerecht, dass es Mücken gab, Raben und Haie, die sich am Luxus zu schaffen machten. Wir saßen trotzdem noch eine ganze Weile ohne weitere Drinks. Ich dachte daran, wie wir in Amman ankamen, und alles noch vor uns hatten und hofften, dass es auch passiert. Ich sagte ihr, dass ich das dachte. Sie sagte, dass sie es gewusst hätte und ich mich hoffentlich in Zukunft nicht immer so verrückt machen werde. Ich wäre unausstehlich am Anfang von Reisen. Ich lachte und sagte, wer hätte schon gewusst, dass alles so wird, als wir ohne Schlaf in Athen ankamen und Amman vor allem Anfang. Mit dem Wissen, dass es passiert, wäre es sicher nie so geworden. Trotzdem ärgert man sich und nimmt sich vor die Dinge in Zukunft schon zu genießen, auch wenn das schwer ist. Ich musste an Mohammed denken, unseren Fahrer, den alten Zwanzigjährigen Steinmetz und jene Menschen auf Reisen, die einem in Erinnerung bleiben. Aus irgendeinem Grund musste ich an Salem denken, den Kellner aus Amman, der morgens immer Humus und Oregano brachte.  Ich dachte an leuchtende Taxizeichen in der Dämmerung, wenn die Straßenbeleuchtung der arabischen Städte schon an war, aber noch keine Nacht. Ich dachte an den großen Canyon mit dem Beduinen, der meinte, die Wüste wäre tot und den Gesang des Arabers über den Dächern von Petra. Ich dachte an seine rauchige Stimme und ob ihn wohl auch Filipinos schwul gemacht haben. Mir fehlte das Gefühl des Aufwachens und irgendwas-besichtigen-müssens und ich fragte, ob wir es nicht noch einmal tun. Das Ende unserer Reise, konnte nicht das Ende dieser Geschichte sein. Sie sagte, sie hätte gerade das gleiche gedacht. Wir fragten die Kellner, was man hier  noch angucken könne. Es gab da ein Kap mit Nationalpark, der Ras Mohamed hieß. Dort wollten wir am nächsten Tag noch mal hin. Der Concierge meinte erst das ginge nicht und ich fragte wieso, wir sind doch frei und er sagte okay. Ich glaube, diesen Leuten ging einfach der Kackstift, weil sie sich keine toten Touristen mehr leisten konnten und tun mussten, als ob die Gefahr von Haien und Terrorzellen im Sinai gar nicht existiert. Fragte man, warum um Sharm el-Sheik eine solche Mauer hat, antworten die einen wegen der Russen, die anderen wegen irgendeiner Flut, und wieder andere meinten, dass man in Sharm keine Visa bräuchte, nur wenn mans verlässt. Man weiß leicht wie gefährlich ein Ort ist, je öfter man seine Sicherheit betont. Ras Mohamed war wundervoll. Alles saublau. Himmel und Erde von einer feinen Linie aus Sand getrennt. Wüste und Wasser. Wir schnorchelten die ganze Zeit im Tiefen, mitten im Meer an einem Riff lang. Man sah nur blau und ich hoffte, dass kein Hai herkommt. Auf dem Weg hier her stand ja ein Schild: Shark Observation Point. Sagte aber nichts. Sie war nur froh und filmte alles. Keine Ahnung woher das kommt. Ich habe in Neuseeland und Australien studiert und manchmal acht Stunden pro Tag mit Haien im Ozean verbracht, aber eben nicht mir ihr. Außerdem ist sie im Meer großgeworden. Ich lernte schwimmen mit zwölf in einer bulgarischen Poolbar. Deshalb zweifelte ich, ob ich mutig genug war oder nicht, weil ich etwas schneller zurück schwamm, dachte dann aber, dass es mutig ist, Zweifel zu haben so wie Mufasa. Am Abend saßen wir wieder an der Bar, tranken nichts und sahen auf die Straße von Tiran. Den Kellnern hatten wir gesagt, dass sie uns bitte in Ruhe lassen sollen, ohne Drinks wären wir nicht zu ertragen. Es wurde ein sehr schöner, schweigsamer Moment am Meer mit ihr, ohne ihn vergleichen zu müssen. Ich dachte nichts und glaube sie auch, und wir genossen es ganz und gar da zu sein, ohne zu denken, von der Wüstensonne gebräunt. Solche Momente sind eigentlich die schlimmsten, weil man sich zu bewusst wird, wie alles ist und Demut empfindet vor dem Leben und der Schöpfung, ohne die ganze große Ablenkung. Man ist sich klar, dass man lebt und das man stirbt und alles eines Tages vergeht. Die Vorstellung dann ohne sie zu sein, ohne diese geteilte Erinnerung, erscheint mir schlichtweg unmöglich. Sich Grabmäler zu bauen für die Ewigkeit, wie Ramses und Nefertari, wie eine Möglichkeit über diese Leere unseres Daseins hinauszukommen, wirklich zu lieben eine andere, einfach aneinander zu halten, in einer einzigen, ewigen Umarmung vor der Zeit. Nur der Glaube nach unserem Tod wieder Welt zu werden, ein Rotes Meer, in dem andere Liebespaare schwimmen können, und sich Gedanken machen, schien dann nicht so schlimm. Das Drama war klar, wir mussten uns also nicht weiter darum kümmern. Fuck it, sagte sie, lets have a Drink […]

HIERZULANDE II

HIERZULANDE II

So! Scheiße! Kairo! Was für eine Stadt! Von einer Wüste in die nächste könnten man meinen. Vierzig Millionen Menschen, also Schweiz, Portugal, Belgien und Finnland zusammen. Vielleicht mehr. Muss man mögen, und ich liebe es. Pierre Loti liebte es auch. Kairo ist Chaos, aber was für ein wunderschönes. Eins das so ist, wie Regen, wenn man einmal ganz nass ist. Es ist das Chaos der Fatimiden, Mamluken, Sultane. Das der Götter und Archäologen, Abenteuer, Pharaonen, Spione, Osmanen, Araber und Ägypter, Saladins, Aladins, Tausend und eine Nacht. Ein Denkmal der Zeit und die größte Stadt Afrikas, sogenanntes Paris am Nil, aber es gibt eigentlich nichts was so ist. Die Stadt ist eine Betonwüste aus italienischem Art Déco, aufgelockert durch Pyramiden, Parkplätzen, durchgeschnitten vom Fluss. Tausend Minaretten stechen wie Antennen zu Gott durch den Smok, Wüstenstaub und Dampf aus den Garküchen. Eine der letzten Zufluchtsstätten des Unbekannten und Wunderbaren auf Erden. Es vermengt sich zu einer Urknallmaterialität, aus der die Welt jeden Augenblick wieder entsteht. Alle arabischen Städte sind weiblich, aber irgendwo hier verbirgt sich das Geheimnis für das Rätsel unseres Seins. Frage und Antwort in einem. Etwas, dass sich nicht zwischen Buchdeckel pressen lässt, sondern Wohnviertel bis zum Horizont. Kairo ist eine  Stadt, die sich selbst überlebt, ohne zu zerbrechen. Ein Geschenk der Geschichte, die Zeitkapsel einer verschwundenen Welt aus Dampfschiffen, Baedeker und Sundowner. Es ist immer mein Traum gewesen, hier zu leben, aber der Traum einer ganz anderen Existenz. Man braucht solche Träume, die nicht wahr werden. Das richtige Maß Anarchie. Was in der Ferne. Und Engländer, aber nur auf dem Weg nach Indien. Die Ägypter sind ein sehr heimliebendes und bequemes Volk. Die Fremde bedeutet ihnen Elend. Die Türken stehen ihnen nahe, obwohl die selbst zugunsten der Araber vertrieben worden sind. Die Araber schienen ihn danach fremd, obwohl man die gleiche Sprache spricht, aber sich gerade in seiner Gemeinsamkeit deutlich unterscheidet. Die Ägypter sind generell sehr hilfsbereit, gar nicht so wie die jordanischen Männer sagen. Sie brauchen auch nicht überall Flaggen, um sich zu vergewissern, dass sie existieren. Sie sind netter als die Jordanier und wollen rein gar nichts bis sie was wollen. Aber sie wollen immer was, außer in Kairo. Deswegen waren wir zweimal hier und nur zwischendurch in Luxor. Wir nahmen uns ein Zimmer im Kempinski. Ein schönes Hotel, mit Blick auf den Nil. Wir schliefen nur wenige Stunden. Zum Sonnenaufgang wurde ich wach, sah die Tauben fliegen und auf die Hinterhöfe kacken. Es war schon so laut in den Straßen, dass es fast wieder still ist. Ich wollte mich so schnell es geht in diese Stadt stürzen, nur meine Freundin machte nicht mit. Sie brauchte ewig und wir stritten und ich frage mich heute, was wohl gewesen wäre, wenn ich an diesem Morgen ohne sie gegangen wäre. Ich mein, ohne Telefon. Ich ging ohne sie, wartete aber in einem Café vor dem Hotel auf sie und lief ihr hinterher. Das ist gerade als Mann nicht leicht, genauso wie es als Frau nicht leicht ist, durch diese Straßen zu gehen. Alle Frauen schauten sie an, und alle Männer schauten sie an und versuchten dann wegzusehen. Ich war heilfroh, dass ich sie abgefangen hatte. Wir hätten den Tag nicht zusammen verbracht, und nicht spionagenhaften Bars gesessen, in denen immer Nacht ist und immer eine Frau, mit einem Mann vor einem Drink an der Bar steht. Wir hätten nicht zusammen in dem Café mit dem Bild an der Wand und der Erde auf dem Boden gesessen. Ich hätte hier erzählen müssen, was für ein schönes Scheißloch das war und wie es nach Scheiße roch, obwohl ich es war, der sie am Fuß hatte. Ich hätte sie nie im Café Horreya erlebt und vielleicht wäre sie tot oder verschleppt. Wir hätten unsere eindrücke später Teilen müssen, aber wenigstens nicht im Café Richie gegessen. Dagegen war das Horreya der absolute Traum. Sie saß da wie in einer Filmszene, oder besser, sie war die Filmszene selbst. Das Café ist ganz offen und aus Holz und draußen tobt der Verkehr. Man kommt einfach rein, setzt sich hin und bekommt Bier, ohne zu fragen. Sie saß im schwarzen langen Kleid zwischen all den Männern da, rauchte und trank. Cat walking nannte ich das. Vielleicht dachten die Männer wieder, dass ich kein Mann war, weil sich meine Frau so auszieht, aber innerlich dachten sie das doch. Naturgesetze kommen noch vor Religion. Ihre Frauen mussten unter ihren Burkas schwitzen, sogar drunter essen. Sie sind blutarm und blass und leiden an Osteoporose wie die der Orthodoxen nur anders. Man erkennt sie auf der Straße nie wieder. Außerhalb ihres Hauses existieren sie nicht. Es sind Schattenwesen im Würgegriff der Kultur und Kochshows. Natürlich sind wir deshalb am Abend wieder fast zu spät zur Abfahrt unseres Zuges gekommen. Der Verkehr ist ja wahnsinn. Unter dem Befolgen von Regeln wäre kein Durchkommen. Man fährt schon hundertzwanzig auf einer dreispurigen Straße auf die sechs Autos nebeneinander passen, und ein Pferd. Verkehr gibts es so nicht. Es ist ein Weltwunder aus Hupen, Motorrädern und dem obligatorischen Propheten auf einem Karren, der seinen Esel vorne auf der Kreuzung vorbeizieht. Neapel ist nichts dagegen. Bombay vielleicht. Jedenfalls was die Kolonialbauten angeht, die rechts und links mit ihren trüben Fenstern auf das tägliche Treiben sehen. Ich ärgerte mich, dass wir wieder nicht früher los sind, und es immer bis zum allerletzten Auskosten. In meinem Kopf lief ein Film aus allem ab, was überhaupt schiefgehen kann. Der Taxifahrer bekommt einen Herzinfarkt oder überfährt ein Kind. Am Ende des Bewusstseins schon die Frage, ob man uns dann trotzdem erst mal zum Bahnhof bringt. Immer der Griff an die Stelle wo Pässe sind. Sie findet ihren natürlich wieder nicht und dann natürlich wieder doch. Ich hasse sie, ich liebe sie dafür. Wir müssen einmal quer über den Bahnhofsvorplatz der Ramses Station von Kairo, in Kairo über den Bahnhofsplatz der Ramses Station. Wo verdammt fährt dieser Zug. Ein paar Ägypter wittern ihre Chance. Einer nimmt einfach unsere Sachen und rennt. Wir rennen mit durch den Dunst, durch Sicherheitsschranken und an Maschinengewehren vorbei. Selbst bei Nachtzügen bekommt man kein Ticket. Man rennt einfach hin, völlig außer Atem und irgendwie wissen die, dass das stimmt. Wir schafften es gerade noch rechtzeitig, um dann noch fünfzehn Minuten am Gleis zu stehen bis zu seiner Abfahrt. Meine Portugiesin gefiel sich dermaßen überpünktlich überhaupt nicht […]

HIERZULANDE I

HIERZULANDE

Also ich räum’ schon auf, bring den Müll runter, gieß Blumen, gebe ihr mehr Platz im Koffer und frage nur, ob es okay wäre, dass sie mir zu liebe schon mal ihren Hosenanzug zusammensucht, sodass ich meine Anzugtasche schließen kann, immer hin bin ich deutsch und fliege gleich um die halbe Welt und will vorher noch mit Freunden was essen, aber sie winkt nur ab, geht uns sagt im Gehen: dann packe sie ihre Sachen halt selbst. Es kotzt mich an, aber ich will jetzt nicht wieder damit anfangen, kanns ja selber nicht mehr hören, jeder Einstieg ist gleich. Soll sie die Hölle haben. Unsere Freunde wundern sich nicht, dass wir einzeln und zeitversetzt zum Essen kommen. Das sollte zu denken geben. Manche, die uns noch nicht so kennen, fragen was wir da in Jordanien machen und ich sage, das gleiche wie immer und überall, versuchen glücklich zu sein. Es ist schön vorher noch Zeit zum Essen zu haben, aber fürchterlich so zu fliegen. Der Rotwein will einen danach ganz fest in den Gassen halten und der letzte Ort auf der Welt, an den man will ist ein Flugzeug. Man wird langsam wieder nüchtern und wird sich bewusst, wie viel Zeug man noch zwischen den Zähnen hängen hat. Der Mund ist schal und der Weg noch weit und die Klimaanlage bläst, bis man krank ist. Sie bläst und bläst und bläst, obwohl man die Stewardess schon drei Mal gefragt hat. Wie ich Fliegen hasse. Völlig verprügelt kommen wir morgens in Athen an. Zwischenstopp, vierzehn Stunden. Man stellt sich das so schön vor, wie Dinner mit einer fremden Frau, aber alles was man will, ist unter der Brücke schlafen, am Strand, in einem Gründerzeithotel mit Blick aufs Meer, im Schatten zwei tausend Jahre alter Olivenbäume. Deshalb nahm ich meine Kamera nicht mit. Wer hätten wissen können, dass Athen so schön wird und schon zu der Geschichte gehört, aber diese Griechen gehören irgendwie immer zu jeder Geschichte. Wir gingen erst mal Frühstücken in einem fürchterlichen Laden, in den Leute gehen, um zu frühstücken und stiegen dann den Hügel gegenüber der Akropolis hoch, um der Antike unsere Aufwartung zu machen. Er ist nicht nur gegenüber, er ist das komplette Gegenteil davon, leise und leer, grün und schön, ein antikes Jetzt. Links sieht man wie das weiße Häusermeer an die braunen Hügel brandet und rechts wies sichs in die Ferne wellt bis zum Meer, unten in Piräus. Ich stand eine ganze Weile davor auf dem Fels, so wie wie Casper David Friedrich. Der Anblick schüttelte mich wach. Athen, die ganze Welt von hier ausgesehen, wie ein zehn Millionen Einwohner großes Bergdorf, im Angesicht meiner wachtraumartigen Gewalt. Ich überlegte, mich einen Moment wie ein Hund ins grüne Gras, unter den blauen Himmel vors Häusermeer, zu legen, den säulenfarbigen Sandstein in der Sonne, schöne Farben, die nur die Zeit den Dingen gibt. Aber dann hören wir von irgendwo meinen Namen und ich habe in Athen noch nie meinen Namen gehört, obwohl der gut passt. Ich war vorher nur einmal hier, aber die Frauen gefielen mir nicht und jetzt mussten sie mir nicht gefallen. Es sind tatsächlich zwei Freunde, also ein befreundetes Paar. Eigentlich sind wir mehr mit ihm befreundet, aber so ist das manchmal. Sie leben seit einiger Zeit in Athen, nachdem sie schon versucht haben in Istanbul, Tunis, Beirut und Kairo zu leben. Athen gefiele ihnen aber am Besten. Der Ort wäre sinnbildlich für lange Sommer, Familienzusammenkünfte unter freiem Himmel und Tage am Strand. GST, Greek Summer Time nannte sie das und lachte bevor wir das auch konnten. Sie benutzte auch Worte wie Kolokithokeftedes oder Horiatiki, so als ob die normal wären. Ich konnte Abkürzungen für Ortsbezeichnungen, Spitznamen im Rahmen ihrer Postleitzahl begrenzten Möglichkeiten nicht ausstehen. Sie sagt, das wäre nur was zu essen. Wir lunchten in einem schönen Keller, nicht weit vom Markt. Es war ein sehr gutes Lokal, dass man über eine Luke im Boden erreichte. Ein paar Stufen führten hinab. Staub und Licht und Markt kamen auch rein. Im Licht konnte man den Staub sehen, der sich vielleicht durch das Geschrei des Marktes bewegte. Es gab keine Speisekarte, aber Kichererbsen, Kraut, Bohnen, kleine Fische, die direkt auf den Tisch gestellt wurden und Weißwein, der aus Fässern kam. Nach dem Mittag gingen wir über den Markt und soffen uns durch die Stadt. Wir schauen uns eine Herkules-Statue in einem Park an, aber nur weil daneben eine Weinbar war. Es wurde ein schöner, schwereloser Tag im Transit, wie im Traum. Ich wusste nicht, ob ich mehr müde war oder betrunken oder beides. Schlafe oder nur Träume davon zu schlafen. Abends aßen wir Lamm unter Mandelbäumen und die Geschichte mit dem Flugzeug wiederholt sich. Diese Griechen hatten die Bestuhlung ihres Lokals einfach nach draußen unter die Bäume auf das Pflaster gestellt. Auf antiken Mauern spiegelten sich die zeitlosen Schatten unserer Essenszene. Dann wieder Flughafen, aber wenigstens hatte der in Athen gute Musik. Die Stewardess waren sehr nett, schön und groß und adrett. Eine hatte sogar Zahnseide. Wir waren nun 48 Stunden wach und wieder betrunken. Normalerweise würde wir das vor einer so langen Reise nicht tun, aber wir flogen in ein arabisches Land, in dem es keinen Wein gab oder teuer, was das gleiche ist […]