REGEN IM RETIRO
Ja, das waren sie, Tage im Himmel. Tage, die für ein ganzes Leben gereicht hätten. Tage, die Nächte wurden, aus deren Träumen, die Tage waren, die Nächte wurden und wieder Tage und dann nichts, außer dem, was wir in diesem Text von ihnen aufbewahren. Diese Tage ließen sich leben, so wie man sich eines Tages an sie erinnern möchte. Sie sind vergangen und das ist schlimm und das ist schön so. Niemand kann uns diese Tage je wieder nehmen, denn sie sind passiert und ich bewahre meinen Teil von ihnen auf, in einer großen Brust, in der ich alle meine persönlichen Sachen aufbewahre. Wer sie mir nehmen will, muss mich töten, wie einen Stier, mitten ins Herz, dort wo die Tage sind, ohne die ich zu leben, nicht mehr imstande wäre, weil sie eben so passiert sind und für ein ganzes Leben gereicht hätten. Sie sind alles, was wir sind. Manche von ihnen waren so wahr, dass sie beim Leben einen anderen Menschen aus uns gemacht haben. Etwas Unzertrennliches, etwas Ausschließliches, etwas Heimliches, etwas, dass uns gehört, weil nur wir beide davon wissen. Und wenn wir morgen sterben müssten, weil man uns diese Tage wieder nähme, gäbe es heute nichts, dass wir an ihnen ändern würden. Der Tod konnte uns im Westin Palace sowieso am Arsch lecken, die hatten goldene Bidets und Klopapier mit Krone auf jedem dritten Blatt. Wir warteten unverwundbar und sauber auf ihn, draußen wüteten 38 Grad. In Deutschland gäbs sowas nicht. Wahrscheinlich, weil im Kalten das mit der Kacke nicht so schlimm ist, außerdem ist der Tod dort pünktlich. Die Menschen im Westin konnten sich gut hinter ihrer Zivilisation verstecken. Man konnte sie kaum noch erkennen. Sie saßen in sorglosen Anzügen und kurzen Röcken in der Lobby und verschränkten die Beine, so als würde es keine Eier geben oder niemanden, der guckt. So als hätte jeder von ihnen sein eigenes Badezimmer und müsste die Oliven und die Nüsschen, die es zu den Drinks gab, gar nicht selbst verdauen. Das imponierte uns und wir kannten uns zwar gut, aber nicht so gut, dass wir uns zur gleichen Zeit im selben Badezimmer aufgehalten hätten. Wir wollten uns auch nicht ein gemeinsames Badezimmer gut kennenlernen, einige Menschen hatten wir schon zu gut gekannt. Doch nichts konnte jenen Tagen etwas anhaben. Sie beschützen uns seither vor dem Tod, so wie uns die Klimaanlage im Westin vor den 38 Grad und die seine zwei Bäder vor dem besseren kennenlernen beschützt haben. Leider lassen sich diese Tage nicht so schönschreiben, wie man sie gelebt hat, aber sie werden im Prosagebirge durch ihre Einfachheit zu sehen sein, weil sie wahrhaft schön sind und aus ein paar Hügeln kein ganzes Gebirge gedichtet haben. Die Berge waren alle schon da, ich musste sie nur […]