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BYND

Konstantin Arnold

BRAVO

BRAVO

September, Vormittag, Flughafen Madrid. Natürlich Maschine verspätet. Bin ganz durch den Wind. Stand vor ein paar Stunden noch mit Sachen in einem Brunnen am Paseo del Prado in Madrid und ich glaube, wir sind dann Barfuß ins Ritz. Wir hatten im Chicote an der Gran Via einen alten Maler kennengelernt. Ein guter Laden, mit einer Vergangenheit, die heute keinen mehr interessiert, bis auf alte Maler und uns. Eine von Hemingways besten Geschichten spielt hier und eine meiner schlechtesten, weil sie vom schönsten Momenten in meinem Leben erzählt. Ich glaube, man kann von solchen Momenten nur so erzählen, Regen im Retiro heißt die, wen interessierts. Es ist immer langweilig, wenn zwei glücklich sind und man nicht mit oder nicht mehr und will, dass sie es auch nicht mehr sind. Menschen wollen es für sich und nicht lesen, dass sie eine Straßen gingen, die keinen besonderen Namen hat und in Restaurants aßen, die niemand kennt und bei Nacht Dinge taten, die niemanden so interessieren, wie sie selbst. Nicht nur das, aber man hat das eben, was wir alle suchen und kann sich dem widmen, und es, wenn man will, mit in eine Bar nehmen oder ein Tanzlokal oder andere schöne Orte auf der Welt, wie das Chicote. Hollywood traf hier früher Madrid, der Bürgerkrieg war in den 30ern die Straße runter. Man konnte ihn hören, sehen, riechen, schmecken, egal in welcher Bar man war. Morgens brachten die Frauen ihre Männer mit einem Lunchpaket an die Front, abends waren sie tot oder kehrten heim oder gingen noch auf ein Glas ins Chicote. Dort war dann der Teufel los. Mehr als im Ritz, weil auch keine Könige reindurften. Es war die beste Bar Spaniens und so die beste der Welt und die schönsten Mädchen kamen hier her. Der Ort, an dem gute Nächte begannen und an dem sie enden, so wie bei uns. Wer jemand war, kam ins Chicote und wer jemand sein wollte, kam ins Chicote und wer jemand war und sein gelassen werden wollte, kam auch und ließ das Leben auf der Gran Via vorbeiziehen. Man sehe sich dafür nur die Schwarzweißbilder an. Perico Chicote mit Grace Kelly, Chicote mit Penelope Cruz, Hemingway, Gardner sowieso. Dazu all die Stierkämpfer, tadellos und androgyn, von einer moralisch Aura umgeben, die um sie herum Platz macht. Nach ihnen kommt erst mal nichts. Sie tragen Pechschwarzes Haar und Kreuze am Hals und ficken Flamencotänzerinnen. Mit Fans, die wochenlang auf Saufen und Rauchen verzichten, um sich die teueren Tickets zu leisten. Manche von denen sitzen heute noch um den Plaza de Santa Ana, als hätte sie die Zeit vergessen. Man erliegt ihnen einfach, wie ihnen auch Picasso erlag, Cocteau, Orson Wells. Am meisten Frank Sinatra, als er von Luis Miguel Dominguin, diesem Stierkampf-Casanova umgehauen wurde, weil beide zur gleichen Zeit was von der Gardener wollten, die im Nachtleben eines faschistischen Spaniens fröhlich ihre Juwelen verlor. Eine Zeit, sagte der Alte, in der das Land noch das Land und das Meer noch das Meer und Spanien noch Spanien gewesen ist. Schönheit kam von innen und die Wahrheiten waren einfach und die Menschen lebten nach Stierkampfkalendern, Sardinenschwärmen, Jahreszeiten. Heute ist das Chicote ein Touristenladen, aber die Touristen gehen ja auch nur noch dahin, wo die Touristen nicht hingehen, als kommt eigentlich keiner, außer wir. Ich sagte, dass unsere Nacht bis her nicht sehr gut gewesen wäre, weil einen die Leute vor den die Clubs mit Prostituierten locken, das ist ja schlimm in Madrid. Sie verkaufen gefälschte Kippen an ihrer eigenen Leute und geben die Wut ihrer Vorgesetzten an uns weiter. Der Alte sagte, das liege daran, dass man in Spanien, nie eine klare Grenze zum Faschismus gezogen habe. Das eine ging einfach ins andere über. In den Schulen erzählt man immer noch, dass 60 Millionen Menschen in Mittel-und Südamerika an der spanischen Grippe gestorben wären. Man kann die Zeit nicht zurückdrehen, nicht mal, wenn man durch die Drehtür des Chicote geht, aber die Bar ist immer noch rot, was schon mal gut ist. In der Mitte stehen Stühle und Tische, die man zur Seite stellen kann, wenn man tanzen möchte. Der Kellner kam und brachte eine letzte Runde und ich fragte, für wen das Extraglas Schaumwein wäre und der Alte meinte für seine Frau. Die wäre tot, aber er akzeptiere das nicht und bestelle alles doppelt überall. Das gab uns den Rest. Der Abend hatte locker angefangen. Aperitif und dann Abendessen bis eins. Zwei Sterne, die keinen kalten Cheeseburger wert war. Von 14 Gerichten mochten wir zwei und eins davon war Brot. Natürlich sagte man uns, nachdem ich das sagte, dass wir wahrscheinlich keine Ahnung haben, aber wir hatten doch Ahnung und wir hatten Zungen. Mein Freund war über meine Ehrlichkeit schockiert, aber sie war der Beweis dafür, dass wir uns schon gar nicht selbst betrügen konnten. Dann die Suche nach einer Bar, die noch offen hat und nicht die vom Ritz ist. In der davor hatten wir hier aus versehen Schaumwein für 80€ bestellt, das Glas, inklusive Geschichten von Pedro, der dort so lang an der Bar im Ritz steht, dass er selbst die Ritz-Bar geworden ist. Er empfahl uns […]

EINZELHEITEN

EINZELHEITEN

Wie die meisten habe ich auch versucht, diesen Sommer irgendwo Ferien zu machen. Hatte mir das nur anders vorgestellt, ohne Schreiben und ohne das Wochenende zuvor. Man nimmt sich vor nicht auszugehen, das Geld beisammenzuhalten, allen Versuchungen zu entsagen, aber das heißt sich am Leben versündigen, so wie es sich bietet. Freitag bin ich von der Paartherapie gleich zum Abendessen mit einem Freund und habe schon nach der ersten Flasche, einer roten aus Madrid, gemerkt, dass es dabei nicht bleiben wird. Wir hatten uns ewig nicht gesehen und viel zu erzählen, die Unterhaltung war fließend und es ist immer schwer, wenn man erzählen muss wie etwas war. Man beschränkt sich auf äußere Ereignisse, auch wenn ich die von den inneren nicht unterscheiden kann, hat man mir in der Paartherapie gesagt. So ist es natürlich schwer nach Hause zu gehen, ohne die Nacht zu töten. Wir sind dann noch bis fünf in einem Fadokeller gewesen und Samstag war dann Familienlunch bis zehn und Sonntag war ich dann zu allem anderen bereit, nur nicht mich mit einem Weinfreund und seinen Distributorenkumpels eine Woche durch Galizien zu saufen, bis sie mich im Minho absetzen, Portugals nördlichster Weingegend. Berühmt für Alvarinho und Loureiro, den Vinho Verde, was ganz und gar kein grüner Wein ist, sondern eine kleine Weinregion, mit großem Output, der nicht nur weiß ist, sondern auch rot und verdammt noch mal ohne Kohlensäure. Die wird später zugesetzt. Die guten können mineralisch sein, mit einer Säuere, die durch die Nähe zum Meer und einen Untergrund aus Granit und Schiefer zustande gekommen ist. Das haben mir die Distributorenkumpels meiner Weinfreunde erklärt. Es ist ein junger, sehr gnädiger Wein, von dem man nicht mehr will, als ihn zu trinken und dass er einem am nächsten Tag wieder arbeiten lässt. Manchmal hat man nach zwei Flaschen immer noch keine Lösungen gefunden, aber dann gibt es auch nichts zu schreiben, außer das der Morgen kam, spät im Sommer, soweit südlich, und man die Dinge vielleicht nie bis zu ende denkt. Die Distributorenkumpels meiner Weinfreunde waren vor allem eins, Leute, die nie meine Fadofreunde sein könnten, weil ihnen dafür die Weinfreunde fehlen. Sie machten ständig Fotos von leeren Falschen und sprachen beim Weintrinken nur über Wein. Ich versuchte mir das anhand von Familienlunches zu erklären, bei denen es ums Essen ging, um das, was man aß, schon gegessen hatte und noch essen wird, aber Wein war ein so schönes Produkt, dass den Dingen auf den Grund ging, die hinter allen Dingen lagen. Ich konnte Wein einfach nicht auf Wein reduzieren. Heilige haben ihn gepriesen. Götter getrunken und ich trank ihn wie damals, als ich auch in der Liebe noch kein Kenner war, sondern Liebhaber. Als man Wein einfach trank, ohne über die Jahre nachzudenken und Geschmäcker und wer dann ein Foto davon macht, um sie zu vergleichen. Wir mussten natürlich alle angesagten Weingüter abklappern. Rias Baixas, Ribeira Sacra, irgend so einen alten, der bei seinen gärenden Trauben schläft. Wir mussten am Ende die Flaschen aufstellen und ein Foto machen und ich fragte mich, wen das interessiert, außer den einen aus Truppe, der sie fotografiert. Er wusste, wie nah die Weingüter in der Campagne ans Wasser gehen, auf denen ich neulich war und er noch nie gewesen ist und hatte mal an einer Blindtasting Weltmeisterschaft für das russische Team teilgenommen. Er sprach nur von Champagner und nur von sich und nur in dritter Person, aber wenigstens nicht von Frauen, und wenn er mich fragte, wie ein Wein schmeckt, sagte er nein, nein, der schmeckt nicht so, der schmeckt anders. Wir tranken fürchterliche gespritzte Weine aus Andalusien, die wie Sherry rochen und wenn ich sagte, dass ich kein Glas mehr will, weil wir nicht in Andalusien sind und der nicht schmeckt, sagte er, da komme ich schon noch hin. Essen gehen für 300€ war für diese Leute ganz normal und man musste natürlich mitziehen, ein paar Tage lang, weil es keine Art war, zu sagen, dass man aber nur zwei Anchovis hatte und nichts von dem Fleisch und dem gespritzten Wein. Man musste Trinken. Schon aus beruflichen Gründen. Ich hatte das selbst bei meinen Lesungen gemerkt und direkt abgelehnt, damit man nicht Opfer einer Legende wird, die man versucht zu erstellen. Eigentlich ist es mit diesen Weinleuten wie mit allen Leuten, ob sie Fußballer, Skispringer, Bergsteiger oder Schauspieler sind, oder beides. Sie bilden Gruppen, die eine Dynamik generieren, die luftundurchlässig ist. Es staut sich was an und ich bin dagegen allergisch. Jeder Korpsgeist macht mich zum Außenseiter, was manchmal schön ist, aber meistens schwer. Man ist dann immer nur Gast,

HINTER DEN BERGEN LINKS

HINTER DEN BERGEN LINKS

Ich wusste, dass es am Tejo lang geht und dann nach Norden, die Serra hoch und dann auf der Serra lang und irgendwann in ein schönes Tal und in ein noch schöneres, von dem ich dachte, dass es schon das Schönste gewesen wäre. Die lange Straße, auf der wir kamen, schlug am Ende des Tals einen Brückenbogen, in einen kleinen Ort, der ganz im Rauch lag, weil dort Schnaps gebrannt wird. Der hochprozentige Dunst liegt wie Nebel über dem Dorf in der Sonne und zieht morgens, bei Südwind die frisierten Weinberge hoch bis zur Quinta do Reguengo links am Hang. Ich wusste, dass das die Quinta do Reguengo ist und die Capela da Nossa Senhora da Vega daneben und gleich die Birkenbäume kämen und Oliveiras und die Weinberge, von denen man über den Fluss und die Felder die Hänge hoch sehen konnte. Unten im Tal war ein kleines Lokal, das Fisch aus jenem Fluss frittierte, der dem Tal seinen Namen gab, bevor er in den Douro mündete und für immer verschwand. Der Rio Sabor entspringt nördlich von Bragança und schneidet die schönsten Schneisen in das Himmelhügelmeerland. Das wusste ich alles und ich fragte mich, ob es nicht doch besser wäre, alles wieder zu sehen und schon zu wissen, so wie es besser ist, mit einer Frau zu sein, und nicht vielen, obwohl ich das schon lange wusste, nur noch nicht ganz verstand, bis ich es ganz verstanden hatte; und ich sagte mir, wenn ich es nur lange genug verstehe, würde sich die romantische Tektonik meiner Gefühle schon verschieben. Ich hatte das alles schon einmal gesehen und sah nun alles wieder und sah es viel mehr. Orte wiedersehen oder neue, zum Ersten Mal oder lange nicht und dann wieder, ist es mit Leuten wie mit Orten? Hängt von den Leuten ab, die die Orte ausmachen und den Orten, die die Leute prägen. Leute sollte die Orte schon in sich tragen, aber da ist etwas, dass Leute haben und Orte eben nicht, das Unglück Denken zu müssen. Außer mir Hügel, die nie wirklich Berge sind. Dass die auch Namen haben, wusste ich, weil wir mit Karte fuhren und nur Straßen, auf denen Traktoren sind. Außerdem hing auf dem Herrenklo der letzten Tankstelle ein Relief der Region. Als wir in das nächste Dorf kamen, fragte ich einen Müllmann, wo man hier essen kann und er sagte es mir und dann wusste ich das auch. Bekamen wir im Vornherein Empfehlungen strichen wir sie normal von der Landkarte. Wir fragten die Leute, wo wir hinmüssten, um zu wissen, dass es für uns da nichts gab. Müllmänner, Männer auf Pferden, Bruchsteinhändler, Fischer und Frauen mit Bart ausgenommen. Es war dann wie montags im März Champagner trinken, den man sich für Silvester aufgehoben hat. Es hatte auch nichts mit den Orten zu tun, sondern nur mit den Hoffnungen, die man sich an ihnen macht und den Erwartungen, die sie vertreiben. Wir sind nicht die Typen, die nirgendwohin wollen, nur weil da alle hingehen, wir hatten einfach kein Ziel, und unsere Gründe, bis irgendwann, irgendwie in San Sebastián zu sein. Ja, wo will man denn hin? Erreicht man ein Ziel, wird es die Schwelle zum Nächsten. Das Einzige, das es wirklich gibt, ist endgültig und wäre fatal, aber noch keine Pflicht, nur eine Stecknadel zu der wir uns aufziehen. Eine Übersetzung für Menschen, die die Sprache des Gehens nicht sprechen. Ziele sinds nichts weiter als Entschuldigungen, wie Einkäufe welche sind, Abschlüsse, Auslandssemester, Café in der Sonne, Vaterunser und Zigaretten. Man darf das Reisen nicht Orten überlassen. Es ist nicht nur hier und da nicht. Man muss den Blick dafür behalten, die schöne Straße sehen und nicht den Weg zur Arbeit. Den Körper einer Frau, und nicht die, mit der man ständig streitet; den Terreiro do Paço und nicht die Leute, die darauf sitzen oder was man über ihn sagt. Ein Mensch gewöhnt sich an alles, an das Schlechte, was gut ist, aber auch an das Gute, was nicht gleich schlecht ist. So hielten wir an vielen Orten, an denen man nie halten würde, so vielen wie möglich. Klippen, Täler, Leere. Gigantische spanische Flächen, an deren Ende, die Berge wie Schildwachen standen, die Wolken abfangen. Die meisten Orte waren aus einer Kirche und einer Bar gemacht, und einer Straße, die durch das alles führte und von zwei Ampeln begrenzt wurde. Die Kirchen konnte man von weitem sehen, ohne auf die Bar schließen zu können, aber im Nachhinein lässt sich sagen: je weniger Turm und je mehr Mauer der Kirchturm gewesen ist, desto netter der Mann an der Bar […]

MITTELMEERMANN

MITTELMEERMANN

Nur noch eine Hecke sein, die an einer Straße wächst. Und erst dahinter die Welt. Ohne zu wissen, was man nicht weiß und was man damit wieder gemeint hat. Leben und Sterben mit ganzem Körper und mit ganzer Seele Zeugnis ablegen, welch Schauspiel dessen Großartigkeit nur mit der Stille nach einer langen Party gleichzusetzen ist. Mir hätte in dieser Stunde, an diesem Ort, in Lissabon, in dieser Phase meines Lebens vielleicht nichts Lieberes geschehen können, als nachts wach zu liegen, zeitlos und still wie Luft, nach einem, unserer vielen Streits, und sie sagt: Boa Noite, morgen versuchen wir es erneut. Ich dachte, dass es so eigentlich immer sein müsste. Vielleicht fühlte ich mich nie wieder so lebendig und so allein. Es wird Zeit, dass ich schreibe, damit wir hier weiterkommen. Alles begann mit meinem Zusammenbruch am Rossio, wie im Film, nur dass es im Buch gewesen ist. Ich konnte mich aber geradeso halten, an einer schönen Straßenlaterne, vor der Bahnstation, zwischen all den Leuten. Lissabon lag im Rauch, es war abends, nachtblau, der Himmel laternenhell. Ich war wieder durch die Gassen gelaufen, hatte in die Fenster gesehen, um zu sehen, was Leben ist und wie das geht. Ich kenne nur meins und das Ideal, das ich von anderen habe. Am Praça São Paulo sah man es besonders mit den kahlen Bäumen, die aussahen, als würden sie nie wieder grün werden, den Bars voller Puppen und Kumpels, die Fleischer gut gelaunt, weil sie den Platz hatten mit Bäumen und eine Frau und Wein, der für die nötige Abwechslung sorgt. Menschen kauften Geschenke ein. Ich hatte kein Geld für solche Sachen, weil wir das zum Erleben brauchten, aber irgendwie brauchte man doch schöne Sachen, um die Dinge zu erleben; in schönen Sachen, schöne Dinge erleben, im Leinenanzug den Nil runter, mit Parfüm, so nen Zeug. Ich sah in Schaufenster, Anwaltskanzleien und Blumengeschäfte ganz anderer Viertel, die für ganz andere Menschen mit ganz anderen Leben ganz normal sind. Ich ging an Orte zwischen den Orten, wo die Gewohnheit der einen auf das Interesse der anderen knallt und doch alles gleich ist. Das Leben der anderen schien immer schöner und leichter, weil man die nicht selbst sein musste und ich dachte, wenn die meins von außen sehen, denken die das bestimmt auch. Nach meinem Zusammenbruch ging ich erst mal zu Jorge, meinem Freund, dem Schuhputzer, weil der gleich am Rossio ist. Ich erzählte ihm, was los war und er freute sich, einen Grund zum Trinken zu haben, sagte ich müsste aber zahlen, wie Leute, die dich um eine Sache bitten und so tun, als täten sie dir damit einen Gefallen, aber ich war froh, dass Jorge da war und keine sentimentalen Fragen stellte und meinte, dass man mit einem Glas Roten noch alles heilen könnte. Er sagte Silvester ginge er zum Feuerwerk, am Terreiro do Paço. Ob ich auch komme? Wenn es regnet, geht er aber nicht. Ich sagte Jorge, ich hatte gerade die Symptome eines Herzinfarkts, Schweiß, Schwindel, Schwarz und dann die Straßenlaterne. Wahrscheinlich bin ich Silvester tot. Ja, Ja, sagte Jorge, du denkst nur was Leute denken, die denken, dass jemand tot auf dem Boden liegt und um sein Leben röchelt, wenn er gerade nicht drangeht oder aufmacht. Hast du vorher irgendwas anders gemacht? Nicht wirklich, wir haben gestritten, ich hatte zum Mittag, um vier, ein halbes Kilo grüne Bohnen, mich bis sechs Uhr frühs in Alfama rumgetrieben und war gerade erst Fasten mit Herzcheck, allem drum und dran. Vielleicht ist das die verspätete Angst aus Algerien, sagte Jorge, was ein Dreckloch, oder zu viel Schreiben oder Schreiben generell, und immer wieder dieses Beziehungsdrama seit Wochen, Monaten, Jahren! Du brichst lieber dein Herz, als ihrs. Na und die Scheiße von Telefonen immer alles, überall Regeln zu können. Es gibt Gedanken, die einem die Kehle abschnüren, Gefühle, die uns den […]

EXZESS

EXZESS

Am Anfang war das nur eine Schnapsidee, irgendwas in der Ferne, ein Jahr weit weg. Die von der Redaktion meinten, ich dürfe nicht mehr über Wein schreiben und Liebe und was Leben im Süden sonst noch so ist. Über was soll ich dann schreiben, fuhrs aus mir raus, soll ich Fasten oder was? Das wäre eine tolle Idee meinten die und ich sagte halt zu, war ja noch ein Jahr hin, und dann ein halbes, und dann auf einmal nächste Woche. Nächste! Woche! Panik ergriff mich. Zehn Tage ohne Essen und Trinken, Essen mit Trinken und dann Rauchen. Ich rief die Fastenklinik an, verlangte nach Seelsorge. Nein, sagte die Ärztin am Apparat, Muskeln verlieren sie nicht und ja, sie sind danach noch der gleiche, vielleicht sogar noch mehr. Ich will auf keinen Fall aufhören zu rauchen, oder solche Scherzchen, sagte ich, hören sie, die Beziehung zu meinem Körper ist erste Sahne. Wir verstehen uns prächtig. Ich kann essen was und wann und wie ich will. Der menschliche Körper kann vierzehn Tage ohne Nahrung auskommen, sieben ohne Wasser, sie sind dafür gemacht, sagte die Ärztin. Bei Normalgewicht besitzen sie 10kg Fett und 3kg mobilisierbare Proteine. Damit könnten sie 40 Tage fasten, wie die Jungs aus der Bibel: Moses, Jesus, Elias. Bei 20kg Übergewicht sind es schon 100 Tage. Die Ärztin war sehr nett, gar nicht so arztmäßig, und sagte, sie freue sich dann schon auf mich. Musste sie ja auch. Immerhin bezahlen die Reichen ein Schweingeld dafür, dass man sie dort Hungern lässt. Sie lassen sich von dieser Klinik reduzieren, ihre Geschmäcker auf Null setzten, bis die Übersteigerung abschwillt, weil nach Kaviar nichts mehr kommt. Zuhause kann man nicht so fasten. Meine Freundin probierte das Mal. Sie sah mich essen und wir stritten und das ist alles nicht förderlich. Es ist besser, sich seiner Gewohnheiten und Gelegenheiten zu entziehen, all der Möglichkeiten, den Wechselbeziehungen und Wirkungszusammenhängen, wegen denen man trinkt. Manche haben gar keine, andere zu viel und die sind besser allein, und der Mensch, den man lieben muss, weit weg. Außerdem bekommt man den Arsch ausgespült und das lässt man besser andere machen. Ungefährlich ist das nicht, aber Buchinger hätte 100 Jahre Erfahrung versichert mir die Ärztin, als ich immer noch nicht glauben konnte, dass man mir wirklich ein Enema reinsteckt. Ist vielleicht ein Männerding, aber ich hatte das schon mit fünf und mit Zäpfchen, als ich noch gar nicht wusste, was mein Schwanz ist. Heilfasten zählt zu den härtesten Fastenformen. Die tägliche Energiezufuhr beschränkt sich auf maximal 400 Kalorien (250 braucht allein das Gehirn). Der tägliche Plan sieht Gemüsebrühe (0,25l), Obst und Gemüsesäfte, 2,5l Wasser und 30 Gramm Honig vor. Es sollte die erste Geschichte meines Lebens werden, in der kein Wein vorkommt, aber er war omnipräsent. Zur Rache suchte ich mir natürlich die Klinik im Süden aus. Es gibt natürlich noch viele andere Kliniken, aber keine im Süden und keine von Otto und an einen Ort, der aussieht wie eine Jugendherberge und nach Spucke riecht, Kräutertee aus bunten Bechern, wollte ich auf keinen Fall, wenn ich schon leiden muss. Um ganz ehrlich zu sein, kam mir das doch recht. Ich fühlte mich etwas aus den Fugen und seit einer Weil zu Linsen hingezogen. Mein Körper hatte genug. Erst die Weinernte, dann lange Ferien Madrid, Hochzeiten, Geburtstage und kaum Tage dazwischen und jeder Tag ein Fest. Früher gab es Tage und Weintage, aber seitdem ich mit Madame Mon Amour zusammen wohne sind alle Tage voll Wein. Selbst die heute journal Tage. Mahlzeiten mit Menschen, die ich liebe, zu mir zu nehmen, ohne Wein, fällt mir nicht ein, Essen wird erst so zur Mahlzeit, und ich glaube, ich verlor die Balance. Das merke ich, wenn ich anfange, Dinge zu kaufen, bevor sie alle sind oder nachts auf dem Platz vor der Kathedrale liege oder froh bin, dass die Gassen auf den Heimwegen Lissabons schön schmal sind. Verstehen sie mich nicht falsch, ich bin keiner von diesen Selbstzerstörerischen Typen mit Todessehnsucht, und all der Naivität, die es dazu braucht, dafür bin ich mir zu bewusst, zu ehrgeizig und christlich erzogen. Ich trinke auch nicht, um Schreiben zu können, höchstens, um abends nicht mehr schreiben zu müssen. Auch nicht, damit der Abend schön wird, sondern weil er schön ist. Der Abend ist für mich eine heilige Zeit, Muße, Diskutieren, über gutes und schlechtes und was überhaupt gut und schlecht ist, deswegen trinkt man ja. Man ist von Momenten abhängig, wie die meisten, mehr nicht. Morgens esse ich ein Stück Brot zum Kaffee, mittags einen Teller irgendwas, um weiter arbeiten zu können und abends erst der Genuss. Keine Süßigkeiten, nichts künstliches, nur Naturwein. Ich trinke abends einfach gern Wein, wie die meisten Kopfarbeiter. Punkt. In den zehn Tagen in der Klinik habe ich keine Zigarette geraucht, nicht mal dran gedacht, nur daran, dass ich danach nicht damit aufhören will. Natürlich ist das dämlich, aber hinter dem Dämlichen liegt eine Wahrheit, die jeder selbst Entschlüssen muss, in dem er herausfindet, welche damit gemeint ist. Eine poetisch perverse Lust am Laster. Warum lachen wir übers Laster? Kommt man so über die Sterblichkeit hinaus? Kommen wir aber erst mal an, nach zwei Stunden Schlaf, und morgens, aus Protest, sogar noch bei McDonalds sogar am Flughafen […]

DAVONKOMMEN I

DAVONKOMMEN I

Es geht mir nicht ums Reisen. Das kann ich zuhause, wenn ich in Lissabon bin. Einer der Hintergründe vor dem wir uns abspielen, die Handlung ist die gleiche, Europa mein Zuhause. Reisen ist ja nicht nur hier und da nicht. Menschen und Orte sind überall und sie führen sich an ihnen auf. Fern von eigenen Banalitäten, um nah an denen der anderen zu sein. Lissabon ist keine banale Stadt. Niemand hält hier Ordnung der Ordnung wegen. Keiner geht ohne ein Glas, nur damit der Tag in den Plan passt. Manche sehen das, wie man ferne Orte sieht, herausgerissen aus allem und dort eingefügt, wo sonst alles ein Ende hat. Es ist ein Gefühl, das man kennt, wenn man einen traurigen Film guckt oder ein bestimmtes Lied hört oder bald gehen muss oder sich Spanien vorstellt, am Abend, in Polen, weit weg in der Ferne, selbst Alicante wird dann schön, so ein Drecksloch. Ich glaube was wichtiger ist, Reisen haben immer ein Ende, einen voreiligen Wert, ohne Tod. Diese hier beginnt morgens, halb sieben, mit einer Flasche Schnaps. Am Flughafen. Portugiesische Küche. Ich hatte mir das einfach notiert. Die Flasche lag im Duty-Free und darauf stand: schmecken sie den Wert, den nur die Zeit den Dingen geben kann. Ich fand, dass das schön geschrieben ist und da stand auch noch mehr. Über die Rückgewinnung von Momenten, die man am Tisch miteinander teilt, Anekdoten, die einen Toast verdienen und der Digestif als Ende einer Mahlzeit. Das Marketing machte mich an. Stimmt ja. Alles, was gut ist, wird besser mit der Zeit. Wein, Liebe, Leder, abgenutztes Lissabonner Kopfsteinpflaster. Das Schöne daran ist ja nicht das Abgenutzte, sondern die Zeit, die es abgenutzt hat. Hell erleuchtet flogen wir nach Madrid. Madrid ist eigentlich immer eine sehr glückliche Zeit und über glückliche Zeiten gibt es nicht viel zu schreiben, außer, wenn man sich bewusst ist, wie kostbar sie sind und wie leicht sie vergehen, ohne vorsichtig zu werden. Man muss dafür nicht das Leben eines Toreros führen, es reicht ein fantastischer Geist zu sein, der gerne denkt und weiß, was passiert und nicht passiert und das, was passiert nicht ernster nimmt, und schreibt, als ob es gar nie hätte anders gewesen sein können. Die heißen Augusttage, Mittagessen im Botín, keine Polizei, die uns danach anhielt. Die Tage im Westin, der Retiro nach dem Regen, die Flamenconächte in der Candela, die es nun nicht mehr gibt. Es gibt nur noch Shows, weil die meisten mit Flamenco nichts anfangen können, solange er keine Show ist und an gewissen Stellen übertrieben wird. Wenn man das erste Mal einen Flamenco sieht, ist es ein Spektakel, aber man sieht mehr vom Spektakel, als vom Flamenco. Irgendwann will man nur noch Flamenco, ohne die Show und in der Candela konnte man ihn sehen. Unser Madrid besteht aus vielen Orten, die wir kennen und Orten, die wir noch nicht kennen und Orten, die wir kennen, aber noch nicht so, wie wir jetzt sind, nicht im Herbst, und im Regen, wochentags, von einem Elektroauto aus. Sie wusste, ich wollte unser Gepäck nur schnell im Palace Hotel aufgeben und die Zeitung am Plaza Santana lesen und dann die Paseo del Prado runter, an den Bücherständen vorbei, um in den Prado zu gehen, wie immer, aber sie wollte nicht, also ging ich allein zu Sorolla. Im Prado ist es aber am meisten so. Man steht vor den gleichen Gemälden und es sind andere. Es gibt ein paar die immer gleich sind und immer anders und manche, die einen noch nie so faszinierten wie jetzt. Jusepe de Riberas Martyrium ist so ein Bild. Wie die Frau im aus dem Gemälde guckt. Sie guckt aus ihrer Zeit, so als ob sie den Wert des Gezeigten und deren Fehler schon damals kannte. Sie schaut, als könnte sie uns sehen. Nicht mal Riberas Maria Magdalena oder seine Maria Magdalena mit Bart, nimmt einen so gefangen, wie der Blick dieser Frau kurz nach dem Mittelalter, deren noch Bilder zeigen, wie Frauen wirklich Schwanger geworden sind: per Lichtstrahl, der von einem Engel aus […]

MADRID

MADRID

Madrid ist immer eine sehr glückliche Zeit und über glückliche Zeiten gibt es nicht viel zu schreiben, außer wenn man sich sehr bewusst ist, wie kostbar sie sind und wie leicht sie vergehen, ohne vorsichtig zu werden. Man muss dafür nicht das Leben eines Toreros führen, es reicht ein fantastischer Geist zu sein, der gerne denkt und weiß, was passiert und nicht passiert und das dann schreibt, als ob es gar nie hätte anders gewesen sein können. Es ist immer langweilig, wenn zwei glücklich sind und man nicht mit oder nicht mehr und will, dass sie es auch nicht mehr sind. Menschen wollen es nicht hören, weil sie es für sich wollen. Man will nicht lesen, dass sie Straßen gingen, die keinen besonderen Namen haben und in Restraunt aßen, die niemand kennt und bei Nacht Dinge taten, die keinen so sehr interessieren, wie sie selbst. Nicht nur das, aber man hat das eben, was wir alle suchen und kann sich dem widmen, und es, wenn man will, mit in eine Bar nehmen oder ein Tanzlokal oder andere schöne Orte. Gerade weil Madrid dann eine sehr glückliche Zeit ist, muss man darüberschreiben. Wir kommen zwei, drei Mal im Jahr. Diesmal kam ich mit dem Zug aus der Meseta, sie etwas früher mit dem Flugzeug aus Lissabon an. Man sagt das spanische Hochland wäre auf gewisse Weise negativer als die Wüste. Die Wüste verspräche nichts, die Meseta wäre ein gebrochenes Versprechen. Ich wollte das verstehen und dass Madrid eine 657 Meter hohe Stadt ist. Vom Flugzeug aus sieht man das nicht. Man sieht das kahle Land um Madrid, vor allem bei Nacht, wie Dörfer im Meer der Nacht sieht das aus, aber man sieht die Steigung nicht, nie. Von Lissabon aus fliegt sich’s bequem. Es gibt Flüge am frühen Morgen und am späten Abend und der am späten Abend ist gut, weil man fast in Lissabon ankommt, bevor man losgeflogen ist. Der Zug braucht zwölf Stunden. Dafür wird man langsam vorbereitet und kommt an der Puerta de Atocha an. Sehnsüchtig, hungrig und fast im Palace Hotel. Unser Madrid besteht aus Orten, die wir kennen und neuen Orte und Orten, die wir kennen, aber noch nicht so, wie wir jetzt sind. Reisen ist ja nichts neues, Orte sind überall. Es geht darum, sich an ihnen selbst zu erfahren. Im Prado Museum ist es am meisten so. Man steht vor den gleichen Gemälden und es sind immer andere. Es gibt ein paar die immer gleich sind und immer anders und manche, die einen noch nie so faszinierten wie jetzt. Jusepe de Riberas Martyrium des Hl. Philippus ist so ein Bild. Wie die Frau im unteren Bildrand aus dem Gemälde guckt. Sie guckt aus ihrer Zeit bis heute, so als ob sie den Wert des Gezeigten und den Fehler des Getanen schon damals kannte. Sie schaut, als könnte man sie verstehen. Nicht das Rot oder das Leid nimmt einen gefangen, nicht mal Riberas Maria Magdalena oder seine Maria Magdalena mit Bart, so sehr, wie der Blick dieser Frau gefangen nimmt. Und das kurz nach dem Mittelalter, dessen Bilder noch zeigen, wie Frauen damals Schwanger geworden sind: per Lichtstrahl, der von einem Engel ausging, wie auf Fra Angelicos Verkündung. Gemälde, die immer eine gleiche Kraft haben, sind Claudio di Lorenas Einschiffung der Hl. Paula zu Ostia, Johanna die Wahnsinnige oder Fabrés‘ Sklavin, auch wenn ich da nichts Sexuelles drin sehe, so wie sie. Ich stand minutenlang vor diesem Bild und manchmal kam jemand und stellte sich dazu und es war dann ein sehr intimer Moment, so als ob man diesen Moment zusammen im Bett dieses Bildes verbrachte. Mit ihr war es nicht so unangenehm, aber es passierte selten, meistens war es eine einsame und individuelle Erfahrung und nach einem Museumsbesuch versuchen wir, beim Mittag zu erraten, welche Bilder den anderen am meisten […]

NICHTS

NICHTS

Das echte Spanische liegt im Nichts, weil es nichts gibt, was so ist. Man findet es nicht in historischen Stadtzentren oder Gaudis Parks oder wenn man es finden will, oder teure Tapas frisst, die nach nichts schmecken. Es hat auch keine Öffnungszeiten und man muss dafür auch nirgendwo anstehen. Man findet es nur gegen seinen Willen, wenn man lange genug Richtung Amerika gefahren ist, weit westlich von Madrid, ganz kurz vor der Grenze und ein bisschen außerhalb der Zeit, da, wo Hans Christian Andersen auch auf den Zug warten musste, als die Eisenbahn das 19. Jahrhundert in Europa so richtig überfuhr und alle schrien, dass das mit dem Reisen und der Poesie nun endgültig vorbei sei. Hans fuhr damals noch weiter, bis an die Kante, wo Festlandeuropa tausend Fuß in die Tiefen eines ewig auf Zerstörung sinnenden Atlantiks stürzt und das echte Portugiesische verborgen liegt, das ich nicht weiter beschreiben möchte, denn wenn da jetzt alle hinrennen, findet man es dort bald auch nicht mehr. Solche Orte brauchen ihre Einsamkeit, die sich waldbrandmäßig in einem ausbreitet, tief in einem drin, da, wo die Gefühle sind, die sich nicht auf Englisch erklären lassen oder beim Fußballgucken oder wenn noch jemand da ist, und man sich eigentlich zum Reden treffen wollte. Solche Orte brauchen andere Orte, in denen es schöner ist und nach denen man sich dann sehen kann, so lange man da ist. Das Soll kein Gruß aus der Ferne werden, bin ganz nah dran, und man muss an die Wahrheit kommen, wie man an eine brennende Bushaltestelle kommen würde, in Eile und ein bisschen zu spät und so nah wie möglich, nur nicht näher, wie man nicht zu nah an die Sonne möchte. Die alten Häuser tun einem eigentlich auch nichts, sie verlieren sich nur ein bisschen in der Landschaft oder sind selbst zu Landschaft geworden. Das passt. Aber die neuen, weißen, mit den Vorgärten und Sandkisten und gut gemeinten Eingangsschildern sind ein trauriger Versuch von Freude. Hoffnung in der Hölle. Sie machen alles nur schlimmer, auswegloser, selbstmordgefährdeter. Es weht kein Wind, aber die frühe Abendluft bekommt den Geruch von Kuhscheiße trotzdem irgendwo her. Stinkt mehr, als du dir Stinken vorstellen kannst. Ganz oben ist ein hoher, blauer, makelloser Himmel und am Ende des Ausblicks sollen auch Hügel sein, gesehen hat die noch keiner. Wir sitzen in einem Raum, den die Leute hier Bar nennen. Der Vorhang flattert, wenn die Kuhscheiße reinkommt, ansonsten passiert nichts, nur wenn einer was bestellt, aber außer uns bestellt hier keiner was. Bei dem Mann, der aussieht, als würde er den Leuten gerne auf die Schnauze hauen, wenn er fertig mit dem Rauchen ist und dann irgendwas tun muss, um wieder rauchen zu können. So wie der Mann sein Fernsehen anguckt, gucke ich mir gerne die Welt, an oder den Mann, wie er sich das Fernsehen anguckt. Es fasziniert mich und er erinnert mich an glückliche Hunde, die fressen, ficken, scheißen, sich zu Begrüßung das Arschloch lecken. Hätte der Mann an der Bar einen Schwanz, ich schwöre, immer wenn die Werbung vorbei war, er hätte gewedelt. So weit, so gut, aber viele oders bisher, oder? Gebe ich zu. Meiner alten Deutschlehrerin mit den barocken Buttermilchbrüsten hätte das auch nicht gefallen. Ist egal, bin drüber weg, genau deswegen, ist ja mein Text und der spielt eben im Nichts und das Nichts ist sehr verlockend und sehr unvergleichlich, weil es manche Orte auf der Welt nur ein Mal gibt. Sie liegen ohne Grund da, sind vorsinnflutartig, so als hätte Gott, hier einen Tag seiner Schöpfungsgeschichte ausgelassen. Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Poeten und Maler haben es schon mit der Beschreibung dieser leeren  […]

REGEN IM RETIRO

REGEN IM RETIRO

Ja, das waren sie, Tage im Himmel. Tage, die für ein ganzes Leben gereicht hätten. Tage, die Nächte wurden, aus deren Träumen, die Tage waren, die Nächte wurden und wieder Tage und dann nichts, außer dem, was wir in diesem Text von ihnen aufbewahren. Diese Tage ließen sich leben, so wie man sich eines Tages an sie erinnern möchte. Sie sind vergangen und das ist schlimm und das ist schön so. Niemand kann uns diese Tage je wieder nehmen, denn sie sind passiert und ich bewahre meinen Teil von ihnen auf, in einer großen Brust, in der ich alle meine persönlichen Sachen aufbewahre. Wer sie mir nehmen will, muss mich töten, wie einen Stier, mitten ins Herz, dort wo die Tage sind, ohne die ich zu leben, nicht mehr imstande wäre, weil sie eben so passiert sind und für ein ganzes Leben gereicht hätten. Sie sind alles, was wir sind. Manche von ihnen waren so wahr, dass sie beim Leben einen anderen Menschen aus uns gemacht haben. Etwas Unzertrennliches, etwas Ausschließliches, etwas Heimliches, etwas, dass uns gehört, weil nur wir beide davon wissen. Und wenn wir morgen sterben müssten, weil man uns diese Tage wieder nähme, gäbe es heute nichts, dass wir an ihnen ändern würden. Der Tod konnte uns im Westin Palace sowieso am Arsch lecken, die hatten goldene Bidets und Klopapier mit Krone auf jedem dritten Blatt. Wir warteten unverwundbar und sauber auf ihn, draußen wüteten 38 Grad. In Deutschland gäbs sowas nicht. Wahrscheinlich, weil im Kalten das mit der Kacke nicht so schlimm ist, außerdem ist der Tod dort pünktlich. Die Menschen im Westin konnten sich gut hinter ihrer Zivilisation verstecken. Man konnte sie kaum noch erkennen. Sie saßen in sorglosen Anzügen und kurzen Röcken in der Lobby und verschränkten die Beine, so als würde es keine Eier geben oder niemanden, der guckt. So als hätte jeder von ihnen sein eigenes Badezimmer und müsste die Oliven und die Nüsschen, die es zu den Drinks gab, gar nicht selbst verdauen. Das imponierte uns und wir kannten uns zwar gut, aber nicht so gut, dass wir uns zur gleichen Zeit im selben Badezimmer aufgehalten hätten. Wir wollten uns auch nicht ein gemeinsames Badezimmer gut kennenlernen, einige Menschen hatten wir schon zu gut gekannt. Doch nichts konnte jenen Tagen etwas anhaben. Sie beschützen uns seither vor dem Tod, so wie uns die Klimaanlage im Westin vor den 38 Grad und die seine zwei Bäder vor dem besseren kennenlernen beschützt haben. Leider lassen sich diese Tage nicht so schönschreiben, wie man sie gelebt hat, aber sie werden im Prosagebirge durch ihre Einfachheit zu sehen sein, weil sie wahrhaft schön sind und aus ein paar Hügeln kein ganzes Gebirge gedichtet haben. Die Berge waren alle schon da, ich musste sie nur […]

VIER MEHR ALS SIE

VIER MEHR ALS SIE

So, und? Du weißt jetzt natürlich auch nicht, was ich mit meinem Leben anfangen soll, aber irgendwie muss ich damit anfangen. Du sitzt einfach nur so da und liest, wie ich so dasaß und versuchte habe anzufangen. Du tust das in der Bahn, an einem Tisch, ganz woanders, vielleicht an einer Ampel, hinter dir wird schon gehupt, im Rückspiegel siehst du den, der Hupt und einen kleinen, gelben Pickel. Kann sein, dass du gerade frisch vom Chinesen kommst, aus der Mittagspause mit dicken Buchhalterkollegen, die in ihren grauen Anzügen aussehen, wie billige Alpträume und von ihren Frauen sprachen, wie Männer, deren Namen man wieder vergisst. Männer, ohne Frauen. Männer, die sonst nie Frauen haben und alles, was sie von Frauen wissen, von Männern gehört haben. Am Arbeitsplatz angekommen, trinkst du noch einen schnellen Schluck Kaffee, rauchst, liest und hättest deine Mittagspause am liebsten alleine durchgemacht, um Bilanzen auszuwerten oder Paragraphen zu wälzen oder nichts über Frauen zu hören oder Menschen zu untersuchen, die lesen, lesen wie ich versucht habe anzufangen. So fangen wir an! Los geht’s! Bin gerade so gut drin. Ist immer noch besser, als aufzuhören oder einfach so weiterzumachen, wenn das Hirn nicht mehr weiß, wo es hindenken soll. Ist besser als Geburtstagsgrüße mit Kaufempfehlungen von Amazon oder Ansagen im Flugzeug. Besser als lange Ehejahre, Newsletter, Menschen, die frohe Weihnachten wünschen, nachdem man sie bezahlt hat und viel besser als die gestorbendste Abgestorbenheit, direkt hinter Menschen, die sich oft sagen, dass sie sich lieben, weil sie sich nicht mehr lieben, künstliche Dekorationsfrüchte. Ist aber eine andere Geschichte und ich will die hier nicht mit Dekorationsfrüchten ruinieren. Von dem Geld, das die kosten, sollte man sich lieber Kalaschnikows kaufen, Gummipuppen oder Briefmarken, durstigen Kindern in Afrika kaltes Mineralwasser spendieren. Alles besser als Dekorationsfrüchte, denn Dekorationsfrüchte sind tote Natur, Leben mit einer Lüg, eine Form von toter Natur, die mir besonders viel Angst macht, weil sie dekoriert ist. Nur den Tot kann man nicht mit Worten dekorieren. Egal wie schön die Früchte sind. Am Ende der Worte ist immer etwas tot. Miese Dinger, ein Satz über Dekorationsfrüchte und man klingt wie ein obstanbauender Friedhofswärter, den dieses Thema ernsthaft interessiert. Oder wie jemand, der sich gern Kokain von den Geschlechtsteilen ziehen lässt. Wollte ich schon immer einmal geschrieben haben, nur keine Ahnung wie die klingen, mit Sicherheit aufgeblasen. Ganz so schlimm ist es nicht, du wirst das ja am besten wissen. Du bist jener aufmerksame Leser, der über die Aufgabe des Dichters besser Bescheid weiß, als der Dichter selber. Du bist groß, klein, oder Arzt, Anwalt oder Psychopath, geht aber auch beides. Buchhalter oder der aus dem Marketing, den man an der Ampel angehupt hat, weil er unbedingt wissen wollte, wie ich anfange. […]