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BYND

Konstantin Arnold

VINDIMA

VINDIMA

Das Leben ist gut auf dem Land. Es ist schön und hart und einfach und so ist es gut. Das Schöne daran ist, dass es ehrlich ist und mit den Jahreszeiten geht. Das schrieb schon Vergil, fern von Waffen und Eitelkeiten, Sorglos in seiner Ruhe, ein Leben ohne Betrügen. Die Jahre sind lang, Gutes geschieht und manchmal Schlechtes. Alles zu seiner Zeit. Wenn im Frühling der Nordwind weht und die Reben schmucklos sind, fast tot, denkt der Winzer mit Sorge an das Jahr. Drei Mal muss er pflügen, den Grund ständig brechen. Zwei Mal droht Schatten den Reben, zwei Mal Unkraut, so wölkt er auf den Staub, auch wenn die Trauben schon reif sind, ist Unwetter zu fürchten. Das Landleben ist hart, weil man jene Entbehrungen kennt, die etwas kostet, nicht nur seinen Preis. In der Stadt vierdienen wir die Feiertage nicht. Man sitzt am Schreibtisch, wird langsam fetter, steckt Blumen in Vasen, will Birnen im Mai. Landleben ist einfach, weil es nichts bringt, die Dinge noch besser zu verstehen, als sie sind. Sie lassen sich in Arbeit und Mahlzeiten unterteilen. Von Montag bis Samstag. Dann wird geruht, wie in der Bibel, wobei der Kirchgang nur ein Witz ist. Man hat ein Samstagsgefühl, dem ein Sonntagsgefühl einhergeht, zieht sich was Ordentliches an, duscht, versucht sich die Fingernägel zu schrubben, vergeblich. Die Sonntage sind mehr ein Versuch. Sie verdammen zum Nichtstun und traurigen Gedanken. Man kann sie benennen und verstehen und in sich aufheben lernen. Versuchen, dass sie nicht auf Abwege geraten und Ziele anstreben, die nie zu erreichen sind. Die Stadt bringt sie hervor. Man denkt Gedachtes und drückt Ausgedrücktes aus. Fährt schnell für ein bisschen Wind. Lässt sich zu Alltäglichkeiten und Ausschweifungen hinreißen. Streift aus idealistischen Trieben und Sehnsüchten zwischen wunden Seelen umher. Sommer ist in der Stadt nur eine Mode, ein Geruch von Chlor, das in der Sonne trocknet. Wer einmal eine Zeit mit Landarbeit verbracht hat, weiß wovon ich rede. Es ist in erster Linie eine dreckige Arbeit, die umso sauberer wird, je näher sie der Stadt kommt. Es ist Arbeit, weil alle guten Dinge im Leben Arbeit sind. Oliven, Austern, Beziehung. Man versteht dann die, die mit dem Landleben auch in der Stadt weitermachen, abends, mit Dreck unter den Nägeln und Farbe auf den Sachen, geschafft vor einer kleinen Lissabonner Kneipe. Vor randvollen Gläsern mit Oberflächenspannung, Kapillarität nennt man das. Zu denen ging ich, als das Ende des Sommers kam, fragte nach der Ernte und wo man die machen kann. Ich sagte, ich hätte Oliven geerntet, könne hart arbeiten, gut Essen und würde eine Flasche vertragen. Einer sagte, er kenne da jemanden, ich solle morgen wieder kommen. Ich kam morgen und am nächsten Morgen und auch an dem Morgen danach. Ich kam jeden Tag, eine Woche lang. Es waren sehr nette Leute und immer die gleichen und man konnte sich gut an ihnen orientieren. Ich fragte, wo denn nun dieser Herr bleibt, und sie sagten, ich solle mich Gedulden, der würde schon kommen. Einige sagten es nur so, aber ein paar meinten es auch noch als ich weg war. Das Jahr war heiß und die Ernten begannen immer früher und wenn dann Regen kam, zog sich alles noch weiter hinaus. Bei schlechtem Wetter konnte man nicht ernten. Es gibt kein schlechtes Wetter, sagten sie dann, es gibt nur schlechtes Wetter, das in diesen Zeiten sehr gut ist. Ich ließ ihnen meine Nummer da und am nächsten Tag rief auch jemand an. Der Herr war dran und meinte, ob ich die Weinernte mitmachen wollte und wenn ich wirklich eine ordentliche Weinernte machen wollte, dann bei Badula, bei José Marques, im Ribatejo, nördlich von Lissabon. Morgen ginge es los, wenn sich das Wetter […]

NEULICH BEIM WEINHÄNDLER

Neulich beim Weinhändler

Wenn man sich gerade an den Winter gewöhnt, das späte Licht, die kalte Luft, den Mantel, den Regen, wenn man gar nicht mehr daran denkt, dass es je anderes gewesen ist und nie wieder wird, kommt der Sommer plötzlich, wie eine Trennung. Die Tage, an denen Treppenstufen zu Plätzen wurden, weil dort etwas Sonne hinfiel sind vorbei, gezählt, gesessen. Es strahlt dann überall, und die Tage werden länger. Man weiß immer schon, dass etwas vorbei ist, bevor es so ist. Es ist ein feiner Staub, der sich über alles legt, wie die Reste eines Traums. Frühling! Drinnen nackt schlafen und draußen Jacke tragen. Wenn ich nach einem Streit dann so schön weltenverloren durch die Straßen gehe und viele Portugiesen um mich habe, die mich zu einem besseren Menschen machen und denke, sie ist der blödeste Mensch der Welt und auf Deutsch vor mich hinfluche und jemanden treffe, den ich kenne, denke ich das nicht mehr. Mir wird dann schnell klar, was ich habe und dass es nicht selbstverständlich ist, egal wie oft man es haben kann, und dass es mit anderen ganz und gar nie so ist. Sie haben ihre Ansichten und lachen über andere Witze und wollen lieber Bestelltes essen und nicht mehr durch die Straßen gehen, nachdem die Geschäfte schließen. Aber vor allem versuchen sie es und werfen einem ihre Blicke nach, die interessant und selbstbewusst und verspielt daherkommen sollen, und wie ein verschluckter Schrei nach Liebe klingen. Ich fand diese Frauen immer toll, bis ich merkte, dass sie nie sehr lange hielten. Wer wirklich was ist, muss es nicht sein. Sie macht natürlich das, was jede Frau macht, aber sie macht es anders. Sie macht es auf eine Art, die Menschen anzieht, von denen es wenig gibt. Man hat immer die Wahl sich zwischen dem einen und dem anderen zu entscheiden. Das eine ist leichter als das andere, aber das eine führt ins Nichts. Alles hat damit zu tun oder mit dem Ausbleiben davon. Wenn sich Leute eine reinhauen und Beton ans Bein binden, um sich im Tejo zu versenken, hat es damit zu tun. Wenn ich mich für das eine entschied und nach einer langen Nacht dafür schämte und heimlich heulte und dann rausging, und nicht wusste wohin, war die Stadt für mich da, vor allem die Rua João do Outeiro, wo Zé da Mouraria ist. Sie schenkte mir ein Café in der Sonne oder eine schöne Bank und einen netten alten Menschen, der darauf sitzt und sagt: für einen Verrückten bist du eigentlich normal, rede mit ihr. Wir konnten manchmal tagelang kein Wort miteinander reden, aber ohne Reden verstanden wir uns prächtig. Das ist ein typischer Satz, ich weiß, aber ich wollte ihn schon immer mal schreiben. Ich wollte ihn damals schon schreiben, als ich noch Italienerinnen traf und Frauen aus Brasilien, die kein Wort Englisch konnten und der Satz noch weniger stimmte, mit dem Zusatz, dass ich versuchte, ihnen zu erklären, mir bitte ihre Zungen zu zeigen. Am besten lernt man die Sprache eines Landes durch eine Frau. Aber das ist nie so, wie es sich anhört, und nie so sehr so, wie jetzt, und es ist auch jetzt nicht ganz so, denn […]

GENUGTUUNG

GENUGTUUNG

Hätte ichs gestern geschrieben, wäre es nie so geworden wie heute und schreibe ich es heute, ist es nie so gewesen wie gestern. So ist das Leben. Die eigentliche Frage ist doch, wann mein geräucherter Körper hinter meinem Aussehen hervorkommt. Rauchen geht gut, solange einem der Tod nichts anhat, keine Zeichen zeigt. Für was hat man weiße Zähne, wenn nicht für Momente in denen sie schwarz werden? Gestern ist es noch ok mitternachts vor einem Quiosque zu stehen, wochentags, wie immer jung, heute ist man einer von denen. Man denkt ja, es sind immer die anderen, die alt werden und im immer noch vorm Quiosque stehen, sowas passiert einem nicht. Flugzeugabstürze, Leberzirrhosen oder Frauen, die den Gärtnern ficken, nachdem man sich das Leben genauso eingerichtet hat, wie sie wollen. Alles mitnehmen, heißt alles, alles, was das Leben ist und wie es ist, mit all seinen Kindern und Konsequenzen, nicht nur von einem sehr viel. Er hat alles mitgenommen, steht am Ende eines Künstlerlebens gerne auf den Verpackungen. Was da nicht steht, ist alles, was mit einundzwanzig noch stehen konnte, anstatt einer ernsthaften Liebe. Gut, dass mit den Kindern weiß ich selbst nicht. Solange sie einen nur bewundern, weil man scharfe Messer benutzen darf und alles, außer Weinen und Schlafen, besser kann als sie, weiß ich auch nichts damit anzufangen. Ich freu mich mehr, wenn einer was wird, der schon ist. Man sehe dadurch ganz neue Sachen und andere und alte, aber aus einer neuen Perspektive. Ja, das sehe ich auch, wenn ich nachmittags durch Lissabon lauf. Der Wind weht hier gerade noch so die Hitze weg. Immerhin habe ich schon mal allen gesagt, die ich scheiße finde, dass ich sie scheiße finde. Der Brasilianerin bei Ramiro, dem großen Italiener bei Vino Vero und Ricardo, obwohl ich den wieder mag und dass bei Gelegenheit zurücknehmen muss. Erwachsen oder? Es fühlt sich vielleicht einsam und verloren an, aber sehr richtig und man darf es nicht nur nicht tun, weil es sich so anfühlt. Das ist wie nie Schluss machen, weil man eine schöne Wohnung miteinander hat und Pläne und Schwiegereltern, die man mag. Ist aber ein anderes Thema und hat nichts mit dem zu tun, was ich gestern schon schreiben wollte. Es ist heute Morgen nur akut und ich würde mich jetzt gerne wieder vor der Unvollkommenheit der Welt zurück in meine Texte flüchten. Nachdem ich was geschrieben habe, kann ich die Vollkommenheit dann auf ein paar Meter mit ins Leben nehmen. Es ist ein komisches Gefühl, leer und irgendwie demütig und so, als ob ich einen Stierkampf gesehen hätte. Nach einem Stierkampf weiß ich nie, wie ich mich fühlen soll. Meistens wie jemand, der mit jemandem geschlafen hat, den er nicht liebt. Und trotzdem, was war das für ein Wochenende. Fünf Jungs, ein Dorf, eine Stunde von Lissabon. Man könnte mir alles nehmen und mich einsperren. Ich würde in meiner Zelle sitzen, mit der Erinnerung daran, und schmunzeln. Wie wir da hinter den Holzbarrikaden standen und vor den verbarrikadierten Schaufensterfassaden, wie im Krieg. Mit roten Halstüchern, was bei mir ganz schön schwul aussah. Wir standen auf den Barrikaden und Postkästen oder hingen an den Laternen, wenn die Stiere kamen. Mit einem zehn Liter Schlauch Wein, den uns die Frauen nach dem Mittag gaben, weil wir jung sind und schön und der Tod uns nichts kann. Wir wecken Muttergefühle und andere Gefühle und hatten gut gegessen und sie meinten, wir sollten was Ordentliches trinken, wenn wir die Lardgada überleben wollen und den nächsten Tag […]