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BYND

Konstantin Arnold

VIENNA

VIENNA

Wien ist immer eine sehr glückliche Zeit und über glückliche Zeiten gibt es nicht viel zu schreiben, außer, wenn man sich bewusst ist, wie kostbar sie sind und wie leicht sie vergehen, ohne deshalb gleich vorsichtig zu werden. Man muss dafür nicht das Leben eines Toreros führen, es reicht ein Mensch zu sein, der einen anderen liebt und weiß, was passiert und nicht passiert und das nicht ernster nimmt und schreibt, als ob es gar nie hätte anders gewesen sein können. Es ist vielleicht langweilig, wenn zwei Menschen glücklich sind und man nicht mit oder nicht mehr und will, dass sie es auch nicht mehr sind. Wir wollen alle etwas für uns und nur selten wollen wir das auch für andere. Man will nicht lesen, dass ein Paar Straßen ging, die keinen großen Namen haben und in Restaurants aß, die keiner kennt und bei Dinge tat, die niemanden so sehr interessieren, wie sie. Nicht nur das, aber man hat dann eben, was wir alle suchen und kann sich dem widmen, und es, wenn man will, mit in eine Bar nehmen oder ein Tanzlokal oder andere schöne Orte einer Welt aus Hotels und Museen. Gerade weil Wien dann eine glückliche Zeit ist, muss man darüberschreiben. Ich will jetzt aber nicht erzählen, wie toll Wien ist und was man da macht. Ich mache nämlich gar nichts, außer in die Albertina zu gehen und mich danach ins Café Sperl zu setzen, bis die Stunde der Aperitifs schlägt und man ins Gasthaus Grünauer geht. Ich komme zwei Mal im Jahr, seit vielen Jahren. Mein Wien besteht aus Orten, die ich kenne (Sperl, Burgarten, Hotel Bristol) und Orten, die ich nicht kenne (Loosbar) und Orten, die ich kenne (Albertina), aber nie so, wie ich dann bin. Ich kam allein, frisch verliebt, verliebt, etwas weniger verliebt, getrennt, vielleicht doch noch ein bisschen verliebt und schließlich verliebt in die Frau, die ich liebe. Ich kam mit dem Nachtzug aus Florenz, Paris, Zürich, Mailand, obwohl ich in Lissabon, Rom und Madrid und doch nirgendwo zu Hause war. Rastlos unterwegs ins Nirgendwohin. Immer auf Brücken, die Hier und Dort verbinden und mir erlauben, zwischen entschiedenen Handlungen und unwiderruflichen Entschlüssen keine Entscheidungen treffen zu müssen. Durch die Länder, Städte und Dörfer, durch die ich gekommen war, bin ich gekommen, um anzukommen und sie verlassen zu können, ich wusste nicht, wie Bleiben geht, gut ging es mir in der Fremde. Ich war bescheiden aus Hochmut, erbittert gegen die Reichen, ohne Solidarität den Armen gegenüber, nur einmal glücklich als ich in Kunderas Leichtigkeit eine autoritative Bestätigung meiner Instinkte fand. Bis ich eine Frau vor einem Bild traf. Es war Paul Delvauxs Landschaft mit Laternen. Es zeigt eine Frau von hinten, die durch eine Landschaft mit Laternen geht. Irgendwann hören die Wege auf. Die Telefonmasten sind gekappt, die Häuser ohne Dächer, ein toter wird, im Hintergrund, auf einer Trage, durch friedhöfliches Arkadien getragen. Ganz habe ich dieses Bild nie verstanden, bis ich verstanden habe, dass es da nichts weiter zu verstehen gibt. Man muss es fühlen, wie die Farben von Rothko. Ich stand eine halbe Stunde vor diesem Bild und manchmal kam jemand und stellte sich dazu und es war dann ein sehr intimer Moment, so als ob man diesen Moment zusammen im Bett dieses Bildes liegt. Das ist unangenehm. Das Atmen, den Blick im Nacken, den man die Linien lang gucken sieht. Dann kam eine Frau, ich konnte sie spüren und es fühlte sich gar nicht unangenehm an. Ich sah sie an, sah, wie sie das Bild sieht, ohne mich anzusehen. Ihre Augen schienen ganz auf den Farben zu ruhen. Ich sah das Bild gar nicht mehr und sah ihr hinterher. Vor einem blauen Chagall holte ich sie dann ein. Ich sprach sie an und nachdem Museumsbesuch gingen wir was trinken und was essen und dann noch mehr trinken und versuchten, zu erraten, welche Bilder den anderen angesprochen haben. Man kommt sich näher, im platonischen Sinne, der ganz und gar nicht der umgangssprachliche ist. Die Farbe der Leidenschaft ist blau. Nach dem Museumsbesuch geht man eingeharkt durch den Burggarten. Zwischen den denkmalgeschützten Resten der letzten großen Jahrhundertwende. Über Boulevards und Plätze, Kopfsteinpflastergassen, Laufstege des Fin de Siècle auf dem Höhepunkt geistiger Schaffenskraft. Man Sieht das Weiß der Häuser und das Grün der Dächer und das der Statuen, die überall stehen, stolz die Patina schwitzend. Melancholien wie sie sonst vielleicht nur noch die Tuilerien im Herbst in einem erzeugen können. Das nasse Laub, die kahlen Bänke, das Straßenlicht, das auf all das fällt. Freuds Psychoanalyse, Mahlers Theaterrevolutionen, Klimts Bilder. Pausenlose Prostitution, in Sittenrüstungen gequetschte Frauenzimmer, Kaiser, Punker, Reaktionäre. Extreme epischer Dimensionen. Es hatte Gründe, dass Freud, Wittgenstein und Schiele keine Pariser waren. Die Augen sind auf Gefechtsstation. Man trinkt ein Fläschchen, isst Sacherwürstchen mit Kren und spricht über die Bilder, die einen angesprochen haben oder nicht und warum und was man darin gesehen hat. Man kann da sehr gute ein ewiges Ratespiel drauß machen und die Liebe zu Dauer werden lassen. Mit der Frau, die ich damals vor einem Bild traf, wohne ich heute am Meer. Ich habe schon was darüber geschrieben, aber noch nichts, dass so ist, wie es ist. Worte definieren nur einen Teil und einen anderen nicht. Sie können Gefühle nicht fassen, außerdem hat man die schon und muss eigentlich nicht auch noch darüber schreiben. Es reicht, sich vor Bildern zu treffen. Wittgenstein hält dagegen, we alles, was sich sagen lässt, sein kann. Das einzige, was der Liebe dann gefährlich werden kann, sind Gspusis oder Menschen, die versuchen, sie in Worte zu fassen und solange man denen aus dem Weg gehen kann, tut man es besser und die Tage in Wien bleiben glücklich, grenzenlos und frei […]

BAD GASTEIN

BAD GASTEIN

Bad Gastein, hat man vielleicht schon mal von gehört. Wenn nicht ist das auch nicht schlimm. Es interessiert eigentlich auch keinen, bis auf die, die da wohnen und die, die sagen, dass sie da wohnen, obwohl sie meistens in Hamburg oder Berlin sind. Das Bergdorf ist sowas, wie die österreichische Antwort auf St.Moritz oder der Versuch einem gewissen Karlsbader Glanz gleichzukommen, ohne jene Internationalität und ohne, dass jemand gefragt hätte. Es entstand wie alle anderen Kurorte auch, durch Größenwahn und Gründerzeit und weil die Aristokratie Galle spuckte und trotzdem weiter Saufen wollte.  Neben den regulären Kurgästen (Kaisern, Königen, Literaten) kamen schnell Sommerfrischler nach, Grand Nature und noch einflussreiche Leute, die abseits des Protokolls Erfahrungen in erotischen Dingen sammeln wollten. 1905 dann die erste Eisenbahnstrecke, eine Brise Wintersport und die Geschichte ist so einzigartig wie überall und deswegen auch immer schnell erzählt. Bad Gastein ist nur international, wenn man das auch von Berlin-Mitte denkt. Einzigartig ist das radonhaltige Thermalwasser. Es fließt aus 18 verschiedenen Quellen, fünf Millionen Liter am Tag, 46 Grad heiß. Es ist etwas radioaktiv und wird von Kliniken und Krankenhäusern verschrieben, angeblich nur so radioaktiv, dass es die Zellen stimuliert, bevor sie sterben. Allein von 1906 bis zum ersten Weltkrieg entstanden daher 28 Hotels, inklusive Renovierungen. Sie ragen an den Steilhängen empor, stapeln sich übereinander, kämpfen um den besten Blick, gegen’s ganz große Vergessen, 1000 Meter über dem nächsten Meer, der Adria. Ich glaube, man merkt schon, ich habe meine Probleme damit. Nicht, dass mich die Bilder eines gelben, großen, leerstehenden Grand Hotel de l’Europe nicht seitjeher begeistern, aber irgendwas hinderte mich stets daran, dort mit meiner Hotelbegeisterung aufzuschlagen und ich weiß jetzt auch was. Es ist dasselbe, was mich auch vom Adlon in Berlin fern hält und gewissen, berühmten Häusern in New York. Es sind nette, aufgeregte Leute aus der Stadt, die Kaffee im Gehen trinken und mit ihrem Stadtleben einfach auf dem Land weitermachen; das Fehlen Einheimischer, die so herzlich sind, dass sie gar nicht mehr nett sein müssen und immer noch meinen, dass man bei Halsschmerz besser warmen Schnaps mit Honig trinkt, als lederfreie Medikamente mit Lachs und Ozon aus biologischem Anbau. Die meisten kommen aus Berlin und selbst die, die nicht aus Berlin sind, sind so. Es sind die gleichen Leute wie überall oder es sind andere, Hotelbedienstete, Kellner, Saisonarbeiter, Künstler und Kinder, die Künstler Künstler werden wollen. Bad Gastein trägt so schreckliche Titel wie das Berlin der Berge oder das Manhattan der Alpen und will sich ständig mit anderen Orten vergleichen, um zu existieren. Der Deutsche Kaiser kam zwanzig Sommer, Freud samt Psychoanalyse-Boheme, Mozart wurde hier gezeugt, alles schön und gut (für Leute, die andere Leute brauchen, Epochen und Expats, die vielleicht noch keine anderen Alpentäler gesehen haben: St.Moritz, Gstaad, Klosters). Ein ordentliches Hotel hält die Listen seiner berühmtesten Gäste geheim und Bad Gastein ist ein Ort, der wirklich nur aus Hotels ist. Der Kellner ist Italiener, der Concierge Genovese, der Portier aus der Slowakei, der Koch Spanier, die Hausdame Portugiesin und der Barmann ein Österreicher, immer noch kaiserlich, selbst wenn er Befehle empfängt. Alle samt aus der Enge ihrer patriotischen Gefühle befreit und der dumpfen Selbstverständlichkeit ihrer Heimat, für die keiner was kann, da die Welt nicht, wie gerne angenommen, aus nur einem einzigen Ort, sondern Millionen Orten besteht, die sich alle für die einzigen halten, so wie BeGe. Ich hasse Abkürzungen, früher schon, so wie später treffen an der Bushalte? Deswegen lebe ich doch gerade in den Hotels. Dennoch: Am Ende des letzten Sommers, den wir in Slowenien verbrachten, wars dann soweit. Die Fahrt ging von Ljubljana nach München und ich sah, dass Bad Gastein auf dem Weg ist. Außerdem gabs da diesen sehr netten Kerl, der meine Geschichten kannte und Bad Gastein. Er erzählte mir davon, erzählte von großen, leerstehenden Hotels, die verfallen oder bald renoviert werden, einem wilden Hotelwesten. Grand Hotel Ruinen der Belle Epoque, der letzte große Jahrhundertwende, genau mein Ding. Sie würden den Leuten als Bühnen dienen, um sich aufzuführen und mit Leben gefüllt, genau wie in meinen Geschichten. Das Hotel Europe wäre die Inspiration für Wes Andersons Budapest Hotel gewesen (so wie viele andere auch) und es gäbe da heimliche Berghain-Parties, Ausstellungen, Fetischnächte, bei denen sogar schon Sebastian Kurz vorbei geschaut hat. Eyes Wide Shut. Dazu ein verrückter Haufen Architekten und Designer, die dafür sorgen, dass die Bad Gasteiner Mode auch in diesem Sommer wieder schwarze Joggingsachen mit Turnschuhen ist. Man könnte noch richtig in den Hotels leben, obwohl ein Hotel ja eigentlich immer ein Haus ist, in dem man nicht zuhause ist. Die Möbel gehören mehr denen, die sie putzen, der Portier bewacht die Nacht und Nachtisch ist eher Pflicht Kellnern gegenüber […]

SCHARLATAN

SCHARLATAN

Ich habe schon viele Anfänge gehabt. Sie kommen, wie sie gehen. Man will los schreiben, aber dann passiert wieder was oder man ist in Wien und nichts ist mehr wichtig, außer dass man Geld verdient, um sich das Leben und das Schreiben zu leisten und diese Creme, die man sich morgens und abends in den Arsch schmieren muss. Die Creme hat einen schmalen hundepimmelartigen Aufsatz, den man sich einführt. Und so stehe ich, morgens und abends, egal wie betrunken, egal wie verklemmt, mittellos in der Opernsuite des Bristol-Hotels und kämpfe gegen Hemmungen, Hämorriden, Zeitungen, Verleger, den Ausverkauf, der ganzen verdammten Welt. Zwei Schlafzimmer, drei Bäder, Türen, die durch Schränke gehen und viertausend Euro im Dispo wären auf meiner Seite. Wenn man so arm dran ist und sich dann noch was in den Arsch stecken muss, braucht man Menschen, die dafür bezahlt werden, dass sie nett fragen, wies einem geht. So wie Herr Baur, der Maître des Restaurants, der meint ich sei dünner geworden. Das wären die kürzeren Haare oder der Bart, Durchfall will ich nicht sagen. Egal, ich soll hier was und spare mir Mahlzeiten anderswo. Was für ein netter Mann. Die Zeitung ist morgens auch immer da. Genau wie die Sehnsucht nach meinen dunklen leidenschaftliche Portugiesen, die in aller Herren Ländern arbeiten und ihre besten Jahre opfern und dann hoffentlich noch welche haben, wenn sie heimkehren mit Geld und Erinnerung an ihre dunklen Dörfer und Landalleen. Portugiesen sind Weltentdecker, Astronauten der Vergangenheit, aber seitdem die Welt entdeckt ist, müssen sie aus anderen Gründen gehen, um die Entfernung zu spüren, zu dem, was man liebt. São Paulo, Macau, Hongkong, Südchina, Wien, Urlaub in Mosambik, wo man Frauen kennenlernt und eine, mit der man die Zeit in den Jahren danach rumkriegt. Man erkennt sie daran, dass sie selbst im Wiener Sommer noch Jacken tragen, zumindest Jacketts. Einer Paar saß im Flugzeug uriberisch neben mir. Mit dieser den Sinn gefangen nehmenden Menschlichkeit, dem Wissen, was Essen und Teilen ist, Leben mit Wein. Ihrer Milde vor der ganzen Rauheit des Atlantik. Eine maurische Ruhe ging von ihnen aus, hellenische Klasse, ein südhemisphärischer Geist. Ich wollte am Flughafen gar nicht von ihnen gehen. Überall sieht man glückliche Touristen, die im T-Shirt vor einem Essen in der schwachen Aprilsonne zwischen den Wolken sitzen. Sie kommen aus London oder Paris, aber wer Lissabon kennt, hat es schwer, irgendwo anders glücklich zu werden. Man schaue dafür nur auf die portugiesischen Kellner im Bristol, die verfolgt von Geldsorgen und Erinnerungen manchmal beim Abräumen eines Tisches verharren und ins Leere blicken, durch die blassen Fenster aufs ganze Nass und sich nach Portugal sehnen. Die Sonne ist für sie nicht nicht mehr als ein Gerücht über den Wolken. Denn irgendwann wird dieses leichte Grau über all den Dingen und Dächern in Schluchzen ausbrechen, voller Mitgefühl für sie und alle Menschen auf der Flucht, Betrogene und Boxer, die in er der ersten Runde k.o. gehen, Autoren, die seit Tagen nur auf dem Klo sind. Die Wurzeln dieses Gemüts liegen in den tiefen Katastrophen und Niederlagen, die dieses Volk aus Seefahrern und Fischern hinnehmen musste. Erdbeben auf der Höhe der Aufklärung, Voltaire gegen Leibnitz sei dank. Vier Jahre Kolonie Brasiliens, aufgrund peinlicher Brüderkämpfe. Eine Diktatur, aber heute ein verlässlicher Freund in Europa, eine Zierde für die Demokratie, wenn man sich, dem Ozean abgewandt, das Ausmaß der Korruption mal wegdenkt. Denn der Atlantik ist es, der keine Hochmut zulässt. Dafür aber einen sehr attraktiven Ernst, und einen Stolz, sich nicht würdelos zu widersetzen, wenn man mal aus höchsten Höhen in die tiefsten Tiefen fällt, als mächtigste aller Mächte. Sie sind tiefer in ihrer Freude, dauerhafter in Beziehungen, inbrünstiger im Gebet, also das Gegenteil von Italien. Selbstbewusst, trotz  einer Randständigkeit im Schatten der Mächte, die ihnen eine rettende Nebenrolle im großen Krieg zu teilten, als Europa endet, und in Portugal die Unendlichkeit beginnt. Dieses Volk ist bescheiden, es mahnt leider, zeigt weniger als andere auf andere und die Misthaufen unserer Zeit. Ihre Verbindungen haben nichts von der üblichen Überquerung von Grenzen und dem herkömmlichen Anspruch den Liebende stellen. Allein wie meine Freundin mit Niederlagen und Rückschlägen umgeht, wie sie ihre Klagen lebt und Wünsche. Ich weiß noch wie lang sie an diesem Kleid vorbeiging und schwärmte, bis ich es ihr kaufen konnte. Oder wie lang sie mit einem Telefon telefonierte, das aussah, wie aus dem Fenster geworfenes Glas. Sie hatte auch mal eine seltene Hautkrankheit, die ihr Gesicht anschwellen ließ, was sie aber nicht davon abhielt (und mich auch nicht), abends noch mit auf ein Glas zu gehen und zu lachen, auch wenn das weh tat. Durch diese schwere Innerlichkeit sind die heiteren Stunden des Apéro doch möglich. Ich liebe dieses Land so sehr, dass man einfach nicht davon kommen kann, ohne es ein bisschen länger beschrieben zu haben, selbst wenn man lange schon im Hotel in Wien ist. Ein Hotel ist ja ersteinmal ein Haus, in dem man eigentlich nicht zuhause ist. Die Zimmer gehören mehr denen, die es aufräumen, den Eingang bewacht ein Portier, der Nachtisch ist eine Pflicht den Kellnern gegenüber.  Aber es gibt auch Hotels in denen du richtig leben kannst, mit Durchfall wie in deinem Leben, sogar daran sterben könnte man da. Ob man jedoch in einem Hotel zuhause ist, wird erst im Ernstfall klar, aber das Bristol in Wien ist so ein Haus, genau wie das Sulthanamet in Istanbul oder das Grand Hotel du Cap-Ferrat an der Riviera. Vor allem aber im Bristol ist die Stadt mit im Zimmer, obwohl man ganz wunderbar alleine ist, während man sich ausscheißt und ausscheißt und vielleicht aus dem Fenster schmeißt, wenn man weiter so scheißt. Man wird zum Mitbürger einer Straße, eines Viertels, einer Idee. Im Spiegelschrank über dem Klo bedauert dich der Abendglanz der Stadt durch die Fenster: Welt genug. Tausend ferne Geräusche bauen Stille um dich her. Im Lack der Autos unten präsentieren sich die Lichter der Auslagen und grüßend sehen die Reklame von den Dächern auf meine kleine Welt. Nachts um drei noch nach Kohletabletten zu fragen oder einem Chirurg ist auch nichts schlimmes. Die fremdartigsten Dinge werden mit uralter Sicherheit in die Atmosphäre einbezogen. Der Arzt sagte, normalerweise blieben die Leute heute nicht mehr so lang in solchen Hotels, dass Durchfall samt Folgen in ein und demselben Zimmer bekämpft werden. Er sagte, sie schleppen ihn mit sich rum. Ich sagte, ich würde abwechseln und hätte drei Klos. Die ersten Nächte waren lang, jetzt bin ich auf Kohletabletten und kann langsam wieder Tafelspitz essen. Gestern war ich mit Durchfall sogar bei Vivaldi. Dem Doktor gefiel der auch. Das sowas Menschen machen. Wir waren beide der Meinung, dass OP.8. Nr. 2 Sommer RV315 Ill Pesto natürlich das Beste ist, aber ohne die anderen Lieder gar nichts wäre. Ein ultimativer Moment, der sich dazwischen nicht nur verschwendete. Natürlich wussten wir die genaue Bezeichnung nicht, die mussten wir googeln. Er beschrieben mir das mit einem Bienenschwarm und ich mit Bauchkrämpfen. Er sagte er liebe Vivaldi, nur nicht in G-Moll und ich sagte, ja klar, so als wüsste ich was er meint. Hier wüssten man aber auch wo meine Beschwerden herkommen. Durchfall und der kalte Stein auf den Sitzbänken in der Karlskirche, das vertrage sich nicht mit Tafelspitz und Blauburgunder. Auch wenns nur ein Achtel ist. Aber wir hatten gute Plätze ganz vorn, beheizt. Ich beschrieb ihm den schönen Geruch meines Sitznachbarn, der sich mit der Musik zusammentat. Es war eine Mischung aus Sachen, die noch von Mama gewaschen wurden, Motten und Hautcreme. Draußen nach dem Konzert sahen wir uns wieder. Ich sah erst ein schönes großes Mädchen und dann ihn. Das Schöne lauert überall, man sieht es in allem und jedem, und in Frauen, die einem hinterhergucken meistens als etwas, das gerade noch wegonaniert werden kann. Ich ging zu ihm ihn. Sein Name war Mario. Er verhielt sich wie jemand, dessen Vater ein berühmter Opernsänger in Mailand ist und trug auch solche Sachen. Lottriges Zeug mit Motten, dass vor ihm schon hundert andere anhatten. Mario war Ende dreißig, Single und stand noch auf Gästelisten. Ein ganz normaler Berliner. Drogennehmen ohne Selbstverantwortung, bis Papa aus Mailand kommt und den Perserteppich ausrollt auf dem man sich und seinen Selbstmordversuch auskotzen kann. Menschen wie Mario kommen direkt hinter jungen Australiern, die nicht mitbekommen haben, was in Europa los war, die letzten 2000 Jahre und jetzt Jesus entdecken und Menschen mit ihren Aszendenten belästigen. Seine Heimat war Mailand und Wien und seine Heimat konnte nicht Berlin für ihn sein. Er wollte anfangen, wie multikulturell und […]

ANFÄNGER

ANFÄNGER

Ich kann meine Erfahrungen nicht mehr auseinanderhalten, sie Menschen und Momenten zu ordnen. Zeit und Ort mit Erlebtem versehen, wie bei einem Dokument, das in Erinnerungen abgeheftet wird oder als kleines privates Abenteuer, das nie gesagt, aber geschrieben wurde. Man kann die Dinge nicht einfach so schreiben, selbst auf Bildern verschwimmen sie, greifen von der Stadt einer Erfahrung in die nächste über. Und wenn man sie dann schreibt, um den Menschen davon zu berichten und sie von einander fern zu halten, kann man sie nicht schreiben, ohne emotionales Zeug dran, mit dem sich die Leute selber infizieren, die das lesen. Sowas wie Tod, kennt jeder oder hat zumindest schon mal davon gehört, wie man von einer Fernreise hört, die jemand macht, den man gut kennt und das Gefühl auslöst, selbst am Balkonfenster dieses Hotels zu stehen und in die heißen Straßen zu blicken, obwohl man hiergeblieben ist. Sind ja schon dümmere vor uns gestorben. Aber keine Angst, die Mission hält uns am Leben. Vom allgemeinen zum speziellen bedeutet das: Die guten Zeiten bringen uns um. Wir sind am Ende dieser Geschichte so fertig, dass wir zehn Stunden schlafen und immer noch fertig sind. Die Tage hatten nie genug Stunden und die Nächte waren kurz. Wir wollten ja ins Bett, aber natürlich raucht und trinkt man noch einen mit, stirbt ein bisschen mehr, besonders, wenn man selbst der Grund fürs Trinken ist. Ich glaube, ich kann meine Leber fühlen, weiß jetzt genau wo sie sitzt. Aber vielleicht ist das gar nicht die Leber, das wäre schön. Mein Problem? Ich kann keine Mahlzeiten mit Menschen zu mir nehmen, die mir was bedeuten, ohne Wein. Sie wollen, dass wir trinken und sie wollen, dass wir rauchen, ohne rauchen und trinken zu müssen. Eine, und noch eine, einen nach dem anderen, weiter, immer weiter, mehr und mehr, immer leichter wird es schwer, so wie bei Stierkämpfern, die sich immer näher an den Tod heranwagen müssen, weil sich die Menschen einfach an alles gewöhnen, an das Schlechte, und auch an das Gute, daran, dass man fressen kann, ohne fett zu werden, dem Tod von der Schippe springt. Haben wir das Spiel zu weit getrieben? Die Verzeihung der Jugend verzockt? Intensität und Genuss, ohne die Gefahr eines drohenden Krieges. Gar kein schlechter Organismus, ich weiß, bin Zeuge meiner eigenen Empfängnis geworden. Man darf das nicht tun, nur weil es ein Klischee ist, aber man darf das auch nicht nicht tun, nur weil es eins ist. Man trinkt und raucht nicht auf seiner Lesung, um einem Ideal näher zu kommen oder einer Geschichte, die man selbst von sich geschrieben hat, sondern um sich festzuhalten, wie an einem Geländer. In Wien werden Legenden so Wirklichkeit, in Paris ist das umgedreht und in Zürich hat es nie Legenden gegeben. Man steht da, verabschiedet sich und jeder geht in seine Stadt. Die Ländergrenzen verschwimmen zwischen Phantasie und Wirklichkeit. Wo fängt das eine an, wo hört das andere auf und hört das eine überhaupt auf oder fängt das andere nur an? Siehst du, wir können ja nicht mal vom selben Land reden, wenn wir vom gleichen sprechen. Vier Flüge, acht Züge und weiß ich wie viele Taxifahrten später. Wo ist eigentlich mein Handy? Wenn man in drei Wochen drei Opernhäuser sieht, macht das was mit einem. Die kleineren Städte und München gar nicht mitgezählt. Die Münchner Oper wäre in Paris oder Wien ein Schuppen, in den man Dinge stellt, die man nicht braucht, aber auch nicht entsorgen kann, weil man sie von einem Arschloch bekommen hat, das das ganz genau wusste. Ach es war doch ein sorgloser Sommer. Wir fickten, als ob es keine Kinder gäbe. Fuhren von Stadt zu Stadt, Freunden zu Freunden, und den Freunden, zu denen wir fuhren, waren die Freunde, von denen wir kamen, total egal. Wir sprachen Englisch in vielen verschiedenen Sprachen und wie die Leute mit uns Englisch sprachen, verriet uns viel über die Sprache, in der sie es sprechen konnten. Wir wohnten in guten Hotels, besuchten Museen, liefen durch Parks, saßen in Cafés, standen an Kästners Grab und wollten Wein draufkippen, hatten aber keinen dabei. Wir waren jung und frei und froh, bis auf die Probleme der Vorstellungskraft, die wir uns selber machten. Richtige Probleme hatten wir nicht, obwohl die nie so schlimm gewesen wären, wie die, die wir uns selber machten […]

ANSTÄNDIGES

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Wien, spätabends, Hotelbar. Gerade gelandet. Im Bewusstsein der eigenen Einzigartig sitzen wir vor den Drinks. Geht gar nicht anders. Ist überlebensnotwendig, am Ende der Zeit so vor den Drinks zu sitzen. Ich, mein Wiener Lektor und meine portugiesische Freundin sollte auch jeden Augenblick kommen. Sie hat einen späteren Flug genommen. War vielleicht besser so, für uns und all die anderen Passagiere. Warum wollte mein Lektor auch gleich wissen und ich habe ihm davon erzählt, wie wir letzte Nacht in Lissabon damit verbrachten, über die großen Fragen der Kunstfreiheit zu streiten, uns auf Wien einzustimmen. Das war aber kein Diskutieren mehr, das war Krieg. Aufs Äußerste. Seelische Zerstörung. Irgendwann wurde nur noch mit Polemik aufeinander geschossen, bis ins Herz und am Ende der Nacht fiel die Atombombe der Moral noch auf uns drauf. Aber wir werden unseren Streit schon beilegen. In einem warmen Kaffeehaus oder einer ordentlichen Bar. Irgendwo, wo man nicht schreien kann. Wenn wir Tage und Nächte im Sperl verbrachten, wurden es immer gute Tage und Nächte. Die Nächte unterscheiden sich von den Tagen sehr. Sind zwei verschiedene Cafés, aber beide sind wunderschön. Wichtig ist nur, dass das Wetter schlecht ist, was nicht heißt, dass das Wetter schlecht ist. Denn nur so entlädt sich die Stimmung in einer kosmischen Geborgenheit, an den Fenstern und zwischen den Sitzecken im Saal. Abends, wenn einem die Parks und Museen in den Waden lagen, und morgens, vor allem Anfang. Wir haben uns so auf Wien gefreut. Auf das Weiß der Häuser und das Grün der Dächer und das Gold der Statuen, die da so stehen, Patina schwitzend, in meiner Erinnerung. Man guckt die Statuen in den Parks an, bis sie lebendig werden. Es sind jedes Mal die gleichen Statuen und es sind immer andere, weil wir jedes Mal als Andere in diese Stadt zurückkehren. Aber die Stadt hält immer etwas bereit, egal als was wir gekommen waren. Das nasse Laub, die kahlen Bänke und das Straßenlicht, das auf all das fällt. Eine Mischung aus allem, so wie das Wienerische eine Mischung aus allem ist. Aus Ost und West und Nord und Süd. Dazwischen die denkmalgeschützten Reste einer großen Jahrhundertwende, in der hier alles aufeinander knallte. Es hatte Gründe, dass Freud, Wittgenstein und Schiele keiner Pariser waren. Zu bunt die Neurosen, an denen sich ihre Gehirne austoben konnten. Den Herren war scheißegal, was sich schickt oder was wir denken oder wie gedacht werden sollte. Nur, dass gedacht wird, war ihnen wichtig. Und die Menschen waren froh, dass sie die dunklen Dinge für sie dachten, sodass man sich gutbürgerlich, mit Abstand, über ihre Werke aufregen konnte. Vor allem über Schiele, das war noch ein Kerl, ein Zeitalter, Mut! […]

PARADIES

PARADIES

Ich war im Paradies. Ich habe es gesehen, geschmeckt, getrunken. Ich habe es gefühlt und bezahlt, benutzt und überwunden. Es war warm und ruhig und weich. Groß und geborgen. Nicht wie ein bebender Busen groß und geborgen, mehr in sich eingerichtet wie mit schweren Möbeln vollgestellte Umarmung, ein mit Erinnerungen tapeziertes Schulterklopfen. Es ist dort und hier und da, nur nicht überall und in der Luft schwebt die Gunst hoher Ahnen. Es kann öffnen und schließen. An guten und an schlechten Tagen. Es ist da, immer für dich da! Ob du vor Einsamkeit flüchtest oder einfach genug hast, von den grellen, heißen Plätzen des Lebens und Schatten suchst im inneren deines Gerichtshofs. Es wärmt dich auf, nimmt dir das Gepäck und die Kälte ab, genauso wie dir das erste, durch knallrote Lippen gesagte Bom Dia, nach einer langen Bom-Dia-losen Zeit, den Winter abnimmt. Willkommen im Paradies. Hitler war auch schon da. Bis der kam, durfte jeder ins Paradies, du konntest sogar dein Pferd mit reinnehmen. Seither müssen Hunde und Wixer draußen bleiben. Moralisten und Männer mit antrainiertem Brustmuskeln. Alle, die gerne leise Radio hören, nicht wählen gehen, graue T-Shirts tragen und von Vanilleeis fickrig werden. Menschen mit Meinungen und Roboter, die das Leben auf Zahlen und Fakten reduzieren wollen. Denn im Paradies lebt man in einer glücklichen Zeit, weil man weiß, dass man in einer glücklichen Zeit lebt. Man sitzt alleine in Gesellschaft. Schmiegt sich an steife Lehnen, die nach einigen Stunden Rückgrat beweisen und atmet die Gunst hoher Ahnen von Polstern, die über Weltkriege hinweg butterweich gefurzt wurden. Auf ihnen vollführen Männer und Frauen seit jeher ein endlos laufendes Schauspiel, den ewigen Gruß ihrer Geschlechter. Eine sich liebende Feindschaft, zwei fremde Welten, die versuchen, sich zwischen Lehen, Polstern und Ahnen so   […]

 

TRADITION

Ich habe mein letztes Bild für einen Bauchnabel-Piercing in Innsbruck verschwendet, weil ich nie gedacht hätte, dass die Steiermark schöner ist als Italienisch aus Südtirol. Alles, was du jemals über Österreich gehört hast, stimmt! Auch, dass Wiener Würstchen in Wien Frankfurter heißen und es in Salzburg keine Stereotypen gibt. Dafür aber Tristesse inmitten hügeliger Geborgenheit, die sich an die unbeeindruckte Aussprache gleicher Buchstaben klammert und im Gasthof Richter dafür sorgt, dass man nach dem Apfelstrudel direkt etwas Rauch in die feierabendliche Routine blasen darf. Auch, wenn du dazwischen gepresst irgendwas mit Medien machst, bleibt der Dartautomat hier immer noch das modernste Stück Inneneinrichtung. Denn Schnee von gestern liegt hier bis heute. Also von nun an in Wörtern, für die mir die Bilder fehlen. Und in bereichernden Unterhaltungen, die wir nur schlecht verstehen. Zum Frühstück in den Kaffeehäusern der Hauptstadt und zum Wohlfühlen in Graz. In einem ebenerdigen Büro mit Schaufenster, durch das wir uns gerne beobachten lassen, während wir mit verschränkten Beinen und roten Marlboro über kreative Schaffensprozesse und menschliches Geltungsbedürfnis debattieren. Zwischen Poeten und Proleten. Immerhin sehe ich aus, als würde ich ins Fitnessstudio gehen. Vor allen nach der ersten Flasche Zirbenschnapps, durch die wir später auf dem Teppich vor der Rezeption vom Hotelchef geweckt werden. Leider zu spät fürs Frühstück, aber sieben Scheiben Kärntener Schinken sind immer hin auch ein Schnitzel und auszubildende Hotelfachfrauen herzerwärmend verständnisvoll. Jetzt vielleicht doch dieser Algensmoothie, der mich im südfranzösischen Wahnsinn der letzten Woche immer wieder vergessen ließ, dass ich überhaupt geraucht habe. Oder frische Bergluft mit Falco und Exhibitionismus auf 1900 Höhenmetern. Gerne auch endlich eine neue DB Mobilausgabe im Intercity zur Feier der gespeicherten Anmeldedaten. Denn Voraussicht ist wichtig. Ob bis zu einem Masterstudium in Lissabon oder der richtigen Geschichte zum Portugal Pro kann ich ohne Umpacken direkt bis nach Griechenland fliegen. Sitzend, aber in Bewegung kommt es schließlich nicht darauf an was geschrieben wird, sondern wie. Der Inhalt unzeitgemäßer Erotikmagazine an Autobahnraststätten bestätigt die Ausnahme […]