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BYND

Konstantin Arnold

ANSTÄNDIGES

ANSTÄNDIGES

Wien, spätabends, Hotelbar. Gerade gelandet. Im Bewusstsein der eigenen Einzigartig sitzen wir vor den Drinks. Geht gar nicht anders. Ist überlebensnotwendig, am Ende der Zeit so vor den Drinks zu sitzen. Ich, mein Wiener Lektor und meine portugiesische Freundin sollte auch jeden Augenblick kommen. Sie hat einen späteren Flug genommen. War vielleicht besser so, für uns und all die anderen Passagiere. Warum wollte mein Lektor auch gleich wissen und ich habe ihm davon erzählt, wie wir letzte Nacht in Lissabon damit verbrachten, über die großen Fragen der Kunstfreiheit zu streiten, uns auf Wien einzustimmen. Das war aber kein Diskutieren mehr, das war Krieg. Aufs Äußerste. Seelische Zerstörung. Irgendwann wurde nur noch mit Polemik aufeinander geschossen, bis ins Herz und am Ende der Nacht fiel die Atombombe der Moral noch auf uns drauf. Aber wir werden unseren Streit schon beilegen. In einem warmen Kaffeehaus oder einer ordentlichen Bar. Irgendwo, wo man nicht schreien kann. Wenn wir Tage und Nächte im Sperl verbrachten, wurden es immer gute Tage und Nächte. Die Nächte unterscheiden sich von den Tagen sehr. Sind zwei verschiedene Cafés, aber beide sind wunderschön. Wichtig ist nur, dass das Wetter schlecht ist, was nicht heißt, dass das Wetter schlecht ist. Denn nur so entlädt sich die Stimmung in einer kosmischen Geborgenheit, an den Fenstern und zwischen den Sitzecken im Saal. Abends, wenn einem die Parks und Museen in den Waden lagen, und morgens, vor allem Anfang. Wir haben uns so auf Wien gefreut. Auf das Weiß der Häuser und das Grün der Dächer und das Gold der Statuen, die da so stehen, Patina schwitzend, in meiner Erinnerung. Man guckt die Statuen in den Parks an, bis sie lebendig werden. Es sind jedes Mal die gleichen Statuen und es sind immer andere, weil wir jedes Mal als Andere in diese Stadt zurückkehren. Aber die Stadt hält immer etwas bereit, egal als was wir gekommen waren. Das nasse Laub, die kahlen Bänke und das Straßenlicht, das auf all das fällt. Eine Mischung aus allem, so wie das Wienerische eine Mischung aus allem ist. Aus Ost und West und Nord und Süd. Dazwischen die denkmalgeschützten Reste einer großen Jahrhundertwende, in der hier alles aufeinander knallte. Es hatte Gründe, dass Freud, Wittgenstein und Schiele keiner Pariser waren. Zu bunt die Neurosen, an denen sich ihre Gehirne austoben konnten. Den Herren war scheißegal, was sich schickt oder was wir denken oder wie gedacht werden sollte. Nur, dass gedacht wird, war ihnen wichtig. Und die Menschen waren froh, dass sie die dunklen Dinge für sie dachten, sodass man sich gutbürgerlich, mit Abstand, über ihre Werke aufregen konnte. Vor allem über Schiele, das war noch ein Kerl, ein Zeitalter, Mut! […]