WEISSE NÄCHTE
Es war ein schöner, sonniger Nachmittag, als wir in jenem Teil der Welt ankamen, durch den man den anderen und dann die ganze Welt besser versteht. Von einem Chauffeur und einem Bad in der Dostojewski Suite des Grand Hotel Europa trennte uns nur noch die Laune eines russischen Grenzbeamten. Die Sonne fiel durch die Fenster und heizte die Luft auf, das machte die Szenen dramatischer. Im schlimmsten Fall würden wir die Nacht am Flughafen verbringen oder einen Flug finden, den wir uns leisten können, zu einem besseren Flughafen, an dem die Männer keine Schlagstöcke tragen und die Sonne nicht so heiß durch das Glas fällt. Der Tag hatte sehr aufregend begonnen. Man wollte uns schon am Morgen in Lissabon nicht ins Flugzeug lassen. Warum weiß ich auch nicht, aber ich wusste, dass ich mir von dieser Flughafentante, mit ihrem Flughafentablet, nicht unsere Träume zerreißen lasse. Da standen wir, frühs um vier, mit all unseren Dokumenten in Urlaubsklamotten am Check-in und die Tante meinte, wir dürften nicht fliegen. Meine Freundin versuchte es unter Tränen und ich machte einen fürchterlichen Aufstand und sagte, sie müsse uns doch wenigsten die Tickets nach Paris geben, mir doch egal was ihr Flughafencomputer sagt, in dem schlägt kein Herz. Ich wusste, wenn wir einmal in Paris wären, würden wir es nach St. Petersburg schaffen und wir schafften es ja auch, so wie ich es ihr an jenem Morgen in Lissabon versprochen hatte. Jetzt mussten wir in Russland nur noch nach Russland kommen. Man nahm unsere Pässe und ließ uns stehen. Bestimmt eine Stunde. Dann kam einer mit Polizeihut und meinte, wir dürften nicht einreisen. Und wieso? Weil wir über Paris geflogen wären. Das war doch aber Transit. Er sagte, ja er wisse das, aber das wäre egal. Und nun? Wir hätten zwei Möglichkeiten, entweder wir fliegen nach Helsinki und kommen mit einem Direktflug wieder oder wir kaufen Fußballtickets für die Europameisterschaft und lassen uns eine Fan ID machen. Ja, das war das Level und wir kauften Tickets für ein Spiel, dass wir nie sahen und wurden Fans eines Landes, das wir nicht kannten und durften Einreisen. Ich hätte nie gedacht, dass mich der Klang eines Passstempels mal so glücklich machen würde. Wir sind Europäer und ich dachte daran, wie es wohl ist, keiner zu sein und wie sich Stefan Zweig damals fühlte und was er mit gültigen Papieren und seinen Büchern meinte und ich dachte an all die anderen, die nach Lissabon kamen und auf ein Visum hofften, weil sie den Krieg im Nacken hatten. Was Ost und was West bedeutet, erkennt man dort, wo sie unmittelbar aufeinander knallen. Grenzbeamte sind menschenverachtend und das schlimmste an ihnen ist: sie genießen diese Verachtung sehr. Sie sind das Erbe unsere Abgründe, das, was uns voneinander trennt und in Nationen unterteilt. Diese Leute arbeiten zwischen Gesetzen, spielen Gott. In dieser staatenlosen Welt ist man machtlos. Sie schauen einen minutenlang an und sie schauen deine Freundin noch viel minutenlanger an und fragen, ob das wirklich sie ist, da auf dem Foto und ob sie sich mal drehen könnte, und man will ihnen dafür auf die Schnauze hauen. Ich sehe sie nicht als Freundin, oder das, was ich damit verbinde, weil ich viele schlechte Männer davon reden höre. Ich sehe sie als das heiße Mädchen, was sie ist und für das ich kämpfe und das mit mir gekommen ist, weil sie mit mir kommen will und ich der Mensch bin, mit dem sie all diese Dinge tun will und all diese Orte sehen will. Man hatte uns gesagt Russland wäre kein guter Ort für die Liebe, aber das wollte ich nicht glauben. Nicht einfach so. Nicht St. Petersburg. Puschkins Weltstadt […]