SETZ DICH!
Als ich das Hauptgebäude verlasse, ist es windig und eigentlich schon viel zu spät. Die meisten meiner Kommilitonen verlassen mit zielstrebiger Miene den Campus, um das Geplante zu erleben. Ein paar chinesische Austauschstudentinnen versuchen vergebens ihre Frisur ins Wochenende zu retten. Es ist Freitag auf dem Campus der Waikato Universität und ich bin völlig übermüdet. Erst seit letzter Nacht bin ich von der Ostküste zurück. Ein tropischer Wirbelsturm hat mich durch Zufall mit dem Ort bekannt gemacht, an dem ich zumindest für einige Wochen meinen neuseeländischen Sommer verbringen werde. Den Umständen entsprechend ist mein fünfhundert Dollar teures Fahrvergnügen noch vollstens ausgestattet, wenn es um die Verwirklichung spontaner Gefühle geht. Jordan trägt noch immer einen Moonboot und lediges Benzingeld kann ich mir nicht leisten. Ich wähle die Nummer der dänischen Jurastudentin und muss einige meiner überzeugenden Argumente durch die windige Telefonleitung brüllen, um zu verdeutlichen, dass es mir um Charakter anstelle der Tankfüllung ginge. Dann willigt sie ein, fünf Stunden Fahrt durch insulanes Mittelgebirge auf sich zu nehmen, ohne dabei natürliche Kulisse und Tageslicht genießen zu können. Mir bleibt eine gute Stunde, bis sie ihre Meinung ändern könnte.Auf dem Weg zu den Patersons sind Gelb grün und einige Geschwindigkeitsbegrenzungsschilder inakzeptabel. Neben meinem dreißig Dollar Müsli schnappe ich ein paar gewachste Back Up Bretter und erkläre Mrs. Paterson, dass ich nicht zweimal lebe. Der Forecast ist gut, aber kaum Grund für meine Reise. Vielmehr möchte ich die richtige Wahl treffen, wenn ich im Laufe der nächsten Woche mit der Personalabteilung des Backdoor Surfshops spreche und ihnen saisonale Treue schwöre. Deswegen fahren wir nach Gisborne!Die Fahrt ist lang. Drei Milchkaffees, zu viel Joe Cocker und die Analyse ihrer unmoralischen Fernbeziehung zäheren die letzten Kräfte aus meinem volkswirtschaftlichen Bewusstsein. Dafür schmeißt sie während der Fahrt ein paar Zigaretten und überzeugt mit trockenem Humor, der sich auf ein bescheidenes Englischvokabular stützt. Gegen Mitternacht passieren wir das Ortseingangsschild! Trotz dieses unerträglichen Hungergefühls erklärt mir mein Bauch, dass das nicht der Ort sein wird, an dem ich einer 25 Stundenwoche und 28 Grad Durchschnittstemperatur entgegenblicke. Wir finden einen chinesischen Schnellimbiss mit grässlichem Licht und unmotivierten Mitarbeitern russischer Herkunft. Sie kratzen die letzten Feierabendreste zusammen, um zumindest annähernd die Beschreibung der Speisekarte zu treffen. Das grelle Licht offenbart mehr als nur Hautunreinheiten der letzten drei Jahre und treibt uns schließlich nach draußen. Der deutsche Wunsch: unsere Mahlzeit mit einem importierten Bier erträglicher zu machen, verstärkt sich. Unverständliche Öffnungszeiten und Alkoholverbot auf neuseeländischen Straßen treiben uns in den Raucherhof einer Spielkneipe, die neben spielsüchtigem Ambiente und dörflicher Depression zumindest einen Campingtisch und kühles […]
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