NOCTURNE
Der Herbst ist Lissabon eigen. Ich glaube, er wurde für diese Stadt gemacht. Am meisten liebe seine einsamen frühen Morgen, nur die späten gemeinsamen Abende liebe ich dann noch mehr. Aus späten gemeinsamen Abenden werden späte gemeinsame Morgen und uns so weiter und deswegen gab es nie viele Tage, die schon beim Licht der Kerzen beginnen und beim aufgehenden anderen Licht. Solche Tage waren schön und selten und sie waren immer ein Geschenk. Du warst früh mit der Arbeit fertig und hattest die Arbeit fertig und die Stadt vor dir und den Tag, und der Tag schien grenzenlos. Man konnte für den Rest des Tages dumm bleiben, weil man früh aufgestanden war und hart gearbeitet hatte und ich versuchte, so dumm zu bleiben wie ich konnte. Das Leben kam einem dann einfach vor und man hatte Hoffnung und machte Pläne und es war schön, wenn man sonst etwas zu tun hatte oder irgendwo hinmusste. Man hoffte nur, dass der Morgen sein Versprechen über den Tag hinaushalten würde, aber es war dumm das zu glauben und ich blieb nie dumm genug. In jenem Herbst wurde es sehr kalt. Wir hatten keine Feuerstellte und auch keine Heizung und wir hatten nur uns. Wenn man miteinander schlief, wurde es warm, nur, wenn man es selber mit sich machte, blieb es kalt und man ließ nur einen Spalt in der Decke offen. Wie auch immer man es machte, man musste im Bett bleiben oder gleich ins Café gehen, aber es war schwer, vom Bett gleich ins Café zu gehen und bei der Kälte, die richtigen alkoholischen Getränke zu bestellen und noch schwerer nichts Alkoholisches zu bestellen und als die Cafés ganz schlossen, blieb uns gar nichts warmes mehr, außer uns. Manchmal konnte man für eine Weile am Schreibtisch arbeiten, aber man musste Handschuhe tragen und seine Finger in die Kerzen halten und manchmal vergaß man, dass man Handschuhe trug und die Handschuhe fackelten dann ab. Es war besser seine Finger zwischen ein paar Beine zu stecken oder am Kaffee zu wärmen, den ich am Morgen kochte, wenn ich mich in meine Mansarde aufmachte, um in Wollsachen verpackt mit der Arbeit zu beginnen. Die Sonne schien zu flach, um es über die Dächer in die Fenster der Häuser zu schaffen und alles war noch kalt und klamm und man konnte seinen Atem sehen und den des Kaffees. Die Häuser der Stadt waren nie auf den Winter vorbereitet und manche Herbsttage zeigten dir schon, wie es ohne ihn sein wird. Der Regen fiel dann mit mehr Wucht als ihm die Schwerkraft zugesteht. Nur die reichen Häusern in Lapa und Principe Real hatten Feuerstellen oder Klimaanlagen oder Badewannen oder alles, denen machte der Winter nichts. Aber ich fühlte mich Leuten, die alles hatten und denen der Winter nichts machte, immer irgendwie überlegen, nur die Feuerstellen und Badewannen neidete ich ihnen im Winter. Feuerstellen, und Badewannen waren Dinge, die wir auf Reisen genossen. Den Rest des Jahres brauchten man in Lissabon nicht viel. Wir brauchten nur uns und etwas Zuversicht und ein paar Bücher, und wenn man dann noch Reisen konnte, hatte man sich, Zuversicht, ein paar Bücher, Badewannen, Feuerstellen und die Reisen. Es machte uns nichts, denn nichts konnte uns in diesen Tagen etwas anhaben, nicht mal ein Virus und ich war sehr dankbar so zu leben und zu lieben und hier zu leben und mit ihr hier zu lieben. Wir besaßen nichts, außer den gebrauchten Büchern und Sachen, die wir von unseren Reisen mitbrachten. Sie hatten alle keinen Wert und bedeuten uns sehr viel und lagen in einer alten Kommode, in der auch meine Notizbücher lagen und einige gebrauchte Bücher. Von neuen Büchern hielten wir nicht viel. Sie waren schlecht gebunden, wenn sie überhaupt gebunden waren und sie hatten keinen Wert. Die Art, wie Bücher heute gebunden werden, ähnelt der Art sich einzurichten oder anzuziehen und weil ich schöne alte Bücher besaß, besaß ich auch ein paar schöne italienische Schuhe, die ich pflegte und einen guten Anzug und zwei nicht so gute Anzüge und einen teuren Mantel aus Salzburg, den ich sehr billig gekauft hatte. Die Wohnung war einfach, aber sie hatte schönes Licht und einen Holzfußboden, auf den sich die Leute gerne setzten und an den Wänden hingen Bilder der Künstler, die uns gefielen. Von meinem Schreibtisch sah ich in den Garten auf Ruinen und über Hinterhöfen hinweg und ich sah sie so, wie Utrillo sie gemalt hätte […]