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BYND

Konstantin Arnold

MELANCHOLIKER

MELANCHOLIKER

Oh ja, das tut gut, vor allem montags. Das Wochenende war lang uns sinnlos. Hätte lieber arbeiten sollen, als mit denen zu saufen, mit den ich gesoffen habe (aber guten Wein). Freitag habe ich an einem Abend zwei Zigarren geschafft. Eine, nach den Anchovis und eine dann beim Scotch. Mach ich aber nicht wieder. Warum ich mich überhaupt noch mit Wochentagen abgebe. Ein Deutscher war dabei, der sich viel mit Wochentagen abgegeben hat und sich die letzte Anchovis nahm, ohne zu fragen. Es gibt keine Einzahl von Anchovis, sonst hätte ich das schon geschrieben. Der Deutsche war am Anfang ganz nett, interessierte sich sehr für meine Arbeit, brav, so wie ich es gerne hatte. Fragte, um was es mir geht und ich sagte Lissabon, Liebe, viele Worte mit L und E(rwartungen), I(deale), P(erfektion), ein und dasselbe, auch wenn die anders geschrieben werden. Er meinte, Lissabon wäre so toll. Ein bisschen wie Mexiko, nur das die Leute hier im Stehen schlafen. Ohne Sombrero. Die Stadt hätte nicht den gleichen Hochmut wie Paris oder Berlins Angst oder Roms Braggadocio, was immer Braggadocio auch ist. Eile wäre hier noch eine Sünde. Warum eilen die Menschen überhaupt? Sie werden doch eh erst mit der Arbeit fertig, wenn sie tot sind. Da können auch die Anzugträger der Baixa nichts dran ändern. Nichts was wir tun, ist so wichtig wie eine Mahlzeit oder die freundliche Begrüßung eines Ladenbesitzers oder ein Kurzer in der Sonne. Ein Moment, durch den man eilt und ihn verschwendet. Erst wenn wir das erkennen, können wir wichtige Sachen tun. Für mich ist die Stadt aber mehr, als die schlechten Eigenschaften anderer Städte, die sie nicht hat. Hier zu leben und hier zu lieben ist eine Offenbarung, durch die ich wurde, wer ich bin und umso länger ich das bin, desto bescheuerter erscheint mir die Zeit, in der ich nicht hier gelebt und nicht hier geliebt habe. Irgendwann werde ich so weit davon weggelebt haben, dass ich darüber hinauslebe und länger sein, als ich nicht war. Eins in allem. Der gleiche Libertin, aber ein anderer Konstantin. Schriftsteller im Werden, der in Lissabon sein Leben schreibt. Schreiben ist ja immer ein Werden, nie ein Sein, aber das verstand er jetzt nicht. Wer ich denn vorher gewesen bin, wollte er wissen. Ein Agent des Südens in den Schlafzimmern des Nordens? Ich hatte nichts zu beweisen, aber er ließ es mich tun und mochte mich trotzdem. Ich gab ihm ein bisschen, aber er wollte mehr und dann ich gab ihm alles. Einzelheiten, nichts Ganzes, nur Einzelheiten, die was Ganzes ergeben. Aus Zeiten, in denen ich um die Welt ging, um nirgendwo anzukommen. Von Freund zu Freund, von Frau zu Frau. Der Mythos des Ankommens führt einen ja letzten Endes nirgendwo hin. Man ist da und tut es, oder tut es nicht und wenn man es nicht tut, nimmt er den Dingen die Farbe, wie ein Blick durch trübes Glas. Ich erzählte, was ich nicht für ein Hecht gewesen bin und wie es dazu kam, dass ich jetzt eine Frau liebe und nicht mehr alle und nicht mehr in Bars gehe und auf Play drücke, sondern in Bars gehe und keine alte Leier auflegen brauch. Er hätte schon immer Männer bewundert, die auf einer Party sind und was Besseres zu tun haben, schob er freundlich ein und ich nickte, meinte, ich auch. Jetzt sehe ich sie. Wen? Die vielen traurigen Söhne, nie geliebter Väter, die ihre Söhne mit genauso wenig Liebe aufziehen. Sie suchen Liebe, aber sie finden sie nicht, weil sie suchen, anstatt zu finden. Sie stellen die Vollendung über die Sterne, schieben sie hinaus bis ans Ende der Zeit und im Rausch töten sie die Zeit, bevor sie vorbei ist. Die Zeit des zukünftigen Nichts oder des vergangenen Alles. Doch dahin führen alle Schritte auf den Stufen des Lebens, wenn man sie denn geht. Daherkommen wir, dahin gehen wir. Ein jeder Jemand. Du hoffnungsvoller Romantiker, sagte er ironisch, wie ein Typ, der die Frauen an den Titten erkennt […]