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BYND

Konstantin Arnold

NA DANN

NA DANN

Entschuldige, ging gestern nicht. Hatte eine Verabredung mit dem Fluss. Bin bei Nacht über den Tejo gefahren. Er war weit und breit. In ganzer Majestät. Könige sind schon so auf dem Fluss gefahren und die Stadt tat sich amphitheatermäßig vor ihnen auf und zeigt ihre erleuchteten Ziele. Ein Ufer aus Stadt und jedes Haus ein Blick und zwischen allen Häusern der Stadt ein Blick auf die Kathedrale. Ihre Türme haben Zinnen und die Zinnen verteidigen die Türme in der Sprache ihrer tausendjährigen Autorität. Hab jetzt alles verstanden. Geht um Leben und Tod, Liebe und Hass, Gut und Böse, Oben, Unten, Männer und Frauen, Männer, ohne Frauen, entweder oder sowohl als auch und all das Unaussprechliche dazwischen, was uns eint. Hab mir am anderen Flussufer dafür die Eier wund gelaufen. So schön wars, aber heiß, viel zu heiß. Blasen habe ich auch bekommen, die tun aber nicht so weh, wie das an den Eiern. Muss komisch ausgesehen haben, wie ich da so am Fluss langgelaufen bin. Auf der Promenade. Mit den Eiern. So als würde ich ein volles Fass Malzbier zwischen den Schenkeln umhertransportieren. Ein schweres Buch von Ludwig Hohl hatte ich auch noch dabei. Und na klaro, bin so gut es ging im Schatten gelaufen, bin doch nicht blöd, hab in jedem Bistro Halt gemacht und mir ein tiefes Freibad Mineralwasser bestellt. Mit Zitrone und mit Eis. Manchmal musste ich dafür eine Straße überqueren, und die Straße war dann wie etwas Riskantes im Krieg, dem die Deckung fehlte oder wie eine heiße Schlucht, auf deren Grund beschichtete Bratpfannen für Dauerwerbesendungen hergestellt werden, die jemand angestellt hat, der mich hasst. Barreiro selber und die andere Flussseite ist schon hässlich, aber wer noch nie in Barreiro war und gesehen hat, wie die Sonne hier von der Promenade abends auf die Stadt fällt, hat überhaupt noch nichts gesehen. Oder kennt einen Ort, von dem aus man das noch besser sehen kann. Die schönste Sache der Welt, über der schönsten Stadt der Welt, vom hässlichsten Ort der Welt ausgesehen. Ging aber gar nicht da drum, sondern darum hierhin zu kommen. Der Weg war mein Ziel. Alles andere Gewinnüberschuss. Früher soll Barreiro aber richtig schön gewesen sein, eine Reise wert, für 3,50€, nur früher, als die alten Fährschiffe noch neu waren, gab es auch schon ein Früher und so weiter. Heute muss man sich eben mit einer Gegenwart abgeben, die früher oder später auch früher sein wird. Barreiro war früher aber schon genauso vergessen wie heute und konnte sich in dieser Vergessenheit schön langmachen. Hat mir ein kleiner schwarzer Junge erklärt, den ich unterwegs traf. Er sprang gerade von den Kais den Dreck des Tejos. So genau hat er das nicht erklärt, er hat das anders gesagt und ich habe es dann schöner gesagt. Er war der einzige Mensch, den ich an diesem Tag traf, der nicht über die Hitze redete. Ihm machte die Hitze nichts aus. Er zeigte mir Barreiro ein bisschen oder das, was er für Barreiro hielt, und ich dachte, dass er im Gegenzug unbedingt mal nach Lissabon kommen müsse, ich zahle ihm die Fähre und zeige ihm die Stadt, dachte dann aber, dass das sehr pädophil rüberkommen muss, sagte lieber nichts, bis darauf, dass es aber heiß ist. Er meinte, dass sei für Barreiro noch gar nichts. Er sagte das stolz. Ich sagte, ich weiß und sagte das auch stolz und freute mich, dass man draußen, am anderen Flussufer, trotz der Hitze, noch fremde Leute treffen konnte. Die meisten Lissabonner reagieren auf die Hitze, wie auf etwas nie Dagewesenes. Schließen sich ein. Jahr für Jahr. In halbdunklen Zimmern. So, als hätten sie die Hitze in Lissabon gerade erst erfunden. Als hätten sie den Sommer kaum kommen sehen und nicht schon zig in hinter sich gebracht, die sie aber alle wieder vergessen haben. Anders kann man das nicht erklären. Ich persönlich würde den Lissabonner Sommer lieber im Kühlschrank eines sibirischen Arbeitslagers verbringen, als in meinem Dachgeschoss. Sagt man nicht, ich weiß und es tut mir auch leid, aber mir fällt nichts besser ein. Ist viel zu heiß. Kann nicht genial sein, nichts produzieren, nichts besorgen, nicht mal dran denken, bin gerade so ich selbst. Hemd bis zum allerletzten Knopf, vor dem Hosenknopf, offen. Ein schönes weißes Hemd, das gerne im Motorradwind flattern würde oder in irgendeinem anderen Wind. Denn im Sommer, wenn die Hitze wie ein ausgesprochen unsichtbares Urteil über der Stadt steht, und der Tejo blau und durstig und unvergleichlich ist, weil […]