DIENER
Hey Frank. Ich habe oft an dich gedacht oder jedenfalls öfter, als ich dir geschrieben habe. Liegt wahrscheinlich daran, dass man das, was ich dir sagen wollte, besser in einem Park sagt oder in einer Bar oder auf der Bank eines großen südeuropäischen Platzes, vor uns der Brunnen und die Tauben, die da kackt grad; oder an einem Mittagstisch mit rotweißkarierter Tischdecke, du weißt ja um die Faszination, die Wein und Käse an so einem Tisch, unter freiem Himmel, auf mich ausüben. Da wir aber Ländergrenzen und Sicherheitskontrollen voneinander entfernt, an unseren Schreibtischen sitzen, immer blasser und immer fetter und immer toter werden, dachte ich, dir zumindest keine Mail zu schreiben, sondern einen Brief, den du dann überall mit hinnehmen kannst, ohne ihn aufladen zu müssen, an all diese Orte. Wenn ich ehrlich bin, wollte ich erst nicht, dass es so weit kommt. Ich hatte es lange herausgeschoben, gehofft, du kommst mal, immer einen Grund gefunden es nicht zu tun, bin nach Istanbul oder Zürich oder Paris geflogen, nur um es nicht zu tun und an Abenden in Lissabon immer noch einen trinken gegangen, um es am nächsten Morgen nicht tun zu müssen. Sogar eine Grippe kam mir gelegen, obwohl ich wusste, früher oder später, würde ich es tun müssen und ich wollte es ja auch tun, ich hatte es immer getan, für sonst wen, dieses eine Mal eben für dich, schlussendlich für mich selbst. Ich kann es immer nur einmal, bis ich wieder kann und man muss es jedes Mal besser können, als man es vorher konnte, solange, bis man das, was man immer getan hatte, nicht besser, sondern nur noch echter macht. Mit je weniger Gefühl man es tut, desto einfacher ist es, genauso wie es einfach ist, jemanden mit wenig Gefühl zu lieben. Es ist und bleibt die schönste Sache der Welt und ich mache nichts lieber, aber darüber schreiben, will ich jetzt nicht mehr. Das ist Kampf. Krieg. Ein weißes Blatt Papier, das gar kein Papier ist, sondern Bildschirm und mich anstarrt, mit leeren Augen, die wollen, dass ich ihm welche verpasse. Es gibt einfach Dinge, die man lieber tut, als über sie zu schreiben. Mit einem geliebten Menschen schlafen oder Essen gehen, aber genug von den Vergleichen, ich lenke wieder ab. Geradeaus darauf zu, und nein Frank, ich gehe heute keinen trinken, aber es kann sein, dass ich ausfällig werde, verletzend, eindimensional, viel zu persönlich. Entschuldige vorweg den hässlichen Umschlag. Er sieht aus wie eine rechteckige Bürolampe mit Briefmarke drauf und erinnert mich an Aktenordner, dich auch? Solche Briefumschläge erhalten normalerweise nur Menschen, die keine Lust mehr haben, sie aufzumachen, Menschen, die ihr Leben unter Bürolampen und vor Aktenordnern verbringen. Bis zu ihrem Suizid. Deine Briefe sehen immer so schön aus. Sie liegen auf meiner Kommode oder in der Kommode drin und passen ganz hervorragend zu meiner inneren Einrichtung. Ansonsten habe ich jedoch keine Mühe gescheut, bin gestern Abend in keine Bar und heute Morgen nicht in die Kirche. Bin wie neu und sitze vor einem schönen Café am Rossio, der große zentrale Platz auf dem sie Sonnenbrillen und Kokain verkaufen, erinnerst du dich? Nicht weit von dem McDonalds, in dem sie dir mal das Messer an die Kehle gehalten haben und dein Geld wollten und du allen Ernstes fragtest, ob […]