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BYND

Konstantin Arnold

MEINEID

Ich muss hier raus! Weil sich gerade eine Gruppe kaufkräftiger Chinesen mitten in meinem Zimmer über neue Wandfarbe unterhalten hat, während ich noch nicht einmal wusste, welches Boxershort ich heute überhaupt tragen möchte. Ein ganzes Apartment schneller gekauft, als du Gentrifizierung sagen kannst. Guten Morgen. Von einem Viertel ins Nächste. Doch draußen ist immerhin Frühherbst! Ein langer Moment, in dem du den Sommer zu schätzen weißt, weil dir der Herbst zeigt, wie es ohne ihn sein wird. Klare Luft, verwelkte Blätter, du weißt, selbst wie Herbst aussieht. 18 Grad, die fast bereit sind für Handschuhe, weil man sich im Leben leider an alles gewöhnt. Die sonnigste Sonne, die gesündeste Gesundheit, die auffälligste Freundin. An eine gut gelaunte Vielfalt verschiedenster Nationalitäten, die hier in kultureller Eintracht leben und sich wundern, warum dass der Rest Europas nicht kann. Lissabon ist ein (von-überall) Herkunftseldorado, verteilt auf wunderschöne Plätze. Ob verliebt, verlobt oder verlassen. Das ist eine Devise! Lieber obdachlos hier, als mit vier Wänden und ohne Ausblick woanders. Davon singt schon der Fado! In Melodien gefasste Minderwertigkeitskomplexe eines stolzen Seefahrerstaates und sein gedemütigter Hochglanz. Man muss sich schon nah sein, aber stets dem Nächsten am nächsten. Ja, wir klagen auf hohem Niveau und Europa ist ein tolles Pflaster. So voller Prada, Penner und Espresso. Zumindest fehlt es mir immer, wenn ich zu weit weg bin, aber wie man Zäune baut und sich dabei weltmännisch fühlt, muss mir mal jemand erklären. Genauso wie gut geplante Improvisation und warum Italienrinnen immer ein abgepacktes Stück Parmesan im Handgepäck tragen! Ein ganzes Land genau mein Typ! Manchmal sieht man hier den Wald vor lauter schönen Frauen nicht und manchmal nimmt mir eine von ihnen rigoros den Wind aus der hart arbeitenden Performance. Denn allein die Pflege meines Zimmerfarns ist schon Aufwand genug und das Ding wohl das teuerste, was ich je besessen habe, bedenke man seinen eigentlichen Nutzen. Man kann ihn anschauen, hin […]

VASALL

Es hat genau 38 Minuten gedauert, bis ich mein neues Leben infrage gestellt habe. Basiswissen Finanzierung, freiwillig, noch bis 22 Uhr, für ganz Dumme und Schlaue, die sich unbedingt profilieren möchten. Im Reich der Blinden ist der Einäugige König und ich habe beide Augen offen und trotzdem nichts verstanden. Weil dem portugiesischen Dozenten manchmal die englischen Worte fehlen und schon wieder ein Passagierflugzeug über unsere Köpfe fegt, das mich mit ohrenbetäubendem Lärm alle 15 Minuten an die Freiheit mein altes Leben erinnert. Ich könnte jetzt in irgendeiner Redaktion sitzen, um die Welt fliegen, in Schanghai neun Euro für Filterkaffee bezahlen und irgendwann erkennen, dass es keinen Spielplatz ohne Zäune gibt. Keinen Job auf der Welt, der ohne Schreibtisch in völliger Muße funktioniert. Dass in unserer wunschlosen Vorstellung immer alles schöner ist. Noch viel schöner, am allerschönsten. Selbst die Realität. Aber von hier, aus der letzten Reihe, umgeben von 21 jährigen Masterstudenten und cremegelben Wänden thront diese Vorstellung in einem funkelnden Luftschloss meiner Fantasie. Es ist nicht leicht in diesem Seminarraum zu sitzen, wenn man schon Apfelmus vom Baum der Erkenntnis machen konnte und ausgerechnet heute, am ersten Tag, noch ein Hammerhonorar auf das Bankkonto seiner journalistischen Vergangenheit überwiesen bekam. Was zur Hölle tue ich hier? Lässt sich das noch mit Bauchgefühl oder strebsamen Portugiesinnen begründen? Mit horrenden Studiengebühren bezweifeln, oder mit fast tiefgefrorenen Käsecroissants aus der Kantine gar als absolute Schnapsidee verurteilen? Ruhig bleiben, ist ja erst Tag eins von 363 und ich habe immer noch nicht entscheiden, wer ich in meiner akademischen Peergroup überhaupt sein möchte. Der alles unterhaltende Mittelpunkt oder das sprachlose Geheimnis der letzten Reihe, das nur kommt, um wieder gehen zu dürfen und stets Besseres zu tun hat? Eigentlich will ich nichts sagen und trotzdem irgendwie gefragt werden. Ja, ich habe auch mal in Australien studiert und ja, ich komme schon länger nach Lissabon. Im portugiesischen Fernsehen war ich auch mal und am zweiten Tag schon nicht mehr in der Uni. Dafür glücklich surfend auf der anderen Seite des Flusses, der Lissabon davor bewahrt, irgendetwas mit dieser Sportart zu tun zu haben. Entschuldige den Ausflug, aber […]

AMOURÖS

Liebesgrüße aus einem Leben im Urlaubsmodus. Meinem Farn geht es prächtig und mir übrigens auch. Wolkenlos und vollgegessen. Mal verkatert, mal ausgesurft, lässt sich die Leichtigkeit eines Freitagvormittags hier von Montag bis Sonntag genießen. Am Stra­nd zwischen Ärschen, von denen einer braungebrannter ist, als der nächste. Einer beschäftigter, als der andere, weil es Knochenarbeit gleichkommt, von morgens bis abends so unantastbar wie möglich zu bleiben. Morgens bin ich in Praia Grande fast am Espresso ertrunken und abends habe ich auf einer Charityparty trockenen Rotwein mit dem österreichischen Botschafter gekübelt. Er im eleganten Leinenhemd und ich in abgeschnittenen Jeanshosen. Umzingelt von weiß gedeckten Tischen auf englischem Rasen, die durch dezente Gitarrenmusik bis zur Kulisse eines südeuropäischen Liebesfilms aufsteigen. Vorspeisen, Hauptgänge und für jede Lebenslage das richtige Besteck. Portugiesisches Highlife möchte ich meinen, das all die Dinge richtig macht, die andere wohl falsch machen. Einfach grenzenlos erlaubt, sich an einem Montagabend die Kante zu geben, ohne dafür Dienstagmorgen gerade (auf) zu stehen. Immer ruhig zu schlafen, weil teure Villen nicht in Autobahnnähe gebaut werden und die Milch im Kühlschrank einfach nie ausgeht. Weil Umtriebigkeit irgendwann gezwungener Maßen zu einem gemütlichen Boxspringbett führen muss und die Menschen auf Lissabons Kopfsteinpflaster natürlich selbst für ihre Umstände verantwortlich sind. Schon mal zum Platzen vollgefressen an einem Obdachlosen vorbeigegangen? Nicht an einem der fordert oder Haschisch verkauft, sondern dich bettelnd keines Blickes würdigt. Nicht aus angetrunkener Überheblichkeit, sondern weil ihm die Würde fehlt, um aufrichtig nach vorne zu gucken. Demut ist kraftvoll und eines der wichtigsten Bestandteile eines soliden Charakterbaukastens, auch wenn er das Fischbrötchen am Ende gar nicht wollte! Wann sind genug zu viel und die Gründe zum Entsagen zu […]

SESSHAFT

Ich bin so oft schon durch diese Gassen gelaufen. Verloren gegangen über Kopfsteinpflaster, das durch die Jahrzehnte von Sandalen und Turnschuhen bis aufs Zahnfleisch poliert wurde. In festen Schuhen hält es ja kein Tourist aus, weil Urlaub immer irgendwas mit Flipflops zu tun haben muss, obwohl man sich nach acht getrost einen Mantel über die sonnenverbannten Schultern werfen kann. Von oben, über der Stadt, dort wo Tinder-Dates zu richtigen Beziehungen reifen, ist alle vier Minuten ein neues Flugzeug voller Erwartungen im Anflug. Von hier unten ein Orgasmus der Reiseromantik, ein Fernwehporno, trifft ein Kondensstreifen auf den nächsten. Wo fliegt der wohl hin, wo kommt der wohl her? Ein richtiges Vorstellungsidyll, das viel zu weit weg ist, um die Wahrheit zu sagen. Denn eigentlich ist im verspäteten Flieger aus Boston langsam die Luft leer. Sitzen kann nach zehn Stunden auch kein Schwein mehr und der Anschlussflug ist schon längst wieder im portugiesischen Nachthimmel verschwunden. Endlich gelandet, kommt die Rolltreppe erst, nachdem sich jeder Passagier voller Verlustängste an sein Handgepäck klammert und so den Piloten provoziert, endlich diese scheiß Tür aufzumachen. Stehend lässt sich die Zeit natürlich am leichtesten vorspulen, auch wenn das Aufgabegepäck versehentlicherweise doch in Boston vergessen wurde. Ein großes Airline-Entschuldigung und eine Packung Haribo! Wer die Dinge lieber lebt, als sie zu träumen, muss das mit der eigenen Fantasie bezahlen. Die Hürden des Alltags an einen Ort schleppen, der sonst eigentlich nur Urlaub bedeutet. Klopapier kaufen, Zahnarzt besuchen, die ganze Wahrheit portugiesischer Hinterhofromantik ertragen. Mit Menschen und ihren Wäscheleinen hinter glänzenden Fassaden. Bettlacken und Schlüpfer hängen wie Blätter über Essensresten und aufgerauchten Camel Lights. Mittlerweile grüße ich den dicken Chinesen gegenüber immer mit einem vorsichtigen Kopfnicken, das man auch als Nichtnicken interpretieren könnte. Morgens hustet sich ein alter Portugiese für eine Viertelstunde von seinen Camel Lights frei und abends hängt ein durchtrainierter Angolaner seine verschwitzten Handtücher zum Trocknen […]

MALENA

Schon von weitem gesehen. Mich einmal kurz umgedreht und meinen Schritt unmerklich verlangsamt, damit wir uns für einige Meter den glatt polierten Bürgersteig teilen müssen. Ohne zu schauen, habe ich zu reden begonnen. Direkt ins Thema. Ich weiß, dass sie eine russische Uschanka trägt, obwohl der portugiesische Winter auch ohne Mütze erträglich ist. Ich weiß, dass der Kellner sie eigentlich in eine andere Richtung schicken wollte und Sie weiß, dass Masche schnell zur Moral wird. Schönheit ist spürbar. Vor allem die einer portugiesischen Brasilianerin. Volle Lippen, braune Haut und trügerisch naive Augen, die dir mit ihrer erfahrenen Zügellosigkeit bis in die Eier blicken. Bis hier her hat die Zukunft der Gegenwart oft ihren Wert gegeben. Ich habe Zeit damit verbracht darauf zu warten, dass die Zeit vergeht. Jetzt will ich verweilen. In diesem heiße-Schokolade-langen Intermezzo in einem Café nach Mitternacht. Wir unterhalten uns kaum, weil uns dazu die Vokabeln fehlen. Ich kein Portugiesisch. Sie kein Englisch. Sie morgen Paris. Ich nach Mailand. Sie einen streng katholischen Vater, für den sie eigentlich nur schnell in eine Apotheke sollte. Um diese Zeit? Vater? Und wieso Apotheke? Wenigstens sind unsere Blicke unmissverständlich. Frivol und genervt vom gestischen Erklären. Denn wenn einem die Worte fehlen […]

 

UMTRIEBIG

Es ist Freitagabend in Lissabon. Wir stehen vor einem haushohen Banner, das direkt über die Fassade des São Jorge Kinos gespannt wurde und warten auf den Einlass. Im Foyer stehen eine ganze Menge wichtige Leute. Profisurfer und die, die es werden wollen. Manager, Marketing-Direktoren aus der Surfindustrie und viele Karohemden. Es gibt eine leichtbekleidete Portugiesin, die dafür verantwortlich ist, Limetten in die freien Coronas zu stecken und eine ganze Menge Andrang. Viele haben braune Haare, die durch Sonne und Salzwasser fast blond sind. Viele stehen mit uns auf dem Balkon vor dem Poster und rauchen rote […]

ALLES INKLUSIVE

Nach einigen durchzechten Nächten in Portugals Hauptstadt begann unser Trip im Hoheitsgebiet des portugiesischen Prinzen: Ericeira. Auf dem einzigen Campingplatz errichteten wir für die ersten beiden Nächte unser Lager, bestehend aus einem Ford Nugget und genügend Camping Gear, um eine Mondlandung auszustatten. Direkt am ersten Morgen nach unserer Anreise joggte ich, nicht zuletzt um mein Partyo Alto Gewissen zu erleichtern, in meinem 4/3’er E-Bomb zum nahe gelegenen Ribeira de Ilhas. Der Forecast versprach eine Session, wie man sie sich nach zwei ungesurften Monaten wünscht: vier Fuß, kaum Wind und eine zweistellige Periode. Doch bereits als ich den ersten Hügel passierte, zweifelte ich an meinen Interpretationsfähigkeiten, denn alles was ich vorfand war eine hüfthohe Welle am Shorebreak. Gleich drauf schaute ich auf meine Uhr und bemerkte, dass ich noch immer indonesischen Tidenhub, anstelle des portugiesischen eingestellt hatte. Deprimiert und verschwitzt machte ich mich also auf den Weg zurück und versuchte im morgendlichen Berufsverkehr einen Autofahrer davon zu überzeugen, dass mein Neopren höchstens von Innen nass sei und er mich doch getrost bis zum Campingplatz mitnehmen könne. Sechs Stunden später war Lowtide und das südlich gelegene Sao Juliao the place to be. Nach zwei weiteren Nächten fuhren wir über die portugiesische Golden Gate Bridge und fanden uns eine Stunde später in Lagoa de Albufeira wieder. Eine Region, die ich während meiner letzten Portugalaufenthalte immer ausgelassen hatte, bekam nun erstmalig ihre surfspezifische Chance. Jedoch ist zu erwähnen, dass es auch ihre letzte war, denn außer einer riesigen Lagune inklusive Flussmündung bietet die Region oberhalb von Setubal kaum Scoring Potential. In der Hoffnung einen schönen Stellplatz zu finden machten wir uns noch am Abend weiter gen Süden. In Porto Covo hatte ich auf unsere Karte den Vermerk „easy Camping“ ausgewiesen. Und das war es auch! Ein Stellplatz jagte den nächsten und das in unmittelbarer Küstennähe direkt neben einem verschlafenen Fischerdörfchen, in dem der Tourismus langsam aber sicher seinen Einzug zu […]