Menü

BYND

Konstantin Arnold

WO ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT II

WO ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT II

Omar Chayyām, der Dichterprophet Persiens sagte mal, dass mehr Leute auf der Welt fähig sind, Bücher zu schreiben, Heere zu führen und Kaiserreiche zu reagieren, als ein Hotel zu leiten. Ein Hotel ist ja immer erst ein Haus, in dem man eigentlich nicht zuhause ist. Die Zimmer gehören mehr denen, die es aufräumen, den Eingang bewacht ein Portier, der Nachtisch ist eine Pflicht den Kellnern gegenüber. Aber es gibt Hotels, in denen man richtig leben kann, wie in seinem Leben, sogar sterben könnte man da. Die schönsten sehen aus wie Vanilleeis mit einem Dach drauf. Die Lobby ist Marmorweiß, die Kellner tragen Manschettenknöpfe und verteilen Häppchen. Die Bar ist aus Holz und hat Polster, auf die man seine Ellenbogen beim Sprechen stützen kann oder einfach nichts sagt und stumm stützt und durch den Raum hinaus aufs Meer sieht. Zwischen klassischen Häusern und neureichen Scheißhäusern, in die Leute gehen, um reich zu sein, liegt ein himmelweiter Unterschied in Form einer Wahrheit, die jeder selbst entschlüsseln muss, in dem er herausfindet, welche Wahrheit überhaupt gemeint ist. Sie ist auf jeden Fall nicht mit Geld gleichzusetzen, außer für Leute, die den Wert von etwas nicht kennen, oder nur kennen, wenn sie wissen, was etwas wiegt, welches Maß es misst oder wie viel es kostet. Ich persönlich interessiere mich nicht für Geld, denn ich habe keins. Ich lebe in Lissabon, Rom, Wien, Paris und doch nirgendwo, schreibe Geschichte, die alle toll finden und keiner verlegen will, und versuche mich von meinen Leidenschaften zu ernähren. Meine Postadresse in Rom ist das Hassler, in Lissabon ein altehrwürdiges Café. Grand Hotels sind wunderbare Orte, die aus der Zeit fallen und dem Ort, an dem sie stehen. Sie leuchten wie weiße Botschaften der Zivilisation an den Küsten und stehen in Städten wie Diplomatien, die man benutzen und anfassen und einsauen darf. Sie dampfen wie große Schiffe in den Bergen, die durch die Zeit fahren und transportieren die Gegenwart einer längst vergangenen Zeit, damit es die Welt von gestern, auch morgen noch geben darf. Dadurch entsteht eine Verbindung zwischen den Zeiten. Nicht, dass sie einem so näher kämen, sondern weil dadurch eine scheinbar große Sehnsucht überbrückt wird. Das ist gut für Menschen, in denen es von Natur aus laut ist. Ein Vaterland für alle, die sich zwischen den Zeiten gefangen fühlen und keinem Vaterland zugehörig. Der Portier ist Pole, der Bellboy Russe, der Kellner aus der Slowakei, der Barmann Italiener, die Hausdame Portugiesin, der Direktor Österreicher und kaiserlich, selbst wenn er Befehle empfängt. Alle samt aus der Enge ihrer patriotischen Gefühle vertrieben und der Selbstverständlichkeit ihrer Heimat entrissen, für die sowieso keiner was kann, da die Welt nicht, wie angenommen, aus einem einzigen Ort besteht, sondern Millionen Orten, die sich alle für die einzigen halten. Ich verstehe, dass einige das nicht verstehen, aber ich verstehe auch, dass wir immer was für uns wollen und selten wollen wir das für andere. Kaum einer will heute von guten Zeiten lesen, geschweige denn von den besseren, wenn er nicht selbst eine erlebt. Am nächsten Tag waren wir am Meer verabredet, was sehr schön war. Man konnte schwimmen und war bereit für die nächste Flasche. Wir fuhren nach Saint-Paul-de-Vence, tranken vier davon im Café de la Place und spielten Petanque. Der Regen hatte sich verzogen und der Platz unter den Bäumen war leer. Nichts von dem hier erinnerte an die Schwarzweißbilder, die ich ihr davon gezeigt hatte und die Geschichte, dass ich bei meinem ersten Mal drei Tage brauchte, bis man mich mitspielen ließ. Ihr waren die Schwarzweißbilder der Bardots und de Gaulles egal und sie spielte ganz zauberhaft, einfach, elegant, unbeeindruckt und provinziell, wie in einem französischen Roman, bevor er veröffentlicht ist. Ich konnte ihr kaum widerstehen, in diesem langen Kleid, den Ballerinas und der Strickjacke, die sie sich drüber gezogen hatte und hasste sie noch mehr. Sie sagte, ihr ginge es genauso, wie ich da so im Anzug stehe, mit Kippe und auf die Bälle ziele und mich so sicher bewege, im Terrain und all diese Dinge kenne. Ich werde nie vergessen, wie sie auf mich zu rannte, um ihren letzten Wurf zu machen und ich dann noch einen Ball hatte, um das Spiel zu entscheiden und das Spiel entschied gegen einen Straßenkehrer und einen Abgeordneten aus Antibes. Nachdem Spiel prügelten wir den Bentley über die Hügel von Nizza. Ich war etwas angeschossen, aber so, dass ich alles noch unter Kontrolle hatte, wie immer, wenn man trinkt, fährt und das denkt. Hier oben konnte man von den Alpen der Provence bis zum Meer sehen. Die Temperaturen waren niedrig. Ich gab Gas und sah mir ihr Gesicht im Rückspiegel beim Gasgeben an. Ihr Blick provozierte, wie sie da so saß und lächelte, seelenruhig, in ihrem Kleid, den Schal über die Schultern gelegt, wie eine falsche Katholikin und mich fragte, ob da nicht noch mehr geht. Ich gab ihr mehr und sie schrie und wollte noch mehr als mehr, aber nach noch mehr käme der Tot. Im Zweifelsfall verheerend, interessiert aber eigentlich keinen, solang man weiterlebt. Man muss bis an die Schwelle, nur nicht darüber hinaus. Beim Petanque hatte ichs ihrs gezeigt, aber das ist Murmelnspielen eben. Liebe ist dann das Gefühl, noch nie schnell genug mit ihr gefahren zu sein. Das man weiß, wo diese Schwelle ist, und nicht die Kontrolle verliert, und denkt, dass die Typen, die sie vor mit hatte noch schneller gefahren sind und sieht, wie sie um die Kurven durch den Bentley fliegt, ist diese Schwelle. Wir fuhren dann noch ein bisschen über die Dörfer, suchten eine Bar, die noch offen hat, kauften Zigaretten und sprachen mit den Einheimischen. Die Reifen des Bentley qualmten und ein netter Kerl, der früher mal Messerwerfer war, lud uns ein. Auf dem Heimweg sagte ein Freund, dass das so nicht geht und ich fragte, was? So schnell zu fahren und damit davonzukommen und zu denken, den Menschen mit seiner bloßen Anwesenheit schon etwas zu geben. Es ist unerhört und unmöglich und es ist dadurch begehrenswert […]

WENN ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT I

WENN ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT I

Natürlich kann man nicht einfach erzählen, wie eine Reise war und erwarten, dass jemand was damit anfangen kann, wenn er nicht schon selbst da gewesen ist oder Lust hat an einer Hotelbar, in Genua, mit dem Barmann darüber zu reden. Es gibt auf Reisen immer gute Geschichten und lustige, die die Leute mögen und sie wollen diese Geschichten auch hören, wie man in einem Bahnhofslokal, in Busto Arsizio, festsaß und kein Zug mehr ging. Die Bar war lang und ging durch den Raum und man konnte sie vom Vorplatz und vom Gleis aus betreten. Reisende und Einwohner kamen hier zusammen. Männer an Theken, billige Reginella, mit Liebe gemacht, Kaffee, der exakt 22 Sekunden lief. Schon mein Geschmack, auch wie zum Bahnhof hin Bar geschrieben steht. Ich trank Averna mit einer, die die Männer an der Theke Valentina nannten. Im Hinterraum standen ein paar Spielautomaten und Billardtische, auf denen wir schliefen, den Rest behält man für sich oder schreibt ihn auf oder wartet, bis die Leute selbst dagewesen sind und mehr hören wollen oder sich verlieben und wissen, was es heißt, wenn man sagt, dass man nicht viel getrieben hat bis dahin. Ich kann so nicht erzählen, nur mittelmäßige Liebesgeschichten, ohne Liebe, lassen sich so erzählen, von Autoren, wie ich einer war, bevor ich einer wurde und mich verliebte. Man kann nicht nur erzählen, wie man sich liebte und den Bentley nach drei Flaschen Rosé im Café de La Place über die Hügel von Nizza jagte und wie schön sie aussah, als sie, bei 240, das Meer und Nizza zu ihrer Rechten, schneller! schneller! schneller! schrie. Das wurde mir am Ende sehr klar, als wir im Café des Amis saßen, mit Freunden, wie der Name schon sagt, die sich zeitgenössisch darüber echauffierten. Man konnte denen höchstens vom Hotel du Cap Ferrat erzählen, weil man dort festsaß und die Rechnung nicht zahlen konnten und den Sprit, um den Achtzylinder zurück nach zu Mailand zu bekommen und Franz in Wien schrieb, einem Verleger, dem ich vorheulte, dass wir hier festsitzen, wie tote Idole und die Drinks zahlen müssten und den Sprit. Hätte ich ihn nach was anderem gefragt, nach was zum Anlegen, Geld für Miete oder eine Lebertransplantation, er hätte nichts bezahlt, aber so gab er uns etwas Geld, das sogar noch für neue Drinks unterwegs reichte. Franz war vielleicht der einzige Verleger, der das heute noch verstand. Unsere Reise ging von den Seen über das Land bis ans Meer, kreuz und quer. Ohne zu wissen, an welches. Das musste man so früh im Jahr aber noch nicht. Man fragt sich auf dem Weg von Mailand an die Riviera natürlich, ob es sinnvoll ist, extra für ein paar Negronis noch zwischen Cernobbio und Ravenna zu halten. Aber Angelo arbeitet im Sommer da in der Villa d’Este, nachdem er den Winter in St.Moritz im Kulm gearbeitet hat. In den Bergen leitet er das Grand Restaurant, hier bringt er einem die Drinks und wenn er einem die Drinks gebracht hat, an einem Abend unter Bäumen, mit Blick auf den See und dem Knirschen seiner Schritte im Kies und dem Klang von Eiswürfeln im Glas, das von ihm über den Kies, unter den Bäumen getragen wird, fragt man sich das nicht mehr. Man schwelgt in Erinnerungen und denkt über den Sommer nach, redet mit Angelo über die besten der alten Orte und einige neue, an denen man mit seinem Leben weitermachen würde. Badeorte & Bergdörfer, Inseln, Hotel Paläste. Ans Meer fährt man sicherlich, aber hier am See, zwischen Norden und Süden, meint Angelo, müsste man noch nicht wissen, an welches. Man macht die nötigen Korrespondenzen, studiert Wetterkarten und Ausstellungsverzeichnisse der Zeitungen, trifft Vorkehrungen und Verabredungen, organisiert Zusammenkünfte, Lunches mit Leuten, die man kennt und lässt sie vom Lago di Como aus lieb Grüßen. Ich hatte eine Zeitung dabei, die eine Woche alt war und dachte das Wetter aus der Zeitung würde sich noch ändern, aber es änderte sich nicht und Mailand war bei unserer Ankunft so dunkel wie die bei Nacht und all die Wolken der Welt schienen sich im Becken vor den Alpen zu verfangen. Wir holten unseren Bentley und standen im Feierabendverkehr mit all diesen Warnsystemen in Nordatlanitktiefgrau. Der Innenraum dieses Autos sah aus wie der einer Boeing und man saß auch wie First Class, mit Sicherheitshinweisen, die dafür sorgten, dass man sonst nichts mehr zu tun musste, außer sich beim Fahren Gedanken zu machen. Ich schlug vor, so bis nach Genua zu fahren, weil man beim Bentleyfahren, das Fahren sowieso nicht so mitbekommt und das Wetter dort besser ist. Ich verbrachte jedes Jahr eine Nacht da und das konnte gut die hier sein. Natürlich gibt es bessere Städte, um sich die Absätze abzulaufen, aber wenn man jedes Jahr eine Nacht da ist, war die Stadt ein Traum, in dem alles so ist, wie es sonst nie nirgendwo war. Die größte Altstadt Europas, Paläste, einen Spalt weit von einander entfernt. Heute wohnt dort kaum einer mehr im Zentrum, was das Zentrum wundervoll macht, mit guten Bars und billigen Restaurants im Freien und unter Fresken. Geschichten von Tausend und einer Nacht und Nutten, Einwanderern, Ratten, aber sie hatte mein Angebot längst gekauft […]

BENTLEY

BENTLEY

Niemanden auf der Welt interessiert ein britisches Oldtimertreffen in St. Moritz, wenn es ihn nicht interessiert oder er zufällig in St. Moritz ist und nichts Britischeres zu tun hat. Also musste ich da mal hin. Außerdem schrieb mir ein Freund seit Wochen, ob wir denn nicht kommen wollen und ich fragte, was soll ich denn da, und er schrieb, genau das! Ihr könntet im Suvretta wohnen und am Rennen teilnehmen und den Abend retten und nicht wissen, was ihr hier sollt. Du würdest sicherlich ein paar interessante Erfahrungen machen und sehen, ob du danach noch weißt, wer du bist. Die Mahlzeiten bezahlt, mit Wein, ein Märchenschloss mit Bergblick und Männer, die ihre Autos mit Microfasertüchern putzen und Frauen, die darauf warten, auch mal so benutzt zu werden. Gute Ausgangsbedingungen. Ich sagte zu. Bekam einen Bentley. Rief einfach bei Bentley an und fragte, ob ich mit einem beim Rennen fahren darf, versuchen sie’s auch mal. Die sind sehr nett. Viel netter als die von Aston Martin und wie sie nicht alle heißen. Die Autos sind auch nicht so klobig wie man denkt. Einige sind sehr schön und schnittig, mit fließenden Formen im Fallen nach vorn und dem Aussehen eines Stierkämpfers, in britischem Autorenngrün oder regenhimmlischem Nordatlanitktiefblau. British Classic Car Meeting, Startnummer 109, Bentley Continental GT Speed, Konstantin Arnold, Catarina Fernandes, ich konnte das selbst auch nicht glauben. Ich besitze nicht mal ein Auto. Hatte bisher nur zwei. Einen zwanzig Jahre alten Peugeot 106, den man vor jeder Fahrt neu aufpumpen und alle halbe Stunde Kühlwasser nachfüllen musste (der rechte Fensterheber war eine Kneifzange, die Beifahrertür ging nur von innen auf) und einen Opel Corsa 1.2 aus den 70ern, eigentlich ganz schön, der zwei Wochen hielt, bis ich ihn an einen Priester verkaufen musste. Jetzt fuhr ich einen 283.000 Euro teuren Bentley mit 660 PS, 660! im Maßanzug von Mailand nach St. Moritz, oder das Engadin, wie manche lieber sagen. Wenn mir das jemals jemand gesagt hätte, ich hätte ihm das geglaubt und gelacht. Erste interessante Erfahrung: Man glaubt von sich selbst nie so einer zu sein, und ist es vielleicht doch. Das lässt sich leicht am Beispiel von Touristen festmachen, die in eine Stadt fahren und sich über andere Touristen aufregen, die immer die anderen sind, wie im Verkehr. Ich sehe mich jedoch selbst als den größten Touristen, der am schlechtesten fahren kann und sich von innen auch nie so anfühlt, wie die anderen von außen aussehen. Alle machen alles besser und richtiger als ich, sogar das falsche. Das ist irgendwie mein Problem. Ich spreche da oft mit meinem Therapeuten drüber, der meint, dass das aber ein sehr sympathischer Minderwertigkeitskomplex ist, den man nicht heilen bräuchte. Im Bezug auf so ein Treffen denkt man dann, dass hier alle viel mehr verloren hätten, als man selbst, aber das ist bei solchen Veranstaltungen meistens nie so. Man weiß von sich, dass man nur wegen eines Freundes hier ist oder des und deswegen oder warum auch immer im Bentley sitzt, nur durch das und das, aber wer von diesen Leuten ist nicht wegen irgendetwas hier und fährt durch wen oder was?  Meine Beziehung zu St. Moritz ist natürlich und gesund und oft beschrieben und lässt sich damit zusammenfassen, dass man mit einfachen Wahrheiten nicht mehr weit kommt, wenn man sich die Welt für seine Weltanschauung selbst anschaut. Ich kenne ein paar gute Leute, meinen sehr guten italienischen Freund, Peter vom Suvretta House und die portugiesischen Kellner aus der Chesa Veglia, die einem immer heimlich nachschenken und Extraportionen bringen, wenn man portugiesisch spricht. Was uns aber wieder erst auf dem Weg einfiel, war, dass zwischen Mailand und St. Moritz ja ein See liegt, den wir gut kennen. Wir hatten in der letzten Nacht zwar nicht geschlafen und die ganze Woche davor auch nicht, weil wir beim Stierkampf in den Dörfern waren und letzte Nacht bei […]

DASEIN (Teil 02)

DASEIN (Teil 02)

Damals, in dieser Zeit, die längst vergangen ist und wir viel in Hesses Romanen lasen, wohnten wir in einem Dorf in einem Haus, das frei und viereckig in einem Tal stand und ganz vergessen in die Berge gefallen war. Durch das Tal floss ein Bach und das Tal war tief und fiel bergab und hatte den Höhepunkt seiner Fruchtbarkeit erreicht. Links waren Olivenhaine, rechts wuchs der Wein. Alles war hoch und tief und je weiter das Tal hinunterging, desto wärmer wurde es und aus dem Bach wurde ein Fluss, der in gewaltigen Seen endete, die den Meeren gleichen. Warme Luft stieg auf und man konnte die Luft sehen, wie sie zwischen Felswänden und Kirchtürmen stand und von einem mächtigen Licht durchbrochen wurde, das alles kräftig in den Farben der Dinge erstrahlen ließ, genau wie Hodler es gemalt hatte. Es waren Berglandschaften, Dschungelberge, eine Kirchglocke, die irgendwo schlug und von der Ferne hergetragen wurde. Klare Laute der Natur, kein Krach der Stadt, nur Klang der Dörfer. Man hörte Kühe fressen, im Orchester oder höchstens mal einen Tschingg, der sein Motorrad an einer Bushaltestelle testete und pfiff, wenn eine Monica Bellucci an seiner Bushaltestelle vorrüberging. Es musste schön sein, in diesem Tal schön zu sein. Die Dörfer waren weltgewandt und kultiviert und man konnte in ihnen viele Sprachen sprechen und eine Frau lieben und einer bestimmten Tätigkeit nachgehen. Was wäre die Welt ohne diese Dörfer und diese Bewohner und Bewahrer, ohne die Bushaltestellen und Kirchen, die am Hang vor dem Blau des Himmels stehen, schon immer, egal was. Man konnte in diesem Tal nichts tun, außer man wusste, was man tun konnte. Einsam, weit weg von allem, guten Käse essen, schlechten Wein trinken, abends am Kamin sitzen und noch mehr Wein trinken, der immer besser schmeckte, je mehr man getrunken hatte. Morgens lagen wir lange da, guckten von warmen Betten aus offenen Fenster und hingen uns danach an schwere Steine im Bach, um uns vom Quellwasser umströmen zu lassen. Es war kein Eiswasser, man konnte darin überleben, und wenn die Sonne auf die Stelle schien, an der man gerade hing, konnte man es sogar genießen. Wegen so eines Baches lernten wir eines Tages den Metzger des Dorfes kennen. Ich hatte meinen Ring beim Umströmen verloren und der Metzger besaß die einzige Taucherbrille im Dorf. Den Ring fanden wir nicht, aber wir verstanden uns prächtig […]

DASEIN (Teil 01)

DASEIN (Teil 01)

Wenn man es nur schreiben könnte, wie es sich leben ließe. Ohne Absätze und Übergänge, die sich gegen das Leben versündigen, so wie es sich bietet und wie wir es lieben. Aufeinmal. Ohne Grund. An all den Zufällen vorbei, die wir im Nachhinein zu Notwendigkeiten erklären. Mit plötzlicher Brutalität. So wie ein Hirsch im Herbst auf Straßen springt, wenn man gerade einen hohen Berg runterrollt, um sich vom Helikopterfliegen zu erholen, und Pavarottis Radiostimme die Zeit zu Raum werden lässt, auf den dann der Hirsch knallt. Nehmen wir mal an. Viele verschiedene Orte, die erst durch uns miteinander in Verbindung treten. Am besten ist man an all diesen Orten, als ob man gar nicht an ihnen gewesen wäre, macht einfach weiter, wie zuvor, was immer auch gewesen ist. So meistert man die Orte, weil man da ist, wo man ist und keine Straßen geht und an Straßen denkt, die man nicht gegangen ist. Es kommt dann gar nicht mehr darauf an, wie viele Orte man gesehen hat, sondern wie viel man in jedem dieser Orte sehen konnte. Von einigen dieser Orte möchte ich erzählen, ohne jemanden mit unserer Liebesgeschichte zu belästigen. Die Liebe hat nur eine Geschichte und es ist immer die gleiche, und die könnte man überall verbringen, auch an Tankstellen, ist ja glücklich genug, hat all die schon Orte in sich. Alles, was über dieses große Glück hinausgeht, ist so spürbar wie Wolken, Leistungssteigerung im Spitzensport. Fast verschwendet. Man ist im Himmel, gefangen im Grenzenlosen, höher geht’s gar nicht, außer man fährt bergauf, dann nimmt man den Himmel eben mit oder lernt auch, mit viel sehr glücklich sein zu können. Gelingt das, ohne ein Arschloch werden zu müssen, schafft man ein Kunstwerk des Lebens, einen Überschwang, der kaum auszuhalten ist. Danach kommt nur noch All. Kann man dann mehr von solchen Zeiten erwarten, als dass sie irgendwann vorbeigehen oder wir sie ruinieren? Worte sind vielleicht nicht genug. Sie fassen nicht alles und jeden, aber nichts limitiert so sehr wie die Möglichkeit zu allem, denn alles ist die konstante Ablenkung vom Nichts. Und im Nichts beginnt unsere Reise. Ein bisschen außerhalb der Zeit. In einer Villa auf einer Insel mit 4000 verschiedenen Pflanzenarten, die irgendein Hedonist mitten in den See geflanzt hat, um im Dickicht zu veranstalten. Die Villa ist jetzt ein kleines Hotel und die Pflanzenarten sind durstig und unvergleichlich und sehen nicht aus wie Hawaii oder Tahiti, weil es nichts gibt, was so ist. Die Natur zieht einen auf, ganz ohne Sitten und Manieren. Hier ist es am allermeisten so. Man ist dem Augenblick ergeben, spürt einen Aufenthalt lang, wie alles ist, das ganze Leben und kann dann traurig werden, etwas trauriger als sonst, aber richtiger, und schöner […]