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BYND

Konstantin Arnold

PIRSCH

Ich für meinen Teil sitze zehn vor zwölf zu Hause und draußen knallt‘s. Das Internet ist voll mit guten Vorsätzen sich schon wieder zu betrinken, die jedoch genauso an mir vorbeigehen wie die Vorsätze, es nicht zu tun. Deswegen Treffen bei Facebook und später höchstens noch auf einen Drink zu Skype. 2016 war eine einzige Party. Schnell und im Segen gut gemeinter Horoskope. 249 Reisetage, 137 davon in Hotels und 324 im Dispo. Ich habe fast ausschließlich unter dem Protektorat der Gastronomie gefrühstückt, weil meine Küchenzeile in Köln auf buntem Teppichboden gebaut wurde und sich Kartoffeln von unterwegs schlecht schälen lassen. Heimisch habe ich mich immer gefühlt, sobald ich wusste wo’s zum Klo geht und ich mir den Gürtel erst im Flur zumachen musste. Vor allem “Zwischen den Jahren”. Zur einzig wahren Besinnlichkeit zwischen den Mahlzeiten. Obwohl ich keine Ahnung habe, was “Zwischen den Jahren” eigentlich zu bedeuten hat. Ist “Zwischen den Jahren”, wenn die Mutter festlich gekleidet nach Knoblauch, Fisherman‘s Friend und Armani duftet, meine ostpreußische Oma erzählt, dass Kühe zwischen Weihnachten und Neujahr früher keine Feiertage kannten und ich mich väterlicherseits über außerirdische Weihnachtsgeschichten unterm Tannenbaum freue? Oder ist man zwischen den Jahren auf der Pirsch, knutscht in neuen Kleidern ehemalige Klassenkameraden und verfällt in Muster, die man durch den eigenen Werdegang doch endlich abschütteln wollte? Reliquien der Vergangenheit, mit denen man auf Partys früher Dinge geklärt hat, die man besser im Fernsehen besprochen hätte. Von daher lieber wieder zurück auf die Hollywoodschaukel des Jahres, bestehend aus Momenten voller Glückseligkeit, die durch gefrorene Schornsteine zu weißer Gemütlichkeit aufsteigen. Wie ich darauf komme? Weil ich die letzten vier Tage und Nächte mit wechselnder Begleitung und einem Collie im verschneiten Thüringer Wald verbringen durfte. Voller Holz. Für Zufriedenheit und die Einsicht, meine Hände fortan nicht nur zum Frieren und Aufschreiben zu benutzen. Zumindest, wenn man mal so ehrlich zu sich selbst ist, wie zu den anderen. Darum Tischlern! Ehrliche Arbeit. Die Lehre der Kreation mit Werkzeug. Für Männer, die alles bauen können außer Websites. Zum Beispiel drei selbst gestopfte Zigaretten inklusive Konsum und dazu ein halber Liter Cola im zeitlichen Duktus einer Fünfminutenpause. Tischlern! Eine Bühne für den Bartwuchs und feierlicher Anlass fürs Flanellhemd, obwohl hier eigentlich alle Poloshirt tragen. In einem hölzerner Kreißsaal für die Männer hinter den Legenden. Wände mit Kalendern, auf denen nackte Frauen Gartengeräte halten. Keine Sägen, keine Muskeln. Nicht mal Schweißflecken. Dafür Anekdoten aus der Spielhalle. Einfach nur Arbeit, für die man drei Stunden schuftet, aber erst zehn Minuten vergangen sind. Tischlern! Ohne zu kotzen, auch wenn Bauchentscheidungen hier gerne gesehen sind, denn auf der Herrentoilette riecht es nach Lack und Pisse und auf Montage im Altenheim nach Desinfektion und Spucke. Aber „Ho miarma den Seksgand ausm Audöh!“. Scheiße, hat der Sechskant gesagt? Immerhin will ich hier einen auf Mann machen und akustische Verstümmelung zählt nicht. Wirklich alles im Lot und plötzlich ist meine filmreife Wunschvorstellung zum Überlebenskampf am Fließband geworden. Ich könnte jeden Tag in Kalifornien verbringen und mich von diesem Mädchen verkatert durch Malibu fahren lassen. Aber nur bis in den Sonnenuntergang, weil ich mich danach wahrscheinlich in einer Beziehung wieder finden würde, die ich doch gar nicht wollte. Weil ein kurzlebiger Verzicht auf Freiheit doch zuweil immer zu einer noch größeren Freiheit führen muss. Alles für ein Visum? Nein, danke. Dann lieber Unterhaltungen in ostdeutschem Dialekt, in denen man hin und wieder die falschen Artikel benutzen muss, um nicht als Klugscheißer dazustehen. Dass ich nächste Woche nach Mailand fliege, irgendwie nach Barcelona muss und gerne endlich Zeit für Tel Aviv hätte, interessiert hier keinen! Nicht mal meinen Vorarbeiter, der jede Frühschicht zur Märchenstunde macht, wenn man nur die richtigen Fragen stellt. Verpflichtet die Terrorgefahr jeden Tag zum völligen Auskosten oder feiert man in Israel immer als ob es wirklich keinen Morgen gäbe? Denn ich wohne gerade bei Mutti und Teil meines Lunchpakets sind immer hin zwei Trostzigaretten. Sieben bis 16. Guillotine von Routine. Technische Effizienzbelehrungen, die das Leben ein Hundertstel schneller […]

 

POMADE

Schon wieder eine Unterhose in irgendeinem Hotelzimmer vergessen. Langsam wird’s eng! Zumindest, wenn Socken und Schlüpfer die einzigen Dinge im Leben sind, die man nicht gebraucht tragen möchte und man schließlich mehr Tage unterwegs ist, als es Wäsche zum Wechseln gibt. Aber deswegen direkt anrufen und freundlich fragen, ob sie meine getragene Markenunterwäsche per Post verschicken könnten? Am besten per Eilschreiben, aber nicht versichert. Ich trage eben nur Levis und man gönnt sich doch sonst nichts. Nichts bis auf späte Weckzeiten und einen gemütlichen Bademantel. Mit Unterwäsche ist es eben wie mit der Kunst. Überbewertet oder Unterbewertet? Gut, schlecht oder die eigene Empfindung? Fakt ist, Geld gibt der Sache wieder ihren Gegenwert und macht jeden alkoholkranken Provinzmaler mit schwerer Kindheit plötzlich zum gefeierten Picasso in Marken-Slips. Viele Frauen, schnelles Leben, wenig Inhalt. Obwohl ich in meinem Doppelzimmer mit Ausblick gerade selbst daran scheitere, Tinder für den Computer herunterzuladen, bin ich eigentlich zu kräftig gebaut, um wirklich kreativ zu sein. Zu organisiert für Verspätung und vergessene Unterwäsche. Ich nehme keine bewusstseinserweiternden Kommahilfen, um die richtigen Metaphern zu treffen und habe auch keine unterdrückten Probleme, die ich in irgendeiner Form gerne aufarbeiten würde. In falscher Konfektionsgröße sehe ich aus wie ein Fitnessstudio und achte nach durchzechten Nächten gerne auf meine Ernährung. Nicht so wie meine vorletzte Gastgeberin, die mir frisch geduscht ein Designermüsli servierte, das geschmeckt hat wie der intellektuelle Ernährungsratgeber irgendeines Modemagazins. Einfach Zwangloser. So wie Dylan Rieder, durch den ich vor dem Spiegel immer wieder überlegen muss mein T-Shirt endlich einmal in die Hose zu stecken. Immerhin habe ich seit 31 Stunden meine Schuhe an und heute Nacht im Backstagebereich nichts anderes getan, als den Musikern mit fremden Frauen den Wodka wegzutrinken. Unglaublich, dass ich jetzt wirklich hier stehe, um eine der Damen völlig schlaflos bei ihrem all sonntäglichen Kirchgang zu begleiten. Zwar bin ich für das Weihnachtsoratorium jedes Jahr einmal da; In großen Hallen, strotzend vor Tradition und dem Gefühl von Unendlichkeit, aber nicht im Konferenzsaal einer freikirchlichen Manipulationsgemeinde. Natürlich bin ich hin und wieder eingenickt, obwohl man schlecht schlafen kann, wenn Finsternis, Verdammnis und Perspektive Ewigkeit das Thema der heutigen Predigt sind. Persönlich begrüßt wurde ich auch. Als neues Schäfchen und Teil der Herde. Was tut man nicht alles für eine Pfarrerstochter, die mir nach der Erleuchtung nicht einmal […]

 

WALLUNG

Endlich wieder Transit. Ziel erreicht. Nicht mehr hier und immer noch nicht da. Hauptsache unterwegs ohne darüber zu sprechen. Johannesburg. Zwischenstopp. Mitternacht, aber zu Hause gibt es gerade erst Frühstück. In Transitzonen sind alle gleich. Gleich interessant. Weil Abenteuer Alltag. Ich lebe zwischen den Orten für diesen Moment, in dem anonym nur das Jetzt zählt. Nichts definiert. Bis auf die Kleiderordnung im Rollkoffer und die bezahlte Begrüßung am Check-In. Weil man heute und morgen schon wieder weg ist. Verspätet, verschlafen, und vielleicht noch beruflich hier. Gespannt, aber dank Urlaubsbräune cool und gelassen. Frühstück bis 10, Übergepäck und dann viel zu teurer Espresso. Abschied trifft Ankunft. Realität zwischen sonnigem Ausblick und gemachter Erfahrung. In Übersee oder am Fließband. Natürlich ist der Alltag von Menschen interessanter als ihre Abenteuer, weshalb ich trotz fehlender Anerkennung das heimatliche Kellerzimmer schätze! Aber Abflugtafeln sind die elektronische Version der Freiheit. Freiheit die Parole unserer Zeit und Zeit zwischen Fensterplatz und anmutigen Stewardess laut Reiseplan vorgegeben. Solange über den Dingen. Sitzend, aber in Bewegung. Die Welt zu Füßen. Zum Pinkeln in München, zum Scheißen in J-Bay. Bist du noch bei mir oder dir selbst treu geblieben? Denn Horizont erweitern, ist wie Brust vergrößern. Überall möglich doch irgendwie unnatürlich. Jedenfalls mittlerweile. Oder bist du immer noch verwundert, dass man hier kein Deutsch spricht und Bier vom Fass Südafrikanischen Rand kostet? Ich liebe verrauchte Bars, aber bitte ohne den kleinbürgerlichen Wunsch nach Exotik. Deshalb zurück in den Transit und seinen eigenen Regeln. Weder Fisch noch Fleisch. Übertrieben und entweltlicht. Obwohl man gerade erst wieder versteht wo auf der Erde eigentlich Nacht ist. Irgendetwas tut sich. Mit 25. Muss ich deswegen damit anfangen mein T-Shirt in der Hose zu tragen oder ertrage ich einfach keine nicht ausformulierten Notizen? – schaue Lost in Translation  im ICE nach München und denke, dass Scarlett Johansson mein Typ ist  – streue mir am Frühstücksbuffet unwissend Dekoration ins Rührei – knutsche Mitbewerberin nach Axel Springer Testtag zwischen Alexanderplatz und Friedrichstraße. Muss ich für diesen Thrill um die halbe Welt fliegen oder kann ich direkt hinter dem Gartenzaun damit anfangen? In einem zweiten Frühling, indem man sich und das Waldstück vorm eigenen Elternhaus völlig neu kennenlernt? Die Antwort ist: Nein! Weil es hier morgens meistens bewölkt ist und man Geduld braucht, um trockenes Feuerholz zu finden. Weil jeder einzelne Kilometer Abstand erst wirklich frei macht von den Erfahrungen, die uns mit den heimatlichen Selbstverständlichkeiten verbinden. Abenteuer ist eine Perspektivfrage und der Thüringer Höhenwanderweg forstwirtschaftliche Langeweile mit internationaler Bekanntheit. Hektische Jogger auf der Suche nach Kondition vergangener Tage. Funktional gekleidete Rentner auf dem Weg zum nächsten Stück Schwarzwälder Kirschtorte. Und wir. Falsch gekleidet, übermotiviert und nach 25 Kilometern völlig durchnässt. Und ich dachte wir machen Wildnis? Schlafen auf Moosböden, trinken Whiskey am Feuer und lassen das […]

PROSA

Zuhause. Im Thüringer Wald kann man eigentlich nur auf Fragen antworten, die so eigentlich gar nicht gestellt wurden. Auch das filmreife Leben, von dem ich träume, seitdem ich mit fast 16 mein erstes Surfmagazin im Presseshop am Markt nicht bis zum Ende durchblättern durfte, beschränkt sich gerade auf die Kulinarik der Provinz. Urlaub machen ist wohl eine der schwersten Beschäftigungen seit es Arbeit gibt. Gestern habe ich das alte Wachs von meinen Brettern abgezogen, weil ich finde, dass sie so besser aussehen, wenn sie in einer meiner Zimmerecken auf ein neues Reiseziel warten. Heute gibt es wolliges Familienprogram, das sich wie die Festzelttournee einer regionalen Coverband durch die umliegenden Dörfer schlängelt. Für ein paar Stunden ist dann früher alles besser, alles größer, alles härter. Da ist man noch bergauf in die Schule gelaufen, hin und zurück! Nach dem Rührei bei Oma und der Hühnerfrikassee meiner Tante frage ich mich, ob Jordan heute in Wales gelandet ist? Auch wenn ich schon zwei Wochen früher fliegen musste, bin ich mir sicher, immer noch brauner zu sein als mein walisischer Bruder. Bis auf den Zahnarzttermin habe ich alles gemacht, was man so tut, wenn man in Deutschland ist. Ich bin mit meinem Skateboard ein paar Berge herunter gefahren und habe mir vorgestellt, ich surfe Asphalt. Ich habe mich für ein Lokalblatt vor einer historischen Burg mit meinen Surfbrettern ablichten lassen und nach dem vierten Bier entschieden morgen in einer Bar aufzulegen, obwohl ich eigentlich nur Bonnie Tyler kenne und keine Ahnung habe, wie man Übergänge fließend einbaut. Das lasse ich einfach Benjamin machen. Ich bin einfach überdurchschnittlich braungebrannt und drehe alle fünf Minuten talentiert am Lautstärkeregler. Verdammt, das macht Spaß. Dachte ich zumindest gestern, als zu der Facebook – Veranstaltung erst drei Leute zugesagt hatten. Heute will ich mich in dem Baggersee ertränken, den ich eigentlich mit einem braunhaarigen Mädchen besuchen wollte, die sich an diesem Nachmittag sicher in mich verliebt hätte. Leider hatte sie mir kurz vorher abgesagt und so habe ich mir den viel zu teuren spanischen Käse zusammen mit dem viel zu teuren italienischen Weißwein einfach mit meiner Mutter schmecken lassen. Schon nach dem Editorial des Surfmagazins mit fast 16 habe ich mir geschworen mein Herz auf der Zunge zu tragen und mir von niemandem vorschreiben zu lassen, wie mein Hase eigentlich zu laufen hat. Peinlich ist mir eigentlich auch nichts bis auf Interviewaussagen, die ich so nie gesagt habe. Deswegen sitze ich jetzt mit meinen vier getrunken Schwarzbier am Gartentisch und versuche dem Redakteur seine kleinen, aber entscheidenden Tippfehler zu verzeihen. Weit aus dem Fenster lehnen kann ich mich eh nicht, nachdem ich gestern das auf Rechtschreibung korrigierte Skript meines Buches in den Händen gehalten habe. Ich glaube es wäre einfacher gewesen, wenn sie nur die Stellen markiert hätte, an denen sich keine Fehler finden. Dann überarbeite ich und schreibe E-Mails bis ich nicht mehr sitzen kann. Jetzt geht es meistens darum, die Energie rauszulassen, die ich normalerweise mit acht Stunden Surfsport in pure Freude umwandeln konnte. Zuhause ziehe ich Bahnen in deutschen Freibädern, skate ausgestorbene Skateparks und mache nach dem Aufwachen heimlich ein paar Liegestütze. Alles an einem Tag. Genau wie dieses Festival, das ein paar Freunde auf einer durchnässten Ackerwiese veranstalten und somit 1800 Menschen zusammenbringen, die auf vergangenen Kleinstadtparties oder in der Grundschule mal miteinander geknutscht haben. Das war ein Highlight, aber ein neues Profilbild habe ich nicht […]