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BYND

Konstantin Arnold

TOURIST

Du hast vier Kilogramm zu viel in der Tasche, die dich davor bewahrt haben verlustbringende Entscheidungen zu treffen. Du hast eine Auslandskrankenversicherung abgeschlossen und eine genau Vorstellung davon, wann du zurück sein möchtest. Du wählst den Check-In an dem eine gut geschminkte Flugbegleiterin mittleren Alters über jugendliche Witze lachen könnte und hast mit der Statusmeldung bis zum Flughafen gewartet: Santiago de Chile. Ohne Ausrufezeichen. Das klingt interessanter für die Menschen, die dein Leben nur über Facebook verfolgen. Vierunddreißig Menschen gefällt, dass du viel zu früh auf deinen Flieger wartest. Du hoffst darauf, dass dich die zufällige Platzierung deiner Boardkarte mit der schönen Brünetten bekanntmacht, die sich gerade etwas Deodorant unter die Achselhöhlen sprüht. Endlich geht die Reise los, von der du die letzten Monate nur erzählen konntest. Du hast dir eine zehn Megapixelkamera gekauft und immer noch keine Ahnung, was das eigentlich zu bedeuten hat. Im Internet sagen sie, du sollst nicht gegen die Sonne fotografieren und bei Regen den Blitz einschalten. Du sitzt jetzt endlich im Flieger neben einem Pärchen mit gleichfarbigem Nackenkissen. Es ist ein langer Flug. Du schaust True Romance und findest, dass das ein guter Film ist. Du bestellst das Hühnchen mit den gedampften Bohnen und fragst, ob du das Dessert gegen etwas mehr Kartoffelbrei eintauschen könntest. Du fühlst dich lebendig und erlaubst dir eine kalorienhaltige Spirituose, weil in dem Land deiner Zieldestination bereits die Sonne untergeht. Du sitzt am Fenster und bittest das Pärchen zum zweiten Mal um Entschuldigung, da du nach Gin und Tonic immer so oft auf die Toilette musst. Dann nickst du weg und träumst im Halbschlaf von dem Adele – Konzert, dass du letzte Woche durch ein Radiogewinnspiel besuchen durftest. Irgendwann bist du dort, wo dich keiner kennt. Du nimmst dir ein Hotel in Halbpension, weil du dir zumindest um die Mittagszeit etwas […]

Mitch Surman, Sunshine Coast

Ruiniere jeden logischen Gedanken auf der Südhalbkugel

HOWAHYA

jetzt könnte es 04.46 am sein. ich hatte gestern meine Armbanduhr abgelegt, damit ich etwas bequemer schlafe. irrelevant! denn über Schlafqualität entscheidet letztlich Dans Futonbett, das maximal zwei Schlafpositionen zulässt und geneigt ist nach rechts zu kippen. ich bin wach. zu müde, um weiterzuschlafen. ich nehme meinen Laptop und sehe, dass es in Deutschland 21:36 Uhr ist. das ist definitiv zu früh um in Australien zurückzurechnen. ich genieße Orientierungslosigkeit. mein greller Bildschirm taucht den Rest unserer Loft in tiefes schwarz und lässt mich beim Treffen der Tasten auf ausdauernde icq Erfahrungen bauen. die Frequenz der vorbeifahrenden Autos wird höher, doch selbst in den Pausen dazwischen ist es still. auch wenn mein Nachbar, das Meer, weniger als 50 Meter entfernt ist, kann man es kaum hören. der Swell ist weg oder um ehrlich zu sein war er nie da. gestern waren wir etwas weiter nördlich. wie durch ein Wunder war da eine Bank mit einer 2 ft Rechten. kaum Wind und die halbe Coast auf einer Welle. das Wochenende davor sind wir nach Byron gefahren. doch nicht mit deutscher Akribie, sondern australischer Gelassenheit, die ich seit meinem letzten Besuch als verloren glaubte. doch sie war es, die mich neben Daniel als erstes am Flughafen begrüßte. in New South Wales waren Wellen. wunderschöne Kulissen und Ranger, die uns in Eppo‘s Mercedes Benz für alles andere als Camper hielten. natürlich versuchten wir auf dem Woolworth Car Park wieder weibliche Locals zu finden, die uns für ein gemütliches Dinner ihre Küche zur Verfügung stellten. natürlich waren wir im Beach Hotel und natürlich waren wir neben einer halben Millionen Delfine die ersten im Wasser. Boulders war on fire mate. der kleine Bruder von Lennox Head nahm was er kriegen konnte. ein Samstagmorgen kann so verschieden sein. in Deutschland bist du um diese Zeit auf dem Weg nach […]

Australien
Neun Monate Surfen. Wie eine vom Doktor verschriebene Droge, die man pflichtbewusst morgens, mittags und abends zu sich nimmt. Es scheint als wäre man ein Teil von den Menschen, die am Meer groß geworden sind. Urlaubscharakter hat urplötzlich lediglich noch das Skype-Gespräch in die heimischen Breitengrade. Ganz unorthodox bleiben beim allabendlichen Bier zwei Fuß gleich zwei Fuß, weil keiner einem Glauben schenkt, wenn man quadriert wie ein richtiger Deutschtourist. Und dennoch sind die wirklich guten Jungs von einer unglaublichen Bescheidenheit geprägt, auch wenn sie mit 16 bereits Parko in D’bah Contests abgesägt hatten. Thomas Stubbs, Kai Hing, Blake Wilson und Dimity Stole sind nur ein paar Namen, die sich bereits über Queenslands Grenzen ausgebreitet haben. Paddelt man an einem Turn der eben Genannten vorbei, hat man das Gefühl jemand wirft Handgranaten in eine Welle. Surft man jeden Tag mit den eben Genannten bemerkt man den eigenen Fortschritt so sehr, wie die sich drehende Erde.

Singapur
Insgesamt waren es über 30 Stunden, die ich am wohl aufregendsten Flughafen der Welt verbringen durfte. Aber nicht wie im futuristischen Surfmovie mit zwei Freunden und einem MacBook! Nein, alleine und das ganz ohne technischen Schnickschnack des 21. Jahrhunderts. Neben basalen Bedürfnissen wie Essen, Schlafen und Bewegung verbrachte ich die Zeit damit ein paar Zeilen zu Papier zu bringen, aus denen im Endeffekt dieser Text geworden ist.

Indonesien
Dreieinhalb Stunden später wurde mein westlich geprägter Horizont gesprengt. Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, was es war. Der unzähmbare Verkehr, die fast flüssige Luft oder mein Driver, der mir so viele Fragen stellte, das ich mit dem Antworten gar nicht mehr hinterherkam. Ich verbrachte eine ganze Zeit in Keramas und sollte in naher Zukunft weiter nach Bukit, um nach sechs Monaten das Mädchen wiederzutreffen, für das es sich zu Warten gelohnt hatte. Wir bereisten Lembongan, wurden in Lombok übers Ohr gehauen und hatten eine unglaubliche Zeit, in einer Welt, in der man sogar die Polizei kaufen konnte. Menschen zwischen Missgunst und Interesse. Indonesien ist eine Hure! Wunderschön und dreckig zugleich. Ein Gegensatz folgt dem Nächsten und man surft Bilderbuchwellen inmitten von Treibmüll und brechreizendem Surftourismus. Ich hatte in sechs Wochen mehr Barrels als in den Urlaubsgeschichten deutscher Surftouristen und keinen nennenswerten Kontakt mit scharfem Riff. Ist es über Kopf hoch, die richtige Tide und die erste Setwelle, bei der man die Insight völlig in den Sand gesetzt hat, gibt es Saures. Ansonsten hat man aber solch einen Ständer im Wasser, dass es schon fast wehtut diese ozeanischen Schönheiten anzupaddeln.

Singapur
Ironie des Schicksals oder einfach fehlendes Buchungstalent? Eine Antwort auf diese Frage konnte ich während meines zweiten Aufenthalts über 30 Stunden nicht finden. Während meine Freundin den direkten Anschlussflug bekam, durfte ich zum zweiten Mal „Bear Grills: Flughafenepisode“, spielen.

Zuhause
Das Erste was passiert, wenn man nach zwei Monaten Indonesien wieder vor dem heimischen Kleiderschrank steht, ist das vier Jahre alte Bintang Tanktop in den Restmüll zu werfen. Verstärkt wird der Drang zu dieser Handlung in meinem Fall noch durch mein Auslandssemester in Australien. Doch was passiert danach? Uni, Leben um zu Arbeiten und Termine einhalten? Bei welchem Resozialisationsprogramm kann ich mich eintragen? Nebenwirkungen sind das frühe Aufwachen, das frühe Einschlafen und ein sportliches Vakuum, das nicht mal durch eine gute Skatesession, gefüllt werden kann. Hätte ich nicht so eine schöne Freundin, wäre ich wohl nie wieder gekommen.

was willst du? du kannst nicht einfach nur zufrieden sein wollen! du kannst die dinge nicht einfach nur so nehmen, wie sie sind! was willst du? du willst dein leben rechtfertigen? dann lebe so intensiv, wie möglich; sei ein spiegel der gelebten möglichkeiten! und sie werden sich erinnern.

SNOOZE

Verglichen mit den heimatlichen Breitengraden betätige ich die Snoozetaste meines 20 Euro Telefons lediglich einmal, bevor ich 5.30 Uhr in den Tag starte. Um diese Uhrzeit beginnen sich die Sonnenstrahlen ihren Weg zu bahnen um den Horizont in ein kristallklares Blau zu verwandeln. Es sind bereits 22 Grad und der erste Weg geht vorbei an der Toilette heraus auf die hauseigene Dachterrasse, die einen ersten Blick über die morgendlichen Wellenbedingungen zulässt. Die Vorhersage und das Resultat lassen kein ausgiebiges Frühstück zu und so schwinge ich mich mit Surfbrett unter dem Arm und einer halben Banane im Mund auf mein Skateboard. Die Straße hinunter zum Strand ist steil und lang und manchmal etwas knifflig, wenn ich Barfuss vom Board springen muss, weil ich in der morgendlichen Aufregung mal wieder vergessen habe den Linksverkehr zu beachten. Man trifft um diese Uhrzeit bereits so viele Jogger, wie auf dem Campus der Deutschen Sporthochschule. Und ich bin nie der Erste im Wasser. So früh am Morgen ist es windstill und die Sonne ist noch nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte, was einem die alltägliche Einbalsamierung erspart. Nach gut zwei Stunden im Wasser wird es allmählich Zeit sich den Pflichten zu widmen. Die Uni startet erst 11 Uhr, aber ich muss vorher noch eine Stunde unterrichten. Mein Arbeitsplatz befindet sich direkt 50m den Strand hinunter. Je nach Tide gebe ich hier für eine […]

SEX TEXT

Irgendwo an der Ostküste Australiens. Zwischen Sunshine Coast und Gold Coast gibt es mehr bestickerte Boards als in den Fotoalben von Kelly Slater. Eines davon ist individuell und semiprofessionell angesprüht. Komplett violett; lediglich für das JS Industries – Logo hat sie Platz gelassen. Keine große Surfcompany schickt ihr monatlich DHL Päckchen voller Etiketten und doch spricht im Moment der ganze Kontinent über die Powersurferin von der Sunshine Coast: Dimity Stoyle. Zu dem Zeitpunkt, als sie in 2013 ihr erstes 6 – Star Event gewann, war sie zehn Jahre jünger als Joel Parkinson, der in Newcastle, New South Wales, neben ihr das Podium schmückte. Sie ist auf einmal da! Ein Jahr zuvor hatte Billabong noch ihren Vertrag gekündigt, weil offiziell: finanzielle Engpässe lediglich ein äußerst selektives Sponsoring zulassen würden. An dieser Stelle hatten sich die seismographischen Konsumfühler der Surfindustrie getäuscht. Denn Dimity beweist, dass rohes Talent und Ehrgeiz mit Erfolg korrelieren können. Trotz der Unterstützung ihrer Eltern, die sie seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr fördern, muss sie vor und nach den Trainingseinheiten am HPC (Australian High Perfromance Center) im Surfshop ihres Vertrauens auf der anderen Seite der Kasse stehen und Produkte jener Firmen verkaufen, die kein Geld für ihr Talent aufbringen konnten. Fast in der Mittagspause gewinnt Stoyle darauffolgend die Trials für den Roxy Pro an der Gold Coast und qualifiziert sich somit für die ASP World Tour 2014. Ein ungefähr 30000 australische Dollar teures Vergnügen, denn in dieser Sphäre pendeln sich die alleinigen Reisekosten ein, die sie braucht, um sich während der Tour um die Welt, auf das Sportliche konzentrieren zu können. Hierzu bitte noch einen vollen Kühlschrank, den kosmopolitischsten Handyvertrag und eine Hand voll WQS Events (World Qualifying Series), um somit ihr Ranking und die Chance auf Preisgelder zu verbessern. Verunsichern lässt sich Stoyle dadurch nicht und macht klar, dass sie mit Leistungsdruck umgehen kann: „Profisurferin zu sein, ist der mit Abstand beste Lebensstil, wobei ich im Falle des Scheiterns auch nichts gegen ein ausgeglichenes Uni – Leben hätte! Ich habe einen Rookie – Status auf der Tour und muss keine Titel verteidigen, sondern kann mich […]