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BYND

Konstantin Arnold

BANAL

BANAL

Es war Sonntag oder es war Montag oder es war einfach noch ein Tag, an dem es regnete und ich verkatert war, weil ich Samstag oder Sonntagabend mit Freunden zwölf Jahre alten Brandy gekauft hatte, an dem wir uns orientieren konnten. Wir unterteilten die Tage in Tage, an denen wir neuen Brandy kauften und Tage, an denen wir keinen neuen Brandy kauften. An den Tagen, an denen wir neun Brandy kauften, gingen wir vorher eine sehr zeremonielle Runde joggen, damit wir nicht fett wurden. Wir nannten das Joggen rennen und sahen, dass es gut war. Es war immer dieselbe sehr zeremonielle Runde. Sie führte durch heruntergekommene Hochhausschluchten und über eine Brücke in einen Park, mit vielen Wegen, die alle bei einem brasilianischen Fleischer endeten und an vielen Restaurants vorbeiführten. Wir rannten nur, um nicht fett zu werden und neue brasilianische Fleischer zu finden oder Restaurants, die wir noch nicht kannten und in die wir gehen würden, in einer Zeit nach dieser Zeit, wenn sich die Welt nach ihrem Untergang weiterdreht. Wir alle mochten den Park und hassten das Rennen, bis auf einen, der gerne rennen ging und immer Rennsachen anhatte und sein Telefon am Oberarm trug, das uns nach jedem geschafften Kilometer sagte, dass wir einen weiteren Kilometer geschafft hatten. Es war eine schwarze, durchtrainierte, übersetzte Männerstimme. Sie stellte sich als Fitnesscoach Mike aus Seattle vor und sie stellte sich uns vor, wie man sich ein spanisches Kochrezept vorstellt, das laut und unsicher vorgelesen wurde. Hier spricht dein Fitnesscoach Mike aus Seattle und wir sagten, „Halt’s Maul, Mike!“ Wir mochten Mike nicht, weil er klang wie jemand, der beim Ficken gerne Marvin Gaye hört und „Yeah Baby“ sagt, in einer ewig andauernden 59. Sekunde lebt, die er zelebriert und trainiert hat, um ihn immer kürzer vorher rauszuziehen, so wie man ein Flugzeug hochzieht, das auf die Erde hinab auf eine Vorstadtschule zustürzt und gerade so noch über den Schulhof und das Dach einer Dreifelderturnhalle hochgezogen wird. Glückwunsch, geschafft. Mike meinte, wir wären fünfkommadrei Kilometer gelaufen, mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von zehn Kilometern pro Stunde. Er gratulierte und sagte, was heute wehtut, macht morgen stärker. Dann ging einer von uns in den brasilianischen Fleischer rein, der Rest wartete draußen, davor. Der brasilianische Fleischer hatte, extra für uns, eine weiße Gartenbank vor seinen Laden gestellt, damit wir uns ausruhen konnten. Während der Seuchentage, waren die Minuten, in denen wir auf der Gartenbank, vor dem Fleischer an der Kreuzung in der Sonne warteten, die einzigen schönen Minuten, die wir im Freien, davor und nicht drin, weder rennend noch einkaufend zusammen verbrachten. Nur durchdrungen von Nachmittagssonne und den Schlägen, mit denen der Fleischer unser Entrecote zubereitete. Die Klänge gebrochener Rippen kamen aus seinem Laden und gingen über die Kreuzung. Es waren die beruhigenden Rufe gebrochener Knochen, die wir später mit grobem Salz und kaltgepresstem Olivenöl in den Ofen schieben würden. Wir wussten nicht, warum er das machte, aber wahrscheinlich brach er den unteren Rippenbogen für uns vor, damit wir später besser an das Fleisch kamen. Wir aßen genauso viel Entrecote, wie wir Brandy tranken und Rennen gingen und Karten spielten und solange wir das alles zusammenmachten, hatten wir auch keine Angst. Zum Essen kauften wir schwarze Oliven aus Dosen und italienischen Hartkäse, Rotwein aus dem Dourotal, manchmal auch welchen aus Evora oder dem Alentejo, frisches Weißbrot und einen Sack Kartoffeln, den wir in kleinen Scheiben, neben das Entrecote legten, so schön und so sorgfältig aufgereiht, als würden wir die Kartoffeln später noch fotografieren wollen. Wir legten unser ganzes Sein in dieses Tun, weil wir nichts anderes tun konnten, und fühlten uns dabei wie eine Gruppe fetter, einflussreicher Italiener, die man zusammen in einen Gefängnisfilm gesperrt hatte. Essen war für uns immer ein Ereignis gewesen, aber in diesen Tagen war es unser einziges. Und […]