Menü

BYND

Konstantin Arnold

DASEIN (Teil 02)

DASEIN (Teil 02)

Damals, in dieser Zeit, die längst vergangen ist und wir viel in Hesses Romanen lasen, wohnten wir in einem Dorf in einem Haus, das frei und viereckig in einem Tal stand und ganz vergessen in die Berge gefallen war. Durch das Tal floss ein Bach und das Tal war tief und fiel bergab und hatte den Höhepunkt seiner Fruchtbarkeit erreicht. Links waren Olivenhaine, rechts wuchs der Wein. Alles war hoch und tief und je weiter das Tal hinunterging, desto wärmer wurde es und aus dem Bach wurde ein Fluss, der in gewaltigen Seen endete, die den Meeren gleichen. Warme Luft stieg auf und man konnte die Luft sehen, wie sie zwischen Felswänden und Kirchtürmen stand und von einem mächtigen Licht durchbrochen wurde, das alles kräftig in den Farben der Dinge erstrahlen ließ, genau wie Hodler es gemalt hatte. Es waren Berglandschaften, Dschungelberge, eine Kirchglocke, die irgendwo schlug und von der Ferne hergetragen wurde. Klare Laute der Natur, kein Krach der Stadt, nur Klang der Dörfer. Man hörte Kühe fressen, im Orchester oder höchstens mal einen Tschingg, der sein Motorrad an einer Bushaltestelle testete und pfiff, wenn eine Monica Bellucci an seiner Bushaltestelle vorrüberging. Es musste schön sein, in diesem Tal schön zu sein. Die Dörfer waren weltgewandt und kultiviert und man konnte in ihnen viele Sprachen sprechen und eine Frau lieben und einer bestimmten Tätigkeit nachgehen. Was wäre die Welt ohne diese Dörfer und diese Bewohner und Bewahrer, ohne die Bushaltestellen und Kirchen, die am Hang vor dem Blau des Himmels stehen, schon immer, egal was. Man konnte in diesem Tal nichts tun, außer man wusste, was man tun konnte. Einsam, weit weg von allem, guten Käse essen, schlechten Wein trinken, abends am Kamin sitzen und noch mehr Wein trinken, der immer besser schmeckte, je mehr man getrunken hatte. Morgens lagen wir lange da, guckten von warmen Betten aus offenen Fenster und hingen uns danach an schwere Steine im Bach, um uns vom Quellwasser umströmen zu lassen. Es war kein Eiswasser, man konnte darin überleben, und wenn die Sonne auf die Stelle schien, an der man gerade hing, konnte man es sogar genießen. Wegen so eines Baches lernten wir eines Tages den Metzger des Dorfes kennen. Ich hatte meinen Ring beim Umströmen verloren und der Metzger besaß die einzige Taucherbrille im Dorf. Den Ring fanden wir nicht, aber wir verstanden uns prächtig […]

DASEIN (Teil 01)

DASEIN (Teil 01)

Wenn man es nur schreiben könnte, wie es sich leben ließe. Ohne Absätze und Übergänge, die sich gegen das Leben versündigen, so wie es sich bietet und wie wir es lieben. Aufeinmal. Ohne Grund. An all den Zufällen vorbei, die wir im Nachhinein zu Notwendigkeiten erklären. Mit plötzlicher Brutalität. So wie ein Hirsch im Herbst auf Straßen springt, wenn man gerade einen hohen Berg runterrollt, um sich vom Helikopterfliegen zu erholen, und Pavarottis Radiostimme die Zeit zu Raum werden lässt, auf den dann der Hirsch knallt. Nehmen wir mal an. Viele verschiedene Orte, die erst durch uns miteinander in Verbindung treten. Am besten ist man an all diesen Orten, als ob man gar nicht an ihnen gewesen wäre, macht einfach weiter, wie zuvor, was immer auch gewesen ist. So meistert man die Orte, weil man da ist, wo man ist und keine Straßen geht und an Straßen denkt, die man nicht gegangen ist. Es kommt dann gar nicht mehr darauf an, wie viele Orte man gesehen hat, sondern wie viel man in jedem dieser Orte sehen konnte. Von einigen dieser Orte möchte ich erzählen, ohne jemanden mit unserer Liebesgeschichte zu belästigen. Die Liebe hat nur eine Geschichte und es ist immer die gleiche, und die könnte man überall verbringen, auch an Tankstellen, ist ja glücklich genug, hat all die schon Orte in sich. Alles, was über dieses große Glück hinausgeht, ist so spürbar wie Wolken, Leistungssteigerung im Spitzensport. Fast verschwendet. Man ist im Himmel, gefangen im Grenzenlosen, höher geht’s gar nicht, außer man fährt bergauf, dann nimmt man den Himmel eben mit oder lernt auch, mit viel sehr glücklich sein zu können. Gelingt das, ohne ein Arschloch werden zu müssen, schafft man ein Kunstwerk des Lebens, einen Überschwang, der kaum auszuhalten ist. Danach kommt nur noch All. Kann man dann mehr von solchen Zeiten erwarten, als dass sie irgendwann vorbeigehen oder wir sie ruinieren? Worte sind vielleicht nicht genug. Sie fassen nicht alles und jeden, aber nichts limitiert so sehr wie die Möglichkeit zu allem, denn alles ist die konstante Ablenkung vom Nichts. Und im Nichts beginnt unsere Reise. Ein bisschen außerhalb der Zeit. In einer Villa auf einer Insel mit 4000 verschiedenen Pflanzenarten, die irgendein Hedonist mitten in den See geflanzt hat, um im Dickicht zu veranstalten. Die Villa ist jetzt ein kleines Hotel und die Pflanzenarten sind durstig und unvergleichlich und sehen nicht aus wie Hawaii oder Tahiti, weil es nichts gibt, was so ist. Die Natur zieht einen auf, ganz ohne Sitten und Manieren. Hier ist es am allermeisten so. Man ist dem Augenblick ergeben, spürt einen Aufenthalt lang, wie alles ist, das ganze Leben und kann dann traurig werden, etwas trauriger als sonst, aber richtiger, und schöner […]