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BYND

Konstantin Arnold

OZEAN

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Ich wusste eigentlich nichts über die Malediven, außer, dass die weit weg sind, irgendwo bei Asien im Meer. In den Träumen von Leuten, die viel arbeiten und unglücklich sind, weil sie keine Flitterwochen auf Inseln machen. Also gar nicht da, wo sie sind, eher auf Desktophintergründen und Werbeplakaten der Karmaindustrie. Ich habe sie in Schaufenstern von Reisebüros gesehen, die ständig Neueröffnung feiern, und schön blau in Unterhaltungen von ihnen gehört, die ich nicht ausstehen kann. Diese Inseln klangen wie der Lebensraum eines Lebenstraums aufs Kleingartenformat reduziert. Ein Sehnsuchtsort, der kein Photoshop braucht. Keine Filter. Auch keinen Baliquatsch. Chiasamen, Früchte, Dehnübungen wie man sie aus dem Fußballverein kennt, nur halbnackt und in Leggins, mit Meditation. Ganz allein für sich und mit Followern, die toll finden, wie man doch in Zen ist, mit sich und der Welt und all ihren Müslisorten. Ein Ruf eilte den Malediven voraus, und den galt es zu zerbrechen. Es gibt keinen Ort auf der Welt, der die Erwartungen mehr konzentriert. Man kann so fast nur eine Scheißzeit haben. Auf den Malediven sein habe ich deshalb in den Wochen vorher mit meinem Therapeuten geübt. Er meinte, wir hätten nichts zu beweisen und ich werde da ruhig wie Frühstücksmusik. Ich bin auch nicht so der tropische. Ich finde sie zu transpirierend und nehme den Zustand einer Schildkröte an. Schwitze, renne ständig aufs Klo, esse Salatgurken, schlafe am Meer. Ich trage gerne feste Schuhe und Hosen, sitze abends rauchend vor einem Pariser Bistro. In den Tropen kommt mir Rauchen noch viel schädlicher vor. Ein Freund meinte, Malediven, das passt ja mal gar nicht zu dir, die haben doch nicht mal Kolonialbauten. Außerdem siehst du scheiße aus in kurzen Hosen und der Wein ist schweineteuer, die zahlen 120 Prozent Steuern darauf. Ob ich ihr dort einen Antrag mache, oder Kinder? Nein, sagte ich, ich fliege zum Surfen hin. Surfen, sagte er, ich dachte damit wäre endgültig Schluss? Wirklich Schluss ist damit nie, antwortete ich. Der Himmel blau, die Luft ist mies, junge man das Paradies! Außerdem muss ich mir die Traumfabrik der Surfindustrie mal angucken. Die haben die Wellen von Zahnpastatuben und Duschdasverpackungen. Arabien knallt dort auf Orient. Unter Palmen. 26 Atolle, 2000 Insel. Das islamische Land besteht zu 99% aus Wasser. Seine Menschen sind Seefahrer, Fischer, Reisende, Expräsidenten, ich hatte gegoogelt. Den Rest wollte ich mir, für meine Weltanschauung, selber ansehen. Und außerdem, alles, was nicht zu mir passt, passt zu mir. Seit ich mit 16 mein erstes Surfmagazin in den Händen hielt, im Presseshop am Markt, flog ich durch die Welt, immer in Strandnähe. Studierte in Australien, Neuseeland, Lissabon, lebte in Indonesien und Mittelamerika, verfolgte die World Surf Tour von Südafrika bis Hossegor, surfte im Nahen Osten, stand mit den Größten des Sports an der Bar (manche von denen konnten eine Zigarettenlänge die Luft anhalten), versuchte Frauen klarzumachen, reduzierte Länder auf ihre Küsten und Küsten auf ihre Strände und die Strände auf Wellen, weil Surfen etwas Absolutes ist. Einen Strand benutzte ich nur, um über ihn drüber zu gehen. Mein Horizont ging von mir aus bis zur Sandbank. Von Madrid und von Goya hatte ich nie was gehört. Ich fuhr wie alle richtigen Surfer mein Dieselfahrzeug ignorant durch Europa, schiss in die Büsche, ließ mir die Haare wachsen, brachte meinen Restmüll und meine Geschlechtskrankheiten mit und dachte ich bin aber sowas von cooler […]