Menü

BYND

Konstantin Arnold

IM REIDS

IM REIDS

Für manche ist Madeira nur ein Drink, ein Ort, an den man dann mit 60 mal möchte. Eine Insel auf der Welt, irgendwo im Meer und dann links, wenn man lange genug Richtung Äquator gefahren ist. Voll netter Engländer, die nicht nur Saufen möchten und gerne lovley sagen, ein Vorteil also, mehr nicht. Für die, die schon mal da waren, ist es die Erkenntnis, dass das Paradies doch auf Erden ist. Die Insel ist ein Berg im Meer, vulkanausbruchgeschaffen, ein Garten Eden mit Kolonialbauten, 1862 Meter hoch, 560 Kilometer vor der Küste Marokkos. Madeira ist 741 km² groß, 490 Hektar davon sind Wein, der Rest Blumen, Berg und Bananen. Die Erde ist furchtbar fruchtbar. Auf der Nordseite fällt die Insel mit brutaler Plötzlichkeit ins Meer, auf der Südseite senkt sie sich allmählich und fällt erst im Meer tausend Kilometer bergab. Im Süden verhält sich der Atlantik mittelmeermäßig, rivieraesque, im Norden knallen Tiefdruckgebiete mit voller Kraft auf die Insel. Dadurch hat Madeira zwei Gesichter. Eins ist nass und rau, das andere sonnig und warm. Jurassic Park und Hawaii. Die Wolken sind immer da, aber sie tun nichts und verfangen sich nur, wie eine gut gemeinte Drohung, das beständig schöne Wetter nicht zu vergessen. Menschen leben an Hängen. Alles ist hoch und tief, fällt bergab oder geht bergauf, selten geradeaus, man steht ständig am Hang, hat noch nie so viel Meer gesehen, sieht es von überall, immer wieder überwältigend, es ist von einem einzigartigen, tiefen, Blau. Die Insel wirbt um sich, mit ewigem Frühling, lädt Prominente ein, um den Imagewechsel vom atlantischen Altersheim zum dynamischen Inseleldorado zu vollbringen. Eigentlich muss man in Madeira mit dem Schiff eintreffen. Aber Kreuzfahrtschiffe will man nicht und soweit Segeln, kann nicht jeder. Fliegen ist daher nicht verkehrt. Piloten brauchen eine spezielle Lizenz, um hier landen zu dürfen. Wegen der Winde und der kurzen Landebahn, die zu einem wundervollen Dorfflughafen gehört. Nach dem Landen hat man fast schon ausgecheckt und nach dem Ausschecken sind alle Wege kurz. Der Flughafen ist klein und hat Meerblick, wobei alles auf Madeira Meerblick hat. Man kann draußen auf der Terrasse stehen und den Piloten mit ihren Lizenzen beim Landen zu sehen. Interessiert nach der Landung erst mal keinen, aber später, beim Abflug, wenn du auf der Terrasse stehst und an die Zeit zurückdenkst. Man lässt viel in diesem Ausblick zurück. Es ist nicht so wie anderen Städten, wo man am Flughafen noch nicht da ist. Alles ist sehr grün und sehr blau und sehr schön und das Schönste ist, dass es auf der Insel nichts Höchstes, Größtes und Erstes gibt, das hier schon angepriesen wird. Die Insel kommt fast ohne Attraktionen aus. Es gibt keine Eiffeltürme, Petersdome, Kolosseen, vor denen man anstehen kann. Keine bedeutenden Kunstsammlungen, Top Tens, Must-Sees, nur das Reids, Zimmernummer 501 […]

KOLONIAL

KOLONIAL

Wir kamen als Liebespaar auf die Blumeninsel und wollten die Blumeninsel als Liebespaar wieder verlassen. Ein paar Tage Urlaubsstreit und die Suche nach unserer portugiesischen Riviera. Die Insel eignet sich hervorragend für Verliebte. Alles ist sehr grün und sehr blau und sehr schön und das Schöne ist, dass es hier nichts Schönstes und Größtes und Erstes gibt. Die Insel kommt ohne Attraktionen aus. Hat keine Superlative nötig. Sie ist und das ist einfach schön. Man muss nur leichte Weine trinken, Blumen pflücken, die Attraktionen in sich tragen. Es gibt keine Eiffeltürme, Petersdome, Kolosseen. Keine bedeutenden Kunstsammlungen, von denen wir gehört hätten. Nur wurde ihr  von den vielen Kurven ganz schlecht und sie meinte, ich solle die Kurven doch bitte gerader fahren. Es musste so kommen und wir hatten es kommen sehen. Man sieht es immer kommen, kennt die Vorzeichen, fragt sich, wie das nur möglich ist, kann sich aber nicht entziehen und wird von einer unsichtbaren Kraft in den Abgrund gezogen. Man verschwendet seine Zeit nie, solange man sie ehrlich miteinander verbringt, aber wenn man aufeinander wütend ist, ohne etwas zu sagen und sie dann noch das letzte Stück Melone isst, ohne zu fragen, will man umfallen oder sich ins Meer stürzen. Man spricht miteinander und denkt sich zu verstehen, aber versteht nur sein eigenes Gefühl, das man dem anderen unterstellt, aber lassen wir das. Jeder weiß, wie ein Urlaubsstreit funktioniert, wenn alles um einen gut ist und unschuldig blüht. Einziger Unterschied: eine Portugiesin sucht hinter ihren Beschwerden nicht nach Lösungen. Der Deutsche streitet resolutionsorientiert.Ein gutes Essen und Wein und alles ist wieder gut. Man kann sich wieder entspannen und verpasst nichts, wenn man sich entspannt. Man kann mit gutem Gewissen auf den Felsen am Meer liegen, schwimmen gehen, wie verrückt oder bunte Früchte im Liegen essen. An unserem ersten Tag schauten wir, vom Bett aus, einer Gardine beim Wehen zu. Das war alles. Es war ein halbdurchsichtiger, weißer Schleier aus Fantasie, der sich zwischen uns und dem Ausblick bewegte. Durch die Gardine sah man auf den Balkon und vom Balkon durch den Blumengarten hinaus aufs Meer. Die Gardine wehte wie eine Filmszene hinter der stolze Palmen standen und das Blau des Himmels war und ein Horizont so weit und gerade, wie wir ihn noch nie zuvor gesehen hatten. So stelle ich mir das Paradies vor. Die Ewigkeit. Ein lautlos wehender Vorhang, der von einer Prise bewegt wird, die einen trocknet, nachdem man sich von einem bestimmten Gefühl befreit hat. Man macht sich frisch, cremt sich ein, sieht gebräunt aus und setzt sich auf die himmlische Terrasse des Reids Palace Hotels. Einmal im Leben muss man, an einem Nachmittag, auf dieser Terrasse gesessen haben. Nur nicht zum Afternoon Tea, von halb vier bis halb fünf. Das ist einfach eine Stunde, in der man nicht rauchen darf und Tee trinken muss und sich komisch verhält. Alle anderen Stunden auf dieser Terrasse sind selige Stunden und man wird sie von da an immer mit sich herumtragen, egal wo man sitzt. Man wird sich erinnern, wie man nach einem getanen oder nicht getanen Tag, ohne Stress, ohne Verabredungen auf dieser Terrasse saß und sich treiben ließ, von dem, was ist und sein wird und mit dem Aperitivo auf seine Freundin wartet, der sich naturgemäß etwas länger frisch machen muss. Es ist ein wunderbares Gefühl mit dem Aperitivo auf einen Menschen zu warten, den man liebt. Man sieht die Schiffe kommen, auf sich zu, schreibt was auf, erfährt von Duarte und Capela, den Barmännern des Hotels alles über die besten Restaurants und den frischesten Fisch und den neusten Tratsch. Die Wolken sind immer da, sie kommen vom Berg oder verfangen sich dort, aber sie tun einem nichts […]