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BYND

Konstantin Arnold

WO ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT III

WO ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT III

Wir bekamen ein Zimmer im Savoia, mit Blick auf den Platz und den Bahnhof Genova Principe, den Kolumbus, weiß und hoch, wie immer, neben den Maulbeerbäumen und der Poste Italiane auf der anderen Seite. Ich stand auf dem Balkon und sah über die Stadt. Der Verkehr erschloss sich unter mir und machte sich wichtig. Erinnerungen und Erwartungen stiegen in mir auf, aber ich konnte mittlerweile gut mit den Krankheiten des Reisens umgehen, in dem ich mich erinnerte und erkannte, was wirklich wichtig gewesen ist und zu Erinnerungen wird. Nichts von dem war hier. Ich rede nicht von Sex, der ist nicht wichtig, sondern nur Dinge, die dazu geführt haben. Ihre Gegenwart nahm das alles ein, den Blick und die Stadt und den Abend, der sich schon über allem ausbreitete. Wir hatten daher nur Zeit uns frisch zu machen und gingen, sicher geworden durch Lobby, Lift und schwere, goldene Schlüssel, die Via Balbi runter, an den Leuchtschriften und Illy-Schildern vorbei und dann rechts. Es war schön und angenehm, am Anfang einer langen Reise, durch oft beschriebenes zu gehen. Man hatte die Erinnerung an den Ort und den Ort und das Gefühl vor allem Anfang zu stehen. Da war nichts von der Schwere, nur die Erinnerung daran und zukünftige Pläne und die Erkenntnis, was unwichtig ist und nicht und nur so im Gehen notiert. Man musste sich nicht weiter darum kümmern, man hatte es verstanden und brauchte es nicht noch besser schreiben, weil es schon gut war, wie es war und vielleicht sogar besser, als wenn es noch besser gewesen wäre. Für die Wahrheit blättert man ohnehin nicht in Büchern, sondern fährt mit der Metro oder sieht sich die Fleischer an, vor allem die Fleischer. Alles, was blutet, stimmt. Heilige bluten, Stiere, und Frauen. Beim erzählte ich ihr von den Seen im Norden des Landes. Seit Menschen reisen sind sie von dieser Region begeistert. 196 vor Christus erobern Römer Como und das südliche Tessin. Ein halbes Jahrtausend später kommen Alemannen von Norden her, werden aber von den Römern aufgehalten. Gott sei Dank. Dazwischen Langobarden, 1496 der Treueeid, 1530 werden Locarno und das Maggiatal eidgenössisch. Nirgendwo knallt das Mediterrane so gewalttätig auf das Alpine. Nirgendwo ist ein Küstenort so sehr in den Bergen. Gletscher und Eis, die unter der sündhaft, schönen Sonne des gleichen Südens liegen. Man fährt durch einen Tunnel und ist im gleichen Land zwei verschiedener Nationen. Vorbei die grünen Wiesenteppiche der Schweiz, die Postkartenkulissen, der Buttermilchfrieden. Jedes Dorf hatte seinen Brunnen und seine Post und sein Gasthaus zur Post. Die Kirchtürme stehen hoch und hohl im Tal, wie Antennen zu Gott. An den Straßen nun weltmännische Dorftypen, die ihr Moped an einer Bushaltestelle testen und einer Monica Bellucci hinterherrufen. Ein Wirt im Lokall, der die erste Zeile von Verdis La Traviata pfeift. Die Landschaft wird von Zypressen beherrscht und von Säulen gehalten. Alles ist grün, blau und weiß, und so dass man eigentlich nicht rauchen muss. Es soll für die Bewohner des Sees keine Erlösung geben, kein Paradies, weil sie hier schon da leben durften. Die Seen sind so tief, wie die Berge hoch. Gesehen hat das noch keiner, aber fühlen kann man das schon. Sie sind ganz weich und flach und ähneln Meeren, neben stillsteilem Fels. Altgediente römische Legionäre verbrachten hier ihren Lebensabend. Flaubert hielt die Region für den sinnlichsten Ort der Welt, sogar der Orient Express hielt damals in Stresa. Hier schafften Künstler, unter Palmen und voll Pasta, endlich mal nichts zu tun. Nirgends wurde sich in der Literatur schöner vorm Krieg versteckt. Die Dörfer schön, die Gipfel weiß, die Sehnsüchte der Menschen spiegeln sich in den Wellen wieder, die manchmal blau und meistens grün sind. Die Welt könnte untergehen und man würde das hier erst ein paar Tage später mitbekommen, durch die unaufgeregte Information eines Concierge. Man sagt, dass, die Götter hier in den Wolken wohnen und im Regen die Frauen befruchten und Stendhahl schrieb, wer zufällig ein Herz und ein Hemd besitzt, verkaufe es um am Lago di Como zu leben […]

ÜBER DIE DÖRFER

ÜBER DIE DÖRFER

Mein Freund Filippo, ein Parmesanbauer, den alle im Dorf nur Pippo nannten, hat ein kerngesundes Milchgesicht mit blonden Haaren. Wir hatten uns ein Jahr nicht gesehen, aber das schien unverändert. Ich kam mit dem Nachmittagszug aus Mailand nach Fidenza. Das gleiche Bahnhofslokal, die gleichen Leute, genauso ein Regentag und doch alles anders, sehr vertraut und sehr fremd und schrecklich gleichzeitig. Vielleicht waren es auch andere Leute, aber sie saßen vor den gleichen Drinks und sahen genauso aus, wie vor einem Jahr und und so, als hätten sie mit dem Weitertrinken auf mich gewartet. Das tut gut, bei aller Vergänglichkeit, die uns umgibt. Ich wartete auf Pippo und fragte mich, was besser ist: Dinge erleben oder lieber nicht, sich auf sie zu freuen oder nun daran erinnert zu werden. Man hat diesen Ort und seine Erinnerung daran, aber nach einer Trennung konzentriert sich alles in einem schwarzen Loch. Man erinnert sich an Sachen, wie das WD40, das man damals an einer Tanke kaufte und daran, dass man es auch zusammen geschafft hatte, unglücklich zu werden. Man lenkt sich besser ab und fragt sich, wo Pippo wieder bleibt, bis man ihn in seinem schwarzen Jeep heranrasen sieht. Er fuhr, als wäre er auf Gleisen. Wir umarmten uns herzlich und er fragte gleich, ob ich an die Bar will, heute wäre sonst nichts mehr zu tun, außerdem sähe ich niedergeschlagen aus. Ich sagte, dass ich das lieber nach einem Tag Feldarbeit tun würde, als jetzt, so, in dem Aufzug. Er nickte und sagte, klar, komm erst mal an und leg diese Sachen ab. Ich stieg in den Jeep und sah beim Fahren auf die Felder, um mich abzulenken. Diesmal von der Tatsache, dass wir fast zweihundert fuhren. Das Gras stand genauso hoch wie beim letzten Mal, als ich glücklich war und verliebt. Die Liebe ist auch immer noch da, nur das Glück, das ist weg. Ich sah die Mohnblumen impressionistisch im Gras an mir vorbeiziehen und Pippo meinte, schau, mein Käse, der wird aus Blumen gemacht. Ich mochte Mohnblumen, weil sie da waren, wo sie waren und nirgendwo anders sein konnten, ohne zu vergehen. Pippo sah eigentlich überhaupt nicht italienisch aus, bis auf den kleinen Pastabauch. Seine Augen waren Meerblau und wenn wir an einem Feld vorbeifuhren, das nicht seins war, heften sie sich an das Gras der Felder, als wäre es der Hintern einer vorbeigehenden Frau. Das besondere an seinem Käse war, dass er alles, vom Gras zur Milch bis zum Käse, selber machte. In den nächsten Tagen würde ich alle Stufen durchlaufen. Er war ein interessanter Kerl, unvorhersehbar und schwer einzuordnen und manchmal ein bisschen wirr, wie es sonst Bergmenschen eigen ist. Er hatte diese Art beim Trinken immer einen Moment zu haben, in dem man dachte, dass es eigentlich gleich alles vorbei ist. Er redete dann sehr langsam und wurde ruhig und kam erst nach einer ganzen Weile wieder, so als hätte er nur lange ausgeholt. Er hatte immer Durst und nie Hunger, zumindest sagte er, dass er nie welchen hätte, bis das Essen kam und er es mit größtem Genuss verschlang. Ich kannte keinen Menschen, der so vom Essen sprechen konnte, wie er, und es war schön zu hören, wie er von vergangenen Essen sprach oder künftigen oder was er eben aß. Man könnte jetzt fragen, ob es nichts wichtigeres gäbe, aber was wäre dann überhaupt noch wichtig? Gerade, wenn man etwas wichtiges macht, einen politischen Deal oder ein romantisches Abendessen, ist es doch wichtig, welche Weine man trinkt und was man dazu isst. Das macht den Charme der Menschen doch aus: Churchill, der sich ohne seine Romeo y Julieta nie mit Stalin getroffen hätte, Kennedy, der vor dem Telefonat mit Chruschtschow einen bestimmten Bordeaux trank oder Richard Gere, der niemanden ausziehen würde, mit dem er nicht vorher im Lotus gefahren ist. So ist Auto fahren mit Pippo auch. Man lebt nicht nur für den Moment, man überlebt ihn und rast zwischen den Momenten umher, die schönen, glatten Straßen lang bis ins Ziel. Er brachte mich in mein Gästequartier und hier war man nun, allein! Die Sonne schien, bis zum Abendessen manchmal durch die Wolken in mein Zimmer, sonst passierte nichts. Es ist immer schwer, wenn man aus der Stadt aufs Land kommt. Man kriegt erst mal Panik, will irgendwas tun, muss doch irgendwas tun, wenigstens Mails schreiben, Sporttreiben, Aufräumen, einen Café to Go trinken, mit dem Stadtleben auf dem Land weitermachen, aber man kann nichts machen, außer nichts, bis einem die Seele nachkommt. Es wird dann sehr laut in einem, wenn um einen plötzlich alles still ist. Willkommen in der Emilia Romagna. Wie immer im Mai, wenn ich Freunden erzählte, dass ich nun erst mal wieder in Emilia Romagna bin, kann keiner was damit anfangen. Dabei kommt ein Großteil von dem, was wir für Italien halten, hier her. Ich habe eine Leidenschaft für Orte, die zwischen den Orten liegen und ohne Eifeltürme und Kolossen auskommen. Das Land zieht mich irgendwie an, es spricht zu mir. Die weiten Felder, das Licht, die langen, einspurigen Straßen, die die kleinen Dörfer miteinander verbinden […]

WETTERLEUCHTEN

WETTERLEUCHTEN

Es gibt da etwas, dass dir nur Leute zufügen können. Etwas, dass dich reinzieht, ohne, dass du etwas anderes dagegen tun könntest. Du kannst immer und überall in sowas reingeraten und alles am Ende nicht so gewollt haben. Du kannst versuchen, es zu erklären, dich darüber aufregen, verrückt werden, flennen, wenn das dein Männerbild zulässt, aber du kannst nichts dagegen tun, denn das hieße sich dem Leben verwehren, wie es sich bietet. So sind die Schwerkräfte des Lebens nun mal, Naturgesetze menschlicher Umlaufbahnen, die in Form von Anziehungen und Abstoßungen um dich kreisen, solange du lebst und so lange Leben Mitleben heißt und du noch kein dummes, gefühlskaltes Arschloch geworden bist, also ein glücklicher Mensch. Unter liebenden Lebensumständen heißt das, in meinem Fall, dass alles, was man nun tun kann, falsch ist oder gegen dich verwendet wird. Spricht man es aus, dreht man ein Ding draus, spricht man es nicht aus, hat man es nie gesagt, verheimlich vielleicht sogar was, also sagt man es und richtet ausgesprochenen Schaden an, unterstellt dem anderen, dass es ihn beschäftigen würde, oder regt den Verdacht, dass es für jemanden von Interesse wäre, obwohl man nur ein gottverdammter Geliebter ist, der aus Verständnis versucht, den anderen vor seinen eigenen Gedanken zu bewahren. Das, was dir nur diese Leute zufügen können, geht meist mit einer gewissen Verantwortung einher, die dir von ihnen aufgetragen wird. Das kann die Information eines Freundes sein, die man einem anderen aber nicht erzählen darf. Das kann Rücksicht sein, die man in Form von Unehrlichkeit aufeinander nimmt. Ich habe Menschen gesehen, die nie etwas aussprachen und nur so überlebt haben. Hat aber nichts mit dem Schweigen meiner Eltern damals beim Chinesen zu tun. Das muss man mal diplomatisch sehen. Wenn einem Land aus Versehen eine Bombe in ein anderes fällt, lässt sich darüber reden, aber sobald es auf öffentlicher Bühne ausgetragen wird, ist das andere gezwungen zu reagieren und die Sache wird fatal. Ich sage daher immer gleich alles und nehme auch keine Rücksicht auf niemanden, nicht mal mich selbst, auch wenn das nicht so ein guter Grund zum Trinken ist, wie es nicht zu tun. Wenn nun viele dieser Leute mit anderen zusammenkommen, merken sie oft gar nicht, dass sie das tun, aber diese Erkenntnis bringt genauso viel, wie sie nicht zu haben. So ist es immer schwierig, wenn man sich eine Zeit nicht gesehen hat und dann erzählen muss, wie etwas war. Oft hängt die Seele noch da wo die Geschichte spielt. Anders ist es, wenn man mit diesem einen Menschen an den verschiedenen Orten gewesen ist, dann hat die Seele in ihm ein Zuhause. Antibes, Lissabon, München, St.Moritz, Mailand. Ich bin dann immer aufgeregt, was sich nicht so zeigt, sondern dadurch, dass ich alles fertig gedacht und parat haben will, wenn sie kommt. Sie ist allumfassend. Nimmt mich ein. Vielleicht verliere ich mich, hab ein Recht auf mich, aber in Mailand bringen wir uns auf den neusten Stand. Essen diese Pizzadinger, die sie so mag, gleich hinter dem Duomo. Spazieren durch die Galeria, trinken einen Caffee bei Camparino im Stehen und freuen uns, dass die Statue des Leonardo jetzt so schön im Grün steht. Sie schwärmt, wie Lissabon blüht. Ich hätte die Jacarandas verpasst. Die ersten warmen Sommertage. Aber ist gut jetzt in Mailand zu sein. Wir gerne würde ich ihr was teures kaufen. Sie fragt, wie alles so war? Wie schwierig die Zeit daheim und der eine Abend mit Oma, obwohl der nach einer Flasche Wein und zwei doppelten Wodka eigentlich ganz schön wurde. Sie fragt, wieso und ich weiß nicht, wie ichs erklären soll, aber Oma will immer, dass ich zu ihr komme, selbst wenn draußen der schönste Frühlingstag ist, Sonne, was seltenes. Ich überredete sie, mit mir auf eine Caféterrasse zu kommen, um ein Glas in der Sonne zu trinken, aber unter solchen Umständen bekommt man natürlich keinen Tisch und einen Sonnenbrand und bezahlt zu viel. Nach einem Versuch von Apéro (meine Oma trank nichts) ging wir essen (meine Oma aß nichts). Sie bestellte sich einen Sex on the Beach mit zwei doppelten Wodka und sagte sie lade mich ein, nur die Flasche müsste ich selbst bezahlen. Nach der Hälfte wurde es eigentlich ganz lustig und bis dahin ist es unerträglich gewesen. Ich habe an diesem Abend wieder gemerkt, dass Alkohol eine Lösung ist, eine viel bessere, als das was er entriegelt, in sich zu behalten. Oma begann locker zu werden, wie eine Freundin, sogar ein paar neue Geschichten aus dem Krieg waren dabei und nicht immer nur die gleichen und wenn dann nur einmal. Nur warum meine Mutter so ist, wie sie ist, konnte sie auch nicht sagen. Ihrer Meinung nach trug sie daran keine Schuld. Eingeharkt bracht ich sie heim, rechts die Oma, links den Rest Wein. Es war ein schöner Abend. Der Himmel war noch blau und die Nacht blieb […]