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BYND

Konstantin Arnold

WO ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT II

WO ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT II

Omar Chayyām, der Dichterprophet Persiens sagte mal, dass mehr Leute auf der Welt fähig sind, Bücher zu schreiben, Heere zu führen und Kaiserreiche zu reagieren, als ein Hotel zu leiten. Ein Hotel ist ja immer erst ein Haus, in dem man eigentlich nicht zuhause ist. Die Zimmer gehören mehr denen, die es aufräumen, den Eingang bewacht ein Portier, der Nachtisch ist eine Pflicht den Kellnern gegenüber. Aber es gibt Hotels, in denen man richtig leben kann, wie in seinem Leben, sogar sterben könnte man da. Die schönsten sehen aus wie Vanilleeis mit einem Dach drauf. Die Lobby ist Marmorweiß, die Kellner tragen Manschettenknöpfe und verteilen Häppchen. Die Bar ist aus Holz und hat Polster, auf die man seine Ellenbogen beim Sprechen stützen kann oder einfach nichts sagt und stumm stützt und durch den Raum hinaus aufs Meer sieht. Zwischen klassischen Häusern und neureichen Scheißhäusern, in die Leute gehen, um reich zu sein, liegt ein himmelweiter Unterschied in Form einer Wahrheit, die jeder selbst entschlüsseln muss, in dem er herausfindet, welche Wahrheit überhaupt gemeint ist. Sie ist auf jeden Fall nicht mit Geld gleichzusetzen, außer für Leute, die den Wert von etwas nicht kennen, oder nur kennen, wenn sie wissen, was etwas wiegt, welches Maß es misst oder wie viel es kostet. Ich persönlich interessiere mich nicht für Geld, denn ich habe keins. Ich lebe in Lissabon, Rom, Wien, Paris und doch nirgendwo, schreibe Geschichte, die alle toll finden und keiner verlegen will, und versuche mich von meinen Leidenschaften zu ernähren. Meine Postadresse in Rom ist das Hassler, in Lissabon ein altehrwürdiges Café. Grand Hotels sind wunderbare Orte, die aus der Zeit fallen und dem Ort, an dem sie stehen. Sie leuchten wie weiße Botschaften der Zivilisation an den Küsten und stehen in Städten wie Diplomatien, die man benutzen und anfassen und einsauen darf. Sie dampfen wie große Schiffe in den Bergen, die durch die Zeit fahren und transportieren die Gegenwart einer längst vergangenen Zeit, damit es die Welt von gestern, auch morgen noch geben darf. Dadurch entsteht eine Verbindung zwischen den Zeiten. Nicht, dass sie einem so näher kämen, sondern weil dadurch eine scheinbar große Sehnsucht überbrückt wird. Das ist gut für Menschen, in denen es von Natur aus laut ist. Ein Vaterland für alle, die sich zwischen den Zeiten gefangen fühlen und keinem Vaterland zugehörig. Der Portier ist Pole, der Bellboy Russe, der Kellner aus der Slowakei, der Barmann Italiener, die Hausdame Portugiesin, der Direktor Österreicher und kaiserlich, selbst wenn er Befehle empfängt. Alle samt aus der Enge ihrer patriotischen Gefühle vertrieben und der Selbstverständlichkeit ihrer Heimat entrissen, für die sowieso keiner was kann, da die Welt nicht, wie angenommen, aus einem einzigen Ort besteht, sondern Millionen Orten, die sich alle für die einzigen halten. Ich verstehe, dass einige das nicht verstehen, aber ich verstehe auch, dass wir immer was für uns wollen und selten wollen wir das für andere. Kaum einer will heute von guten Zeiten lesen, geschweige denn von den besseren, wenn er nicht selbst eine erlebt. Am nächsten Tag waren wir am Meer verabredet, was sehr schön war. Man konnte schwimmen und war bereit für die nächste Flasche. Wir fuhren nach Saint-Paul-de-Vence, tranken vier davon im Café de la Place und spielten Petanque. Der Regen hatte sich verzogen und der Platz unter den Bäumen war leer. Nichts von dem hier erinnerte an die Schwarzweißbilder, die ich ihr davon gezeigt hatte und die Geschichte, dass ich bei meinem ersten Mal drei Tage brauchte, bis man mich mitspielen ließ. Ihr waren die Schwarzweißbilder der Bardots und de Gaulles egal und sie spielte ganz zauberhaft, einfach, elegant, unbeeindruckt und provinziell, wie in einem französischen Roman, bevor er veröffentlicht ist. Ich konnte ihr kaum widerstehen, in diesem langen Kleid, den Ballerinas und der Strickjacke, die sie sich drüber gezogen hatte und hasste sie noch mehr. Sie sagte, ihr ginge es genauso, wie ich da so im Anzug stehe, mit Kippe und auf die Bälle ziele und mich so sicher bewege, im Terrain und all diese Dinge kenne. Ich werde nie vergessen, wie sie auf mich zu rannte, um ihren letzten Wurf zu machen und ich dann noch einen Ball hatte, um das Spiel zu entscheiden und das Spiel entschied gegen einen Straßenkehrer und einen Abgeordneten aus Antibes. Nachdem Spiel prügelten wir den Bentley über die Hügel von Nizza. Ich war etwas angeschossen, aber so, dass ich alles noch unter Kontrolle hatte, wie immer, wenn man trinkt, fährt und das denkt. Hier oben konnte man von den Alpen der Provence bis zum Meer sehen. Die Temperaturen waren niedrig. Ich gab Gas und sah mir ihr Gesicht im Rückspiegel beim Gasgeben an. Ihr Blick provozierte, wie sie da so saß und lächelte, seelenruhig, in ihrem Kleid, den Schal über die Schultern gelegt, wie eine falsche Katholikin und mich fragte, ob da nicht noch mehr geht. Ich gab ihr mehr und sie schrie und wollte noch mehr als mehr, aber nach noch mehr käme der Tot. Im Zweifelsfall verheerend, interessiert aber eigentlich keinen, solang man weiterlebt. Man muss bis an die Schwelle, nur nicht darüber hinaus. Beim Petanque hatte ichs ihrs gezeigt, aber das ist Murmelnspielen eben. Liebe ist dann das Gefühl, noch nie schnell genug mit ihr gefahren zu sein. Das man weiß, wo diese Schwelle ist, und nicht die Kontrolle verliert, und denkt, dass die Typen, die sie vor mit hatte noch schneller gefahren sind und sieht, wie sie um die Kurven durch den Bentley fliegt, ist diese Schwelle. Wir fuhren dann noch ein bisschen über die Dörfer, suchten eine Bar, die noch offen hat, kauften Zigaretten und sprachen mit den Einheimischen. Die Reifen des Bentley qualmten und ein netter Kerl, der früher mal Messerwerfer war, lud uns ein. Auf dem Heimweg sagte ein Freund, dass das so nicht geht und ich fragte, was? So schnell zu fahren und damit davonzukommen und zu denken, den Menschen mit seiner bloßen Anwesenheit schon etwas zu geben. Es ist unerhört und unmöglich und es ist dadurch begehrenswert […]

WENN ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT I

WENN ÜBERALL AUF IMMER TRIFFT I

Natürlich kann man nicht einfach erzählen, wie eine Reise war und erwarten, dass jemand was damit anfangen kann, wenn er nicht schon selbst da gewesen ist oder Lust hat an einer Hotelbar, in Genua, mit dem Barmann darüber zu reden. Es gibt auf Reisen immer gute Geschichten und lustige, die die Leute mögen und sie wollen diese Geschichten auch hören, wie man in einem Bahnhofslokal, in Busto Arsizio, festsaß und kein Zug mehr ging. Die Bar war lang und ging durch den Raum und man konnte sie vom Vorplatz und vom Gleis aus betreten. Reisende und Einwohner kamen hier zusammen. Männer an Theken, billige Reginella, mit Liebe gemacht, Kaffee, der exakt 22 Sekunden lief. Schon mein Geschmack, auch wie zum Bahnhof hin Bar geschrieben steht. Ich trank Averna mit einer, die die Männer an der Theke Valentina nannten. Im Hinterraum standen ein paar Spielautomaten und Billardtische, auf denen wir schliefen, den Rest behält man für sich oder schreibt ihn auf oder wartet, bis die Leute selbst dagewesen sind und mehr hören wollen oder sich verlieben und wissen, was es heißt, wenn man sagt, dass man nicht viel getrieben hat bis dahin. Ich kann so nicht erzählen, nur mittelmäßige Liebesgeschichten, ohne Liebe, lassen sich so erzählen, von Autoren, wie ich einer war, bevor ich einer wurde und mich verliebte. Man kann nicht nur erzählen, wie man sich liebte und den Bentley nach drei Flaschen Rosé im Café de La Place über die Hügel von Nizza jagte und wie schön sie aussah, als sie, bei 240, das Meer und Nizza zu ihrer Rechten, schneller! schneller! schneller! schrie. Das wurde mir am Ende sehr klar, als wir im Café des Amis saßen, mit Freunden, wie der Name schon sagt, die sich zeitgenössisch darüber echauffierten. Man konnte denen höchstens vom Hotel du Cap Ferrat erzählen, weil man dort festsaß und die Rechnung nicht zahlen konnten und den Sprit, um den Achtzylinder zurück nach zu Mailand zu bekommen und Franz in Wien schrieb, einem Verleger, dem ich vorheulte, dass wir hier festsitzen, wie tote Idole und die Drinks zahlen müssten und den Sprit. Hätte ich ihn nach was anderem gefragt, nach was zum Anlegen, Geld für Miete oder eine Lebertransplantation, er hätte nichts bezahlt, aber so gab er uns etwas Geld, das sogar noch für neue Drinks unterwegs reichte. Franz war vielleicht der einzige Verleger, der das heute noch verstand. Unsere Reise ging von den Seen über das Land bis ans Meer, kreuz und quer. Ohne zu wissen, an welches. Das musste man so früh im Jahr aber noch nicht. Man fragt sich auf dem Weg von Mailand an die Riviera natürlich, ob es sinnvoll ist, extra für ein paar Negronis noch zwischen Cernobbio und Ravenna zu halten. Aber Angelo arbeitet im Sommer da in der Villa d’Este, nachdem er den Winter in St.Moritz im Kulm gearbeitet hat. In den Bergen leitet er das Grand Restaurant, hier bringt er einem die Drinks und wenn er einem die Drinks gebracht hat, an einem Abend unter Bäumen, mit Blick auf den See und dem Knirschen seiner Schritte im Kies und dem Klang von Eiswürfeln im Glas, das von ihm über den Kies, unter den Bäumen getragen wird, fragt man sich das nicht mehr. Man schwelgt in Erinnerungen und denkt über den Sommer nach, redet mit Angelo über die besten der alten Orte und einige neue, an denen man mit seinem Leben weitermachen würde. Badeorte & Bergdörfer, Inseln, Hotel Paläste. Ans Meer fährt man sicherlich, aber hier am See, zwischen Norden und Süden, meint Angelo, müsste man noch nicht wissen, an welches. Man macht die nötigen Korrespondenzen, studiert Wetterkarten und Ausstellungsverzeichnisse der Zeitungen, trifft Vorkehrungen und Verabredungen, organisiert Zusammenkünfte, Lunches mit Leuten, die man kennt und lässt sie vom Lago di Como aus lieb Grüßen. Ich hatte eine Zeitung dabei, die eine Woche alt war und dachte das Wetter aus der Zeitung würde sich noch ändern, aber es änderte sich nicht und Mailand war bei unserer Ankunft so dunkel wie die bei Nacht und all die Wolken der Welt schienen sich im Becken vor den Alpen zu verfangen. Wir holten unseren Bentley und standen im Feierabendverkehr mit all diesen Warnsystemen in Nordatlanitktiefgrau. Der Innenraum dieses Autos sah aus wie der einer Boeing und man saß auch wie First Class, mit Sicherheitshinweisen, die dafür sorgten, dass man sonst nichts mehr zu tun musste, außer sich beim Fahren Gedanken zu machen. Ich schlug vor, so bis nach Genua zu fahren, weil man beim Bentleyfahren, das Fahren sowieso nicht so mitbekommt und das Wetter dort besser ist. Ich verbrachte jedes Jahr eine Nacht da und das konnte gut die hier sein. Natürlich gibt es bessere Städte, um sich die Absätze abzulaufen, aber wenn man jedes Jahr eine Nacht da ist, war die Stadt ein Traum, in dem alles so ist, wie es sonst nie nirgendwo war. Die größte Altstadt Europas, Paläste, einen Spalt weit von einander entfernt. Heute wohnt dort kaum einer mehr im Zentrum, was das Zentrum wundervoll macht, mit guten Bars und billigen Restaurants im Freien und unter Fresken. Geschichten von Tausend und einer Nacht und Nutten, Einwanderern, Ratten, aber sie hatte mein Angebot längst gekauft […]

UNZUMUTBARES

UNZUMUTBARES

Bin geschafft, aber kanns kaum erwarten, und der Baggerfahrer vor unserem Haus baggert ja auch. Senhor Alfredo schleppt seinen schweren Körper schon seit neun wieder durch die Tendinha, auch wenn der selbst daran Schuld ist, am Körper und dass er so spät immer noch eine letzte Flasche aufmacht. Ich könnte einfach morgen damit anfangen, ausgeschlafen, ohne Baggerfahrer und Alfredo, gleich an der Riviera, aber unsere fängt meistens sowieso schon zu Hause in Lissabon an. Ich bringe den Müll raus, sie sucht sich ihre Outfits zusammen. Ich gieße die Blumen, sie sucht sich die Outfits zusammen. Ich räume auf, sie sucht immer noch. Klare Rollenverteilung. Es ist dann meistens weit nach Mitternacht und unser Flug nur noch wenige Stunden entfernt. An Schlaf ist nicht zu denken, denn sie sucht dann immer noch. Wir haben das so oft gemacht, dass es mich gar nicht mehr aufregt. Außerdem habe ich das mit meinem Psychologen besprochen. Er hat mich darauf eingestellt und wir laufen seitdem wie ein Uhrwerk. Er meinte, ich solle solange mit einem Buch in ein Café gehen, auf dem Weg zum Flughafen, oder schon mal eine Einleitung schreiben, die wie immer damit beginnt, dass der Flug so früh war und wir so spät gewesen sind. Ich flog nur mit Anzug, zwei Hemden, einer Badehose, ohne Computer, mein Telefon benutzte ich eh nicht. Ich flog, wie man nach dem Aufwachen vielleicht an den Strand geht. Mit einem fast fertig gelesenen Buch von Pio Baroja, der über die gute alte Zeit schreibt, als das Meer noch nicht industrialisiert war und die Küsten nicht so kultiviert. Er behauptet nicht, dass Meer sei damals besser gewesen, aber weniger befahren, nicht so friedlich, vielleicht etwas romantischer und gefährlicher, wohl aber jünger und nicht ganz so verglichen. Betrand Russels Warum ich kein Christ bin kam auch mit, obwohl das nicht passt und Worte wie Transgression, also die Eroberung der Dinge, die kein Sex sind, ein zu schweres Thema für einen so leichte Gegend ist. Sie bekam den meisten Platz in unserem Koffer. Ich schrieb meiner Mutter, dass ich jetzt eine Zeit lang nicht da bin, wo ich sonst bin und sie schrieb zurück, noch weniger als sonst? Ich antwortete ja. Wo gehts denn hin? Hotel du Cap, Antibes. Was, bist du nicht pleite? Ja, sagte ich, aber die Mahlzeiten sind umsonst, inklusive der Drinks, wir fliegen zum Sparen hin. Keine Ahnung, warum ich das schrieb. Aber ich hatte sonst nichts zu schreiben, außer dieser Geschichte, die jetzt erst einmal gelebt werden musste und mich hoffentlich davon abhielt, die alten immer weiter zu umschreiben, bis sie endgültig versaut sind. Nachdem sie mich in der Bar abgeholt hatte und wir endlich im Taxi saßen und nichts mehr schiefgehen konnte und sie ihren Pass erst nicht dabei hatte, und dann doch und ihr Telefon, und ihre Outfits, fragte ich, ob mich mein Psychologe von der Liebe geheilt hätte? Wir streiten ja gar nicht mehr. Ich hatte ihm gesagt, er solle mich ganz machen, aber doch nicht ganz. Sie sagte, nein, keine Sorge, ich hätte nur gelernt Dinge für mich zu behalten und zu unterscheiden, wann man etwas sagt und was und vor allem wie. Wir hätten aus unseren Streits gelernt und wären es allen Orten schuldig, die wir schon verschwendet haben. Ich sagte, große Gefühle gäbe es doch nicht umsonst und wir brauchen uns gerade aufgrund der Neurosen. Doch, gibt es, so ist die Liebe und wie schön das Leben ohne Neurosen dann ist. Der Rest wäre fürs Tagebuch meiner papierenen Klagemauer. Sie sagte das sehr schön und klar und wie noch nie. Frauen wissen immer schon, was wir uns erarbeiten müssen. Sie haben es in sich. Bei mir wäre da eine Art alte Schuld, bei ihr eine Form des Vergehens. Vor uns vielleicht eine enge, höhere, angenehme Verbindung, wie Bruder und Schwester, die gerne miteinander ins Bett gingen. Die Meisten meinen, sich mit ihrem Partner so gut zu fühlen, sie wären wie Häfen für sie im Ansturm des Alltags. Wie kann die Liebe der Hafen sein und der Alltag ein Sturm, ohne weiße Boote vor Anker? Und warum muss man sich immer gut fühlen? Es gibt andere gute Gefühle, die viel besser sind. Wie wenn man genauso schnell fällt, wie man auch angezogen wurde und seine Tage in einem Parabelflug beginnt.  Auf der anderen Seite konnte so ein Streit auch noch kommen. Man hält ihn immer für unmöglich, bis es so weit ist. Vor allem auf dem Weg an die Riviera läuft man auf viele leere Tore zu, es ist Halbfinale, eins eins, kurz vor Schluss. Man kanns nur verkacken oder erkältet sich so, dass man nicht rauchen kann, bekommt Hemmungen, Hunger, Hämorriden, Durchfall, oder mit seinen Erwartungen zu tun. Liebende sind wie Panther. Sie kratzen nur zu gern, wenn sie gestreichelt werden wollen […]

RIVIERA

RIVIERA

Es ist ein Stück vom Himmel gefallen. Liegt an der französischen Riviera als Kap im Meer. Wellen schlagen dagegen und Wege führen drum rum und ein weißes Haus steht im Grünem, das von tiefem Blau umrahmt wird, wie ein wertvolles Gemälde. Ich hoffe, wenn man stirbt, kommt man hier hin und darf seine Gefühle mitbringen. Manche können sich das im Leben schon leisten. Nirgends ist ein Hotel so Hotel, das Leben so Leben, weiß so weiß und Liebe so einfach gemacht. Das Westenweiße macht was mit einem. Man trägt helle Anzüge und raucht leichte Zigaretten und auch nicht viel. Morgens kann man das Trocknen der Pinien riechen und abends hört man den Vogel, der die Dämmerungen in warmen Ländern besingt. Gesehen hat den keiner, aber es reicht zu wissen, dass so der Süden klingt. So nah am Wasser sind selbst schlechte Zeiten besser als die guten. Weit weg von der Welt und doch jener Teil, der sie lebenswert macht. Regen durch weiße Fensterläden betrachtet. Heute ein stürmisches tristes Meer, Palmen, die dann halt wehen, na und? Wir sehen das nackt durch Gardinen, ein Blick aufs Leben vom Bett und vom Bad ausgesehen. Blaue Jeans und braune Haut. Keine Ahnung, ob die Welt uns so sehen kann, wenn die Gardinen wehen. Schöne Orte sind sehr schön im Regen. Sie sind wie Menschen, die auch mal weinen. Ein falscher Gedanke (das kann ein Moment sein, der nicht ist wie tausend andere Momente) und ihr durchleuchtender Blick, die Kraft meiner Empfindung, keine Ahnung, wie sie das aushält, ich glaube, sie liebt mich, wirklich, bedingungslos, auch wenn ich mir das schwer vorstellen kann. Einen kleinen unsicheren Jungen, der sich hinter breiter Brust an seinen Obsessionen vorbeischreibt und aus der wunderbaren Unvollkommenheit des Lebens in seine Texte rettet. Oder hier her. Auf dem Hinflug sah ich eine Stadt unter mir. Tausend Lichter und Straßen, die irgendwo hinführen, blinken, leuchten, wollen, sich verbinden, vielleicht Paris. So, sagte ich zu ihr, stelle ich mir ein Gehirn vor. Ich schaute nochmal raus und sagte, meins nur mit mehr Schleifen und Kreisverkehren. Dann wurde das Wetter schlecht und ich musste das Wetter noch für sie ändern und es ändert sich auch. Wie versprochen. Einen Platz im letzten vollen Lokal bekommen wir auch noch und den französischen Weinpreis bezahlen wir nicht. Die spinnen wohl, und denken der Traum einer Frau ist, der Traum eines Mannes zu sein. Man muss den Traum schon erfüllen. Es reicht ihr nicht Mrs. Irgendwer zu sein. Sie will auch nicht, dass man ein Foto davon macht und ihr Feuer gibt, wenn sie selbst eins dabeihat. Ich halte die Tür des Taxis auf und sie geht auf der anderen Seite rein und wenn sie eine Tasche trägt, will sie die selbst tragen, was ja okay ist, bis ein anderer fragt, ob man helfen kann. Wir haben jetzt den Deal, dass ich die Tasche in der Öffentlichkeit nehme, damit ich nicht wie ein Idiot dastehen muss. Wir kommen an Frauen vorbei, die gucken und sie weißt mich später darauf hin, dass meine Ärmel nicht gleichlang aus dem Jackett geguckt haben. Das soll so sein, fahre ich aus mir heraus und zweifle in mir drin. Selbst Frederic, dem Hoteldirektor hat das gefallen und er ist die junge, schwule Form von Gott. Wir haben ihn das letzte Mal in Istanbul getroffen. Erinnern konnte er sich nicht, was nicht schlimm ist, denn […]

DEKADENT

DEKADENT

Es wurde ein sehr romantischer Roadtrip außerhalb der Zeit, in dem man essen konnte, ohne fett zu werden. Hatten wir in einem Hotel lange genug vom Balkon geguckt, fuhren wir weiter, von einer Mahlzeit zur Nächsten, hielten in vielen weißen Städten und ließen uns vom Wind aus Italien langsam nach Frankreich blasen. Sie im weißen Kopftuch, ich in vom Fahrtwind zurückgelegten Haaren. Man drehte sich nach uns um. Bis zu ihrem Ausschlag sah sie aus, wie eins von diesen teuren Weibern, die man hasst und schon immer mal vögeln wollte, und ich wie jemand, der Weiber hat, die er immer vögeln wollte. Waren wir zu beschwipst, um weiterzufahren, kauften wir noch Postkarten für unsere Mütter oder fuhren trotzdem einfach weiter und verließen uns auf die schmalen Straßen einer oft gemalten Landschaft, von denen der alte Italiener sagte, sie würden die Schwächen der Männer wegwaschen und die Traurigkeit der Dinge und bis in die Wirklichkeit unserer Träume führen. Auf der Rückfahrt fuhren wir unser Cabriolet im Regen nach Rom hielten an Raststätten und konnten uns bis auf Bockwurst und Billigflieger nichts mehr leisten. Wir mieteten uns gerade so in eine Jugendherberge, am Flughafen, ein. Der Inhaber war lieb und zitterte. Er gab uns das Eisbärenzimmer. An der Wand hing ein Bild von der Arktis. Das Internetpasswort lag in einer pinken Tonpapierwolke ausgeschnitten neben den Ohropax, Frühstück ab halb fünf, Weißbrot und Tee, zehn Euro extra. Oh, wie ich Rom in diesen Tagen hasste. Rom war so, wie Menschen eben sind, die nicht weit rauschwimmen können, sie werden hektisch. Am Abend gingen wir in eine Imbissbude nebenan, schick machten wir uns trotzdem, ein allerletztes Mal. Beim Essen dachten wir an all die guten Steaks zurück, die wir den Sommer über gegessen hatten und als wir am nächsten Morgen im Taxi saßen, lag vor uns ein langer römischer Stau. Der Taxifahrer sang zusammen mit dem Radio ein Duett von Adriano Celentano & Mina, es hieß Acqua e Sale. Er sang das so, als würde da kein kilometerlanger Stau vor uns im Morgengrauen liegen, sondern das Meer und die Küste. Ich hielt meinen Hut in den Händen und mein Hut sah mich an. Ich hatte ihnen einen Sommer lang getragen. Ich glaube, wir hofften in diesem Moment beide, den Rückflug nicht zu erreichen und wir erreichten ihn wegen des Staus auch nie. Heute denke ich, dass Rom eine ganz gute Lektion gewesen ist, durch die wir am Ende auf dem Boden bleiben konnten. Denn am Ende jenes Sommers waren wir verwöhnt und verdorben. Wir hatten vom luxuriösesten Baum der Erkenntnis gekostet und uns in Fünf-Sterne-Hotels mit einem äußerst prunkvollen Virus majestätischer Gastfreundlichkeit infiziert, dessen Folgen wir ein Leben lang spüren werden. Ansteckend ist dieser […]

RANDVOLL

RANDVOLL

Ich hasse August. Er ist erst einmal schön gewesen, im Jahr als ich geboren wurde und die DDR starb. Ansonsten ist er immer nur heiß. Die Männer tragen Shorts. Die Restaurants machen Urlaub. Nur die gottlosen gähnen einem weit geöffnet entgegen. Maden in der Küche, Mücken im Bett, die Frauen am Strand. Keiner geht mehr auf Arbeit. Auf den Straßen nur Touristen und ich, dumm und deutsch. Wer kann, rettet sich in den September. Am besten schon im nächsten Satz, wenn die ersten schönen Herbstmorgen über die Hügel kommen. Die Sonne müde und geschafft, vom vielen Strahlen und die Tage schleichen sich wieder an, anstatt einfach nur so zu beginnen. Die Luft ist frisch und man kann sich endlich wieder in Jacke vor einer Bar besaufen. Wird Zeit. Die meisten Bars der Stadt funktionieren nicht im Sommer. Ich kenne nur eine, in der Beco das Cruzes, die im Sommer funktioniert. Die ist aber keine Bar mehr, sondern eine Schenke. Ein Trog für alle, die es schon viele Sommer lang nicht mehr aus der Stadt geschafft haben. Schwer zu finden, selbst, wenn man da ist. Über einen selten hässlichen Innenhof muss man ein paar Stufen hinauf, aus dem Eingang kommt schon Rauch. Man ist da. Der Laden sieht aus wie Kuba oder das, was ich mir unter Kuba vorstellte. Erster Stock, viereckig, mit vielen großen Fenstern. Er ist mehr Schenke als Bar und mehr Fenster als Schenke. Alle Fenster sind aufgerissen und haben Balkone. Natürlich Deckenventilatoren, aber welche die klingen, wie festgenagelte Helikopter. Immer am Durchdrehen. Abends, wenn der Wind vom Tejo rüber weht, weil die kalten Luftmassen das so tun, knallen die Balkonfenster gegen die Rahmen und die Männer vorm Fußballfernseher springen auf und schreien die offenen Balkonfenster an, schreien Fodass Caralho oder eh pá estúpido. Bis auf die unkrautgrünen Balkontüren besteht die Schenke aus dunklem Holz. Jeder Tisch hat seinen eigenen Standaschenbecher, über 100 Jahre alt. Rauchen darf man nicht, muss man sogar. Manchmal fallen servierten in die Standaschenbecher und die Standaschenbecher fackeln dann ab. In der Mitte der Galaxie dieses Raumes stehen zwei schöne Billardtische und warten auf Benutzung. Über den Billardtischen hat man kaputte Lampen angebracht. Generell kommt der Laden meiner inneren Welt ziemlich nahe. Am Anfang war die Schenke viel zu inspirierend, ich musste oft heimgehen und sie aufschreiben, bevor ich mich wieder entspannen konnte. Das war nach meinem ersten Besuchen. Ich trat ein und rannte heim, es ging um Leben und Tod […]