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BYND

Konstantin Arnold

 WAHNSINNIGER

Mittlerweile hatten wir jeden Tag Wellen, ohne das überhaupt gewollt zu haben. Sogar in Tel Aviv, zwischen den Molen. Wir sehnen uns nach Ruhe, die wir an einem Ort finden, der dem Filmset einer Bond-Verfilmung gleicht. Der Kunstschätze im Wert von über 600 Millionen Euro beherbergt und durch die vielen weißen Bademäntel wie eine Entzugsklinik wirkt, in Wahrheit und Vergangenheit aber als Sanatorium für psychisch geschädigte Soldaten diente. Dieses Hotel ist der unbestreitbar beste Ort auf der Welt, um sich verzehrt und gezeichnet den eigenen Altlasten hinzugeben.Auf dem Weg dorthin sprechen wir über Tunnel, Grenzen und den wahren Vitamingehalt von Trockenfrüchten. Shachar erzählt uns, dass sein Vater ein hoher Sicherheitsbeamter war und sie den Gazastreifen seit Jahren mit Neoprenanzügen und Surfboards versorgen möchten, doch immer wieder an der wahllosen Willkür der Hamas-Regierung scheitern. Eingesperrt am Meer? Surfen als wahre Flucht begreifen? Vorstellungen, die unser Interesse an diesem gesellschaftlichen Schockfrost noch vor dem Aussteigen keimen lassen. Aber wie wir jetzt an diesem Ort gelandet sind, an dem man originale Picassos vom Esstisch aus bewundern oder mit einem Glas Rotwein im Bademantel durch teure Kunst flanieren kann, vermag ich mir immer noch nicht zu sagen. Wir haben ohne Budget einfach ahnungslos Hotels angeschrieben und ihnen gesagt, dass wir zusammen mit Leon Glatzer kommen. Dass wir am Ende in Israels Topunterbringung landen und einen Ort kennenlernen, der so abwegig wie einmalig ist, hätte nun wirklich niemand ahnen können. Trotzdem haben wir schnell genug von wohltuendem Thermalbad ab 40 und umso entzückterem Hotelpersonal. Wir wollen mehr! Endlich Gegensätze erfahren. Blasen verlassen, uns irgendwie bedroht und demütig fühlen. Also wieder wenig Schlaf und um sechs Uhr morgens nach Jerusalem! Jerusalem ist ein wunderbarer Ort, um Atheist zu werden oder sich in unzähligen Touristenshops bis auf die Socken völlig neu einzukleiden. Ein Ausverkauf von Religion, der nicht einmal vor den Ritualen der Klagemauer haltmacht. Fotowütige Abenteuertouristen inmitten Jahrtausende alter Gassen und Gartenstühle, die vor Heiligkeit und Abnutzung strotzen. Wie wir zum Felsendom kommen, will uns auf jüdisch-orthodoxer Seite niemand sagen. Und dass man diesen Ort nur noch zu bestimmten Zeiten besuchen darf, weil sich jüdische Terroristen, als Touristen verkleidet, immer wieder in die Luft zu sprengen versuchen, erfahren wir auch erst von unserem Taxifahrer, mit dem wir gerade auf dem Weg nach Hebron sind. Erst gestern wurde am Löwentor, dem Eingang zum muslimischen Viertel der ummauerten Altstadt, ein Fundamentalist von Soldaten erschossen. „Ein Muslime, auf dem Weg zu seinem Mittagsgebet“, beteuert unser Taxifahrer. „Ein bewaffneter Terrorist“, schreiben die israelischen Zeitungen. Wir passieren Checkpoints und […]