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BYND

Konstantin Arnold

FRIEDE, FREUDE, OZEAN

Das erste Hotel war in Strandnähe. Vier Sterne, umgeben von überkopfhohen Mauern auf denen Hochspannungsleitungen installiert wurden, damit die vermögende Gemütlichkeit nicht abhandenkommt. Der Mann, der mir dort jeden Morgen pochierte Eier mit Speck servierte, lebt seit 28 Jahren in einer Behausung, in der wir nicht einmal unsere Gartengeräte unterstellen würden. Er und seine sieben Geschwister hatten einst ein Haus. In Zeiten der Apartheid. Aber dort wo er herkommt, hacken dir äußerst aggressive Stammesvertreter der Zulus mittlerweile die Hände ab und zwingen dich, sie dann wieder aufzuheben. Shaka, einst König der Zulus, fesselte ungebetene Gäste über einen Bambusspross und ließ ihnen das Süßgras in den Arsch wachsen. Wichtig zu wissen, dass Bambus die schnellst wachsende Pflanze der Welt ist und am Tag bis zu einem Meter zurücklegt. Grauenhaft kreativ. Aus unserem zweiten Hotel, mit der Badewanne mitten im Zimmer, mussten wir leider nach der ersten Nacht wieder ausziehen, weil wir bei den allnächtlichen Einbruchswellen einfach nicht ruhig schlafen konnten. Verdammt unerhört, wenn die Dritte Welt ungefragt ihr Recht auf materielle Gleichberechtigung in Anspruch nimmt. Übel nehmen kann ihr das keiner. Nur ein paar Laptops, iPhones und elektrische Küchengeräte. Jetzt wohnen wir in einem noch sichereren Ferienidyll, bewacht von schwarzen Sicherheitskräften, die in einer Zwölfstundenschicht fast 16 Euro verdienen. Eine gut bewachte Blase, in der die Erste Welt eines der größten Surf-Events des Jahres feiert. Mitten in Südafrika. Also willkommen zu den J-Bay Open. Alle sind gekommen. Die Kelly Slaters, die Mick Fannings und die ganze Verbandsspitze. Gut bewachte Luxusunterbringung, Hauswand an Hauswand und Stimmung wie im Ferienlager. Hier ist die Welt noch in Ordnung und man wird das Gefühl nicht los, sich bei Julian Wilson, direkt nebenan, im Notfall auch etwas Toilettenpapier leihen zu können. Wir alle sind vom Flughafen direkt hierher. Ohne Umwege. Aus der akklimatisierten Economy Class in eine gut isolierte Welt, die mit dem eigentlichen Südafrika nichts gemein hat. Okay, Maschinengewehre am Check-In, aber die haben wir mittlerweile auch in Europa. Vielleicht noch ein paar Jugendliche, die den Müllhaufen an der Einfahrt zum Dreamland nach etwas Brauchbarem durchsuchen. Essen, Kleidung, benutzte Kondome. Hin und wieder lädt der ein oder andere Pro-Surfer eine afrikanische Familie zu sich nach Hause ein und lässt sie für einen Nachmittag an Luxus und Geborgenheit schnuppern. Tropfen auf die heißen Steine, aber jede noch so kleine Geste zählt, oder? Südafrika ist ein Land der Kontraste, surrealer Völkerverständigung, natürlicher Schönheit und furchteinflößender Statistik. Der Versuch, eine moderne, wohlhabende und weltmännische Gesellschaft mitten in der Dritten Welt zu etablieren. Nirgendwo auf der Erde ist arm und reich so weit auseinander und doch so sichtbar nah für beide Extreme. Ein Land voller Vielfalt und Ideale, die von einem Regierungsoberhaupt getragen werden, das einst beruhigend sagte: „Aids kann man in der Dusche abwaschen!“ oder „Aids heile man durch Sex mit einer Jungfrau!“. Die Folge: sechs Vergewaltigungen pro Sekunde. Noch heute! Eine Regierung durchtrieben von Korruption und Intrigen. Natürlich ist das Regenbogenland eine einzige Perspektivfrage, aber Integration muss hier erst einmal definiert werden. Wir sprechen nicht mehr von Ressentiments, sondern von Rassismus. Schwarz serviert, Weiß diniert. Noch immer erhält man einen Pokal der Menschlichkeit, wenn man eine maximalpigmentierte Reinigungskraft wie einen richtigen Menschen behandelt. Lobende Blicke für die Steigerungsform der Selbstverständlichkeit? Und mittendrin die World Surf League. Natürlich weltoffen und sensibel für die Probleme unserer Zeit. Immerhin werden vier der elf jährlichen Tour-Stopps in Ländern ausgetragen, die von den Millenniumszielen der UNO noch nicht einmal gehört haben. Kann es sich ein Unternehmen wie die World Surf League leisten, wirklich politisch zu werden? Kann es sich eine gutaussehende Sportart erlauben, auf die unästhetischen Probleme hinzuweisen, die wirklich unter die gut gebräunte Haut gehen?Jeffreys Bay ist ein Ort mit 700 Tagen Wellen im Jahr. Ein Küstenort, der ohne dieses Event auch für Minimalpigmentierte zur überlebenswirtschaftlichen Herausforderung werden könnte. Der Surftourismus boomt. Die Restaurants platzen. Zumindest einmal im Jahr. Die World Surf League rückt diesen Ort auf die Landkarte. Kommt, nimmt, und lässt laut Aussage südafrikanischer Surfverbandsvertreter nichts für den Sport und ihre Kommunen zurück. Durch diesen Ort führt eine große Straße. Vorbei an der Contest-Area bis hin zum Outlet-Center, in dem alle großen Surfmarken die Kollektionen vergangener Jahre für Äpfel und Eier verscherbeln. Cafés, in denen man den anstrengenden Shoppingtag ausklingen lassen kann. Marketingbüros, Headquarters und dann das! Ein ausgebranntes Fabrikgebäude am Ende der Straße: das einstige Billabong-Hauptquartier. Vermutlich angezündet, nachdem in der Woche zuvor 40 Mitarbeiter entlassen wurden. Die letzte Bastion der Konsumgesellschaft, bevor Plastikhütten, Müll und Perspektivlosigkeit die Landschaft zeichnen. Genau dort möchte ich hin. Das wirkliche Südafrika kennenlernen. Den Kontrast erfahren. Natürlich fühlen wir uns unwohl. Nicht nur, weil unser Land Rover größer ist als die Hütten der dort lebenden Menschen. Sondern durch dieses unterbewusst permanent schlechte Gewissen weiß zu sein. Krankenversichert, während diese Menschen an Typhus und HIV leiden. Überfressen, während diese Menschen..und so weiter. Auf unserer Rückbank sitzt Wellington. Ein Jugendlicher aus den Townships, der uns mit den Leuten in Verbindung bringt und uns genau sagt, mit wem wir lieber nicht Kirschen essen sollten. Ich bin von der Freundlichkeit überwältigt. Von diesem herzerwärmenden Lächeln. Von diesen strahlend weißen Zähnen. Von diesem Interesse. Wir halten an einer Hütte, die sie hier Shebeen nennen. Eine Kneipe, die nichts mit deinen bestehenden Vorstellungen gemein hat. Wir kaufen Bier für die ganze Runde und stoßen mit einem Typen an, den sie hier Genitals nennen. Er erzählt uns, dass früher alles besser war. Zu Zeiten der Apartheid? „Ja, weil der Rassismus öffentlich organisiert war und nicht so verkappt wie heute. Es gab klare Strukturen, wir hatten ein Haus und die Polizei war nicht so korrupt! Wir sind auf uns allein gestellt und warten auf die leeren Versprechungen der Regierung.“ Noch immer herrscht in Südafrika diese irrationale Angst vor dem Ungewissen. Xenophobie. Auf beiden Seiten. Auch in Kapstadt. Dort wo Laufstegmodels für etwas weltmännischen Glanz sorgen. Wie können diese Menschen hier überhaupt von Glück sprechen, wenn Milch und Honig so sichtbar und eingezäunt direkt vor ihrer Nase fließen? Manche Kinder fliegen mit dem Flugzeug zur Schule. Andere haben noch nie ein Auto von innen gesehen. Bevor wir zurück fahren, müssen wir noch an einem Busch vorbei, in dem Wellington seine Warnweste versteckt, die er für seine Schicht als Parkplatzzuweiser braucht. Er sagt, dass man sie ihm sonst stehlen würde. Über zehn Mal wurde er schon mit einem lebensbedrohlichen Gegenstand bedroht. Und ich dachte, das Schlimmste, was mir hier passieren könnte, ist eine eingezogene Kreditkarte oder die noch allzu gegenwärtige Haihysterie. Doch die Menschen haben sich daran gewöhnt. An diese stetige Gefahr. Falscher Ort, falsche Zeit. An unübersichtlichen Ecken wird bei Rot nicht gehalten und bevor man das Haus verlässt: Fenster zu? Gitter davor? Laptop unterm Bett? Doch heute Abend wird gefeiert. In dem Haus, das der südafrikanischen Surfhoffnung Jordy Smith während der Wettkampftage zur vollen Verfügung steht. Gefühlte zehn Haushälterinnen, Köche und Securities laden ein, irgendetwas zu feiern. Nur was, weiß […]