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BYND

Konstantin Arnold

 

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Auf meinem Schreibtisch steht eine angefangene Tasse Kaffee und eine leere Flasche Rotwein. Morgen und Abend. Meine Kerze ist durchgebrannt, mein Auto offengeblieben und der Wohnungsschlüssel steckt von außen noch in der Haustür. Ich habe vergessen, wie Samstagabend war, vergessen, was ich vergessen habe, Wasser zum Überkochen gebracht und die teuren Tomaten nach dem Bezahlen wahrscheinlich auf dem Kassenband gelassen. Und ich habe keine Ahnung, wie mein Portemonnaie dabei in meiner Hosentasche geblieben ist. Wir reden hier nicht von durchgezechten Nächten (nicht nur), sondern voller Pulle zwischen pflichtbewussten Lastern und lässigen Pflichten. Von allem nur das Beste. Morgens und abends. Zwischen dem Drang eines jeden Freitags und dem Wunsch guter Wellen am darauffolgenden Samstag. Surfen wäscht dich von deinen Sünden frei, spült dir die Marlboros aus der Lunge, lässt dich frisch und erholt aussehen, damit du noch einmal von vorne beginnen kannst. Bis hierher wusste ich nie, was morgen ist, konnte mich aber zumindest immer an gestern erinnern. Unsicherheit ist Teil meines Lebens, das sich die Dinge fügen, irgendwie auch. Dieses Urvertrauen ist unbezahlbar, teurer als jeder Fauxpas, wertvoller als jede Scherbe eines zu schnellen Lebens. Nur keine Angst, mein Opel fährt nicht schneller, als ich denken kann. Gerade mal 80! Aber das reicht zum Riskieren, zum draufgängerischen aufs Spielsetzen, zumindest, wenn jemand zuguckt, den ich gerne einmal küssen möchte. Immerhin besteht die Kiste aus Sekundenkleber und darf deswegen erst ab Mitternacht in den historischen Stadtkern. Dann gab es keinen Parkplatz und ich musste einfach direkt vor dem Verteidigungsministerium halten. Zu verlockend. Zu verboten. Glorreich gescheitert und Mutti eben doch wieder um Geld fragen. Zumindest, wenn niemand zuguckt, den ich gerne einmal küssen möchte. Aber keine Panik, auf der Bußgeldstelle sitzt selten jemand mit roten Fingernägeln, und seit es Instagram gibt, ist die Wahrscheinlichkeit gering, heute noch jemanden zu treffen, der wirklich Lederjacke ist. Hauptsache nicht noch ein Parkticket fürs Parkticket, weil Bezahlen in Portugal länger dauert, als jedes Bußgeld schmerzen könnte. Nummer 89 und wir sind erst bei 69. Freitagabend im Amt! Der Mann zu meiner Linken hört Astor Piazzolla auf einem benutzten Discman und die Frau zu […]