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BYND

Konstantin Arnold

 

MACHO

Ich habe endlich mein iPhone gegen die Wand geworfen und alle bequemen Funktionen wieder in ihre Einzelteile zerlegt. Dafür muss ich mir jetzt einen verlässlichen Wecker kaufen, damit ich nicht verschlafe viel zu früh am Flughafen Düsseldorf anzukommen. Drei Uhr morgens kann ich nicht einmal sagen, ob Genf wirklich in der Schweiz liegt. Und wie man ein Snowboard Bag packt, hat mir auch niemand erklärt. Was macht man in der Bahn ohne mobiles Internet oder Songs von Ariana Grande? Lesen langweilt mich. Aktualisieren auch. Blickkontakt halten, kann man höchstens mit verschlafen Medikamentenherstellern im Schichtsystem. Vielleicht lasse ich mich einfach von jemandem, der zu dieser Tageszeit schon im Nachmittag lebt, auf meinem neuen Seniorentelefon anrufen, obwohl ich mich bei Klingeltönen aus dem Mittelalter nicht wirklich angesprochen fühle. Das ist mein Beitrag. Mut zur Langsamkeit, weil ich mit tragbarem E-Mailpostfach einfach zu schnell unterwegs bin. Natürlich muss ich mir nun die Telefonnummern notieren, die uns letzten Endes in die französischen Alpen bringt. Natürlich reicht es nicht mehr den Ablaufplan der nächsten Tage nur im Posteingang zu haben. Unnatürlich ist das aber nicht, obwohl ich mir unterwegs gerne angeschaut hätte, wo ich eigentlich hinfahre. Exotisch sind meistens nur die Orte, an denen man durchschnittlich die wenigste Zeit verbringt. Von Rendezvous in Museen mal ganz abgesehen. Deswegen habe ich das mit der Zimmerpflanze aufgegeben. Dafür sprühe ich mir im Duty-Free jedes Mal das gleiche Hugo Boss Parfüme in meinen Flaum. Oder versuche trotz Ladenschluss noch das italienische Tagesgericht zu bestellen, weil das Innenambiente meines Kühlschranks nur aus gesalzener Kaergarden besteht. Wenigstens etwas Raum für Gewohnheit, in dem ich versuche auch in der Business Class möglichst gelassen auszusehen. Mit Second Hand Lederjacke und Dosenbier für sieben Franken sitze ich neben einem glatzköpfigen Finanzbuchhalter, der mir erklärt, dass sich die Bremse eines Porsches schwerer tritt, aber Ferraris schneller rosten. Ich erzähle ihm, dass […]

ps: vorübergehend nicht über Tinder erreichbar

 

BASTION

Ich wohne in einem Hotel in Les Arcs auf 1800 Höhenmetern. Zusammen mit den 21 besten Freestyle-Skifahrern der Welt, Rap Legende Dillon Cooper und einer Armada an Promotion Models, die von allen Kontinenten aus  eingeflogen wurden, um in den nächsten drei Tagen für das richtige Ambiente zu sorgen. Vor mir liegt ein gut ausgearbeiteter Programmplan, der in Times New Roman festhält, was es von nun an zu erleben gilt. Für alle, die das nicht verstehen, gibt es immer noch eine Pressekonferenz und freie Coronas. Ohne Blitzlichtgewitter und bestimmte Sitzordnung. Ohne Mikrofone und zu formalen Fragestellungen fällt hier und da ein Rosè Glas. Ich frage Taylor Seaton, ob er sich in diesem Jahr zum 11. Mal für die X-Games qualifizieren wird und ob er gleich noch mit in die Bar kommt. Es ist sicherlich schon nach 22 Uhr und irgendwann hört einfach niemand mehr zu. Henrik Harlaut, dreimaliger X-Games Goldmedaillengewinner, trägt ein Rastafari Beanie über seinen Dreadlocks und einen Kapuzenpullover, in dem sein Teamkollege Phil Casabon auch Platz finden würde. Die besten und kantigsten Charaktere des Sports sind seinem Ruf gefolgt und machen das B&E Invitational zum prestigeträchtigsten Contest im Freeski-Kalender. Ohne Weltcup Punkte, Juroren und außerirdisches Preisgeld und das, obwohl zeitgleich die European Open in Laax ausgetragen werden. Nur ohne die Besten. Einmal im Jahr zeigt die schneeverrückte Entourage ihren Verbänden, dass sie sich in kein Korsett pressen lässt und Skifahren ohne Helm einfach cooler ist. Dass die Hauptrolle im Schauspiel zwischen Industrie, Sportlern und Institutionen immer noch bei den Fahrern selbst liegt, auch wenn Taylor Seaton mir auf dem Weg zur Bar erklärt, dass es hier keinen Athleten gibt: „Dieses Event bringt den Rock’n’Roll zurück in den Sport. Wir sind keine Athleten, sondern begeisterte Skifahrer. Wenn du einen Coach hast oder nach einem Ernährungsplan lebst, hast du hier nichts zu suchen!“ Eine Besonderheit, die sich durch eine ungefilterte Liebe zur Sportart und all ihren Auswüchsen definiert. Gebündelt und gelebt unter dem Segen dieses Freeski-Contest bildet das B&E Invitational eine Bastion, die den „anderes Wort für Athleten“ Raum […]