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BYND

Konstantin Arnold

HINTER DEN BERGEN LINKS

HINTER DEN BERGEN LINKS

Ich wusste, dass es am Tejo lang geht und dann nach Norden, die Serra hoch und dann auf der Serra lang und irgendwann in ein schönes Tal und in ein noch schöneres, von dem ich dachte, dass es schon das Schönste gewesen wäre. Die lange Straße, auf der wir kamen, schlug am Ende des Tals einen Brückenbogen, in einen kleinen Ort, der ganz im Rauch lag, weil dort Schnaps gebrannt wird. Der hochprozentige Dunst liegt wie Nebel über dem Dorf in der Sonne und zieht morgens, bei Südwind die frisierten Weinberge hoch bis zur Quinta do Reguengo links am Hang. Ich wusste, dass das die Quinta do Reguengo ist und die Capela da Nossa Senhora da Vega daneben und gleich die Birkenbäume kämen und Oliveiras und die Weinberge, von denen man über den Fluss und die Felder die Hänge hoch sehen konnte. Unten im Tal war ein kleines Lokal, das Fisch aus jenem Fluss frittierte, der dem Tal seinen Namen gab, bevor er in den Douro mündete und für immer verschwand. Der Rio Sabor entspringt nördlich von Bragança und schneidet die schönsten Schneisen in das Himmelhügelmeerland. Das wusste ich alles und ich fragte mich, ob es nicht doch besser wäre, alles wieder zu sehen und schon zu wissen, so wie es besser ist, mit einer Frau zu sein, und nicht vielen, obwohl ich das schon lange wusste, nur noch nicht ganz verstand, bis ich es ganz verstanden hatte; und ich sagte mir, wenn ich es nur lange genug verstehe, würde sich die romantische Tektonik meiner Gefühle schon verschieben. Ich hatte das alles schon einmal gesehen und sah nun alles wieder und sah es viel mehr. Orte wiedersehen oder neue, zum Ersten Mal oder lange nicht und dann wieder, ist es mit Leuten wie mit Orten? Hängt von den Leuten ab, die die Orte ausmachen und den Orten, die die Leute prägen. Leute sollte die Orte schon in sich tragen, aber da ist etwas, dass Leute haben und Orte eben nicht, das Unglück Denken zu müssen. Außer mir Hügel, die nie wirklich Berge sind. Dass die auch Namen haben, wusste ich, weil wir mit Karte fuhren und nur Straßen, auf denen Traktoren sind. Außerdem hing auf dem Herrenklo der letzten Tankstelle ein Relief der Region. Als wir in das nächste Dorf kamen, fragte ich einen Müllmann, wo man hier essen kann und er sagte es mir und dann wusste ich das auch. Bekamen wir im Vornherein Empfehlungen strichen wir sie normal von der Landkarte. Wir fragten die Leute, wo wir hinmüssten, um zu wissen, dass es für uns da nichts gab. Müllmänner, Männer auf Pferden, Bruchsteinhändler, Fischer und Frauen mit Bart ausgenommen. Es war dann wie montags im März Champagner trinken, den man sich für Silvester aufgehoben hat. Es hatte auch nichts mit den Orten zu tun, sondern nur mit den Hoffnungen, die man sich an ihnen macht und den Erwartungen, die sie vertreiben. Wir sind nicht die Typen, die nirgendwohin wollen, nur weil da alle hingehen, wir hatten einfach kein Ziel, und unsere Gründe, bis irgendwann, irgendwie in San Sebastián zu sein. Ja, wo will man denn hin? Erreicht man ein Ziel, wird es die Schwelle zum Nächsten. Das Einzige, das es wirklich gibt, ist endgültig und wäre fatal, aber noch keine Pflicht, nur eine Stecknadel zu der wir uns aufziehen. Eine Übersetzung für Menschen, die die Sprache des Gehens nicht sprechen. Ziele sinds nichts weiter als Entschuldigungen, wie Einkäufe welche sind, Abschlüsse, Auslandssemester, Café in der Sonne, Vaterunser und Zigaretten. Man darf das Reisen nicht Orten überlassen. Es ist nicht nur hier und da nicht. Man muss den Blick dafür behalten, die schöne Straße sehen und nicht den Weg zur Arbeit. Den Körper einer Frau, und nicht die, mit der man ständig streitet; den Terreiro do Paço und nicht die Leute, die darauf sitzen oder was man über ihn sagt. Ein Mensch gewöhnt sich an alles, an das Schlechte, was gut ist, aber auch an das Gute, was nicht gleich schlecht ist. So hielten wir an vielen Orten, an denen man nie halten würde, so vielen wie möglich. Klippen, Täler, Leere. Gigantische spanische Flächen, an deren Ende, die Berge wie Schildwachen standen, die Wolken abfangen. Die meisten Orte waren aus einer Kirche und einer Bar gemacht, und einer Straße, die durch das alles führte und von zwei Ampeln begrenzt wurde. Die Kirchen konnte man von weitem sehen, ohne auf die Bar schließen zu können, aber im Nachhinein lässt sich sagen: je weniger Turm und je mehr Mauer der Kirchturm gewesen ist, desto netter der Mann an der Bar […]

FEIERABEND

FEIERABEND

Oliven. Gottesfrüchte. Fruchtgewordene Antike mit Kern. Denkmäler der Sonne und des Südens, so wie der Wein, aber zu dem kommen wir später. Man kann nicht über die Olivenernte schreiben, ohne über den Wein zu schreiben. Die Weinernte ist vorher, die Keller sind voll davon. Wein ist der Treibstoff für die Ernte und ihre Helfer. Aber erst mal zu den Oliven. Olivenbäume können tausend Jahre alt werden, einfach so, nicht alle, aber einige, der älteste steht auf Kreta, zwischen 3000 und 5000 Jahre alt. Moses hat seine Gebote unter so einem brennenden Ölbaum gefunden. Oder auch nicht, aber Dieter Bohlen hat auf Malle ein paar davon im Garten. Es gibt zwei Kerngebiete im Hirnstamm, die wie Oliven heißen. Nach dem die Arche tagelang unterwegs war, sendet Noah seine Taube aus, die mit einem Olivenzweig im Schnabel wiederkehrt. Ein Lebenszeichen. Bei Picasso stehen sie für den Frieden. Sicher ist, wo Oliven wachsen, kann man gut Leben, die Menschen werden älter, das zeigen Studien. Sie sind schön anzusehen und gesund, eine natürliche Lebenserhaltungsmaßnahme, denn Antioxidantien konservieren den Körper von innen. Heilkraft und Genuss. Geht doch. Im Süden Europas geht keine Mahlzeit ohne die Steinfrucht über die Tische. In Grün und Dunkelbraun und Braun, mit oder ohne Knoblauch, draußen, im freien, auf rotweißkarierten Tischdecken. Oliven zu ernten ist eine Wahlfahrt für Fernwehromantiker. Der Olivenbaum steht überall wo’s schön ist. Am liebsten ums Mittelmeer und auf Kreta, auf den Höhen Italiens, in der Hitze Andalusiens und im wilden Norden Portugals. Dort wollen wir hin. Ich bin schon seit einem Vormittag dran, alle Notizen zu entschlüsseln, die ich mir eine Woche lang beim Olivenernten und Rotweintrinken gemacht habe. Tiefer kann man gar nicht in ein Land eintauchen, als auf dem Land. Da ist noch ein Portugal zuhause, das woanders längst verschwunden ist. Die Entfernung zu diesem Ort lässt sich besser in Jahrhunderten ausdrücken, als in Kilometern. Zeitreisen ist möglich. Man kann aber nicht einfach so aufs Land fahren. Nicht von Lissabon aus. Man braucht etwas Vorbereitung, um sich langsam auf das Landleben und die Zeitverschiebung vorzubereiten. Eine Art Basis Camp, wie man es von einer Everest Expedition kennt. Meins war bei der Familie Delgado. Sie wohnen in einem Dorf bei Fatima, Portugals Pilgerstadt. Eine Zugstunde nördlich von Lissabon. Von hier aus, sollten wir am nächsten Morgen in den Norden des Südens aufbrechen, zum Heimatort von Senhor Delgado, bis fast an die Grenze zu Spanien. Senhor Delgado ist ein einfacher, herzlicher Mann mit großen Gesten. Eine ehrliche Haut mit Dreck unter den Nägeln und den nötigen Kraftsaudrücken. Er hat diesen Bauch, der ihm steht und den man hat, wenn man ihn sich mit Selbstgemachtem verdient hat. Seine Hände sind klein, aber sein Finger vom Arbeiten über die Größe seiner Hände hinausgeschwollen. Er weiß alles über Oliven und über Wein und er weiß, wie die Erde schmeckt aus denen sie kommen, weil dort seine Ahnen liegen und selbst zu Erde geworden sind. Sie haben selbst Olivenöl und Wein gemacht und sie haben ihr Mittag im Freien gegessen und sind alt und stark geworden. Er sagt gerne, dass das Leben so ist oder dass das Leben schön ist oder hart und wenn er nichts zu sagen hat, sagt er jaja, so ist das Leben oder das Landleben ist eben so. Am liebsten sagt er Ach, Mein Land, aber auf Portugiesisch klingt das besser: A minha Terra, meine Erde. Senhora Delgado ist eine wundervolle […]