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BYND

Konstantin Arnold

NICHTS

NICHTS

Das echte Spanische liegt im Nichts, weil es nichts gibt, was so ist. Man findet es nicht in historischen Stadtzentren oder Gaudis Parks oder wenn man es finden will, oder teure Tapas frisst, die nach nichts schmecken. Es hat auch keine Öffnungszeiten und man muss dafür auch nirgendwo anstehen. Man findet es nur gegen seinen Willen, wenn man lange genug Richtung Amerika gefahren ist, weit westlich von Madrid, ganz kurz vor der Grenze und ein bisschen außerhalb der Zeit, da, wo Hans Christian Andersen auch auf den Zug warten musste, als die Eisenbahn das 19. Jahrhundert in Europa so richtig überfuhr und alle schrien, dass das mit dem Reisen und der Poesie nun endgültig vorbei sei. Hans fuhr damals noch weiter, bis an die Kante, wo Festlandeuropa tausend Fuß in die Tiefen eines ewig auf Zerstörung sinnenden Atlantiks stürzt und das echte Portugiesische verborgen liegt, das ich nicht weiter beschreiben möchte, denn wenn da jetzt alle hinrennen, findet man es dort bald auch nicht mehr. Solche Orte brauchen ihre Einsamkeit, die sich waldbrandmäßig in einem ausbreitet, tief in einem drin, da, wo die Gefühle sind, die sich nicht auf Englisch erklären lassen oder beim Fußballgucken oder wenn noch jemand da ist, und man sich eigentlich zum Reden treffen wollte. Solche Orte brauchen andere Orte, in denen es schöner ist und nach denen man sich dann sehen kann, so lange man da ist. Das Soll kein Gruß aus der Ferne werden, bin ganz nah dran, und man muss an die Wahrheit kommen, wie man an eine brennende Bushaltestelle kommen würde, in Eile und ein bisschen zu spät und so nah wie möglich, nur nicht näher, wie man nicht zu nah an die Sonne möchte. Die alten Häuser tun einem eigentlich auch nichts, sie verlieren sich nur ein bisschen in der Landschaft oder sind selbst zu Landschaft geworden. Das passt. Aber die neuen, weißen, mit den Vorgärten und Sandkisten und gut gemeinten Eingangsschildern sind ein trauriger Versuch von Freude. Hoffnung in der Hölle. Sie machen alles nur schlimmer, auswegloser, selbstmordgefährdeter. Es weht kein Wind, aber die frühe Abendluft bekommt den Geruch von Kuhscheiße trotzdem irgendwo her. Stinkt mehr, als du dir Stinken vorstellen kannst. Ganz oben ist ein hoher, blauer, makelloser Himmel und am Ende des Ausblicks sollen auch Hügel sein, gesehen hat die noch keiner. Wir sitzen in einem Raum, den die Leute hier Bar nennen. Der Vorhang flattert, wenn die Kuhscheiße reinkommt, ansonsten passiert nichts, nur wenn einer was bestellt, aber außer uns bestellt hier keiner was. Bei dem Mann, der aussieht, als würde er den Leuten gerne auf die Schnauze hauen, wenn er fertig mit dem Rauchen ist und dann irgendwas tun muss, um wieder rauchen zu können. So wie der Mann sein Fernsehen anguckt, gucke ich mir gerne die Welt, an oder den Mann, wie er sich das Fernsehen anguckt. Es fasziniert mich und er erinnert mich an glückliche Hunde, die fressen, ficken, scheißen, sich zu Begrüßung das Arschloch lecken. Hätte der Mann an der Bar einen Schwanz, ich schwöre, immer wenn die Werbung vorbei war, er hätte gewedelt. So weit, so gut, aber viele oders bisher, oder? Gebe ich zu. Meiner alten Deutschlehrerin mit den barocken Buttermilchbrüsten hätte das auch nicht gefallen. Ist egal, bin drüber weg, genau deswegen, ist ja mein Text und der spielt eben im Nichts und das Nichts ist sehr verlockend und sehr unvergleichlich, weil es manche Orte auf der Welt nur ein Mal gibt. Sie liegen ohne Grund da, sind vorsinnflutartig, so als hätte Gott, hier einen Tag seiner Schöpfungsgeschichte ausgelassen. Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Poeten und Maler haben es schon mit der Beschreibung dieser leeren  […]

VIER MEHR ALS SIE

VIER MEHR ALS SIE

So, und? Du weißt jetzt natürlich auch nicht, was ich mit meinem Leben anfangen soll, aber irgendwie muss ich damit anfangen. Du sitzt einfach nur so da und liest, wie ich so dasaß und versuchte habe anzufangen. Du tust das in der Bahn, an einem Tisch, ganz woanders, vielleicht an einer Ampel, hinter dir wird schon gehupt, im Rückspiegel siehst du den, der Hupt und einen kleinen, gelben Pickel. Kann sein, dass du gerade frisch vom Chinesen kommst, aus der Mittagspause mit dicken Buchhalterkollegen, die in ihren grauen Anzügen aussehen, wie billige Alpträume und von ihren Frauen sprachen, wie Männer, deren Namen man wieder vergisst. Männer, ohne Frauen. Männer, die sonst nie Frauen haben und alles, was sie von Frauen wissen, von Männern gehört haben. Am Arbeitsplatz angekommen, trinkst du noch einen schnellen Schluck Kaffee, rauchst, liest und hättest deine Mittagspause am liebsten alleine durchgemacht, um Bilanzen auszuwerten oder Paragraphen zu wälzen oder nichts über Frauen zu hören oder Menschen zu untersuchen, die lesen, lesen wie ich versucht habe anzufangen. So fangen wir an! Los geht’s! Bin gerade so gut drin. Ist immer noch besser, als aufzuhören oder einfach so weiterzumachen, wenn das Hirn nicht mehr weiß, wo es hindenken soll. Ist besser als Geburtstagsgrüße mit Kaufempfehlungen von Amazon oder Ansagen im Flugzeug. Besser als lange Ehejahre, Newsletter, Menschen, die frohe Weihnachten wünschen, nachdem man sie bezahlt hat und viel besser als die gestorbendste Abgestorbenheit, direkt hinter Menschen, die sich oft sagen, dass sie sich lieben, weil sie sich nicht mehr lieben, künstliche Dekorationsfrüchte. Ist aber eine andere Geschichte und ich will die hier nicht mit Dekorationsfrüchten ruinieren. Von dem Geld, das die kosten, sollte man sich lieber Kalaschnikows kaufen, Gummipuppen oder Briefmarken, durstigen Kindern in Afrika kaltes Mineralwasser spendieren. Alles besser als Dekorationsfrüchte, denn Dekorationsfrüchte sind tote Natur, Leben mit einer Lüg, eine Form von toter Natur, die mir besonders viel Angst macht, weil sie dekoriert ist. Nur den Tot kann man nicht mit Worten dekorieren. Egal wie schön die Früchte sind. Am Ende der Worte ist immer etwas tot. Miese Dinger, ein Satz über Dekorationsfrüchte und man klingt wie ein obstanbauender Friedhofswärter, den dieses Thema ernsthaft interessiert. Oder wie jemand, der sich gern Kokain von den Geschlechtsteilen ziehen lässt. Wollte ich schon immer einmal geschrieben haben, nur keine Ahnung wie die klingen, mit Sicherheit aufgeblasen. Ganz so schlimm ist es nicht, du wirst das ja am besten wissen. Du bist jener aufmerksame Leser, der über die Aufgabe des Dichters besser Bescheid weiß, als der Dichter selber. Du bist groß, klein, oder Arzt, Anwalt oder Psychopath, geht aber auch beides. Buchhalter oder der aus dem Marketing, den man an der Ampel angehupt hat, weil er unbedingt wissen wollte, wie ich anfange. […]

VISAVIS

VISAVIS

Nicht Almada. Und auch nicht Aroeira. Weiter Südlich und dann irgendwo dazwischen. Definitiv von der Küstenstraße irgendwann nach links, wenn man lange genug Richtung Äquator gefahren ist. Auf einen genauen Ort möchte ich mich ungern festlegen und wie lange wir dort bleiben werden, noch viel weniger. Mindestens bis wir herauszufinden, was diese Gegend im Innersten ausmacht und warum sie so voller Dinge ist, die man nur im Urlaub gut gebrauchen kann. Die meisten Geschäfte verkaufen Swimming Pools und Wohnwagen, Kaugummis und was man sonst noch an den Kassen von Geschäften findet, die Swimming Pools und Wohnwagen verkaufen. Überall stehen hohe Bäume unter die große Häuser passen. Pinien und Villen, wenn mich nicht alles täuscht. Die Nadeln sind grün, die Hauswände bunt. Wirklich! Ein Ort wie ein einsames kanadisches Bergdorf ohne Berge und kalifornische Straßen ohne kalifornischen Verkehr. Das Bifana ist billig und das Wetter ist gut. Die Deutschen sind wenig und alles ist so friedlich, dass man glauben könnte schlechte Nachrichten seien, an dem Ort der nicht mehr Almada und auch nicht Aroeira ist, verboten. Sogar die Sirene der Krankenwagen klingelt gelassen und freundlich, als ob sowieso alles gut werden wird! Die meisten Häuser stehen leer und alleine und warten darauf, im Sommer benutzt zu werden. Von den meisten ist es ein ganzes Stückchen zum Strand, mit dem Bus und einigen Schritten zu Fuß. Von den Wenigsten, wenige Minuten, egal wie. Es ist ein Nirgendwo im Irgendwo, an dem wir vielleicht schon längst vorbeigefahren sind, weil sich der Ort, der nicht Almada und auch nicht Aroeira ist, keinem Durchreisenden offenbaren möchte. Keinem Ankömmling um den Hals wirft und nicht mit einfachen Reizen lockt. Dieser Ort hat keine knallroten Lippen, keinen tiefen Ausschnitt und keine langen Beine, die durch hohe Stiefel, nackte Knie und kurze Röcke in drei dich wahnsinnig machende Drittel geteilt sind. Dieser Ort sitzt mit Spliss in Strickjacke und Khakijeans direkt vor deiner Nase und hat kein Problem damit, dass du durch ihn durchguckst, weil dein Blick von einem dahinter sitzenden Drittel angezogen wird. Man kann seine Schönheit sehen, wie man die Stille hören kann. Nämlich gar nicht, wenn alles um dich herum nach Aufmerksamkeit giert! Eine Gegend, die alles sein kann, was man sie sein lassen möchte. Weil es keine Ortschilder gibt, noch keine Erinnerungen und Erfahrungen, die alles Mögliche in eine Schublade stopfen wollen, für die sie viel zu groß oder zu klein sind. Wir könnten den ganzen Tag vergessen, was wir eigentlich vorhatten und in Gedanken so von einem leerstehenden Haus ins nächste ziehen. Aus ihnen Luftschlösser machen, in denen Pina Colada fließt und Zigaretten umsonst sind. In einem fernen Land in dem Erfüllung in Orangen an Bäumen wächst, ohne Steuerpflicht und Zahnärzte. Wenn der Sommer dann wirklich kommt, im März, kannst du dich am Strand im Sand suhlen, bis die Haut rein wird und die Sauerei dann im Meer einfach wieder abspülen. Wer in diesem großen Dorfe oder dieser kleinen Stadt eine schöne Portugiesin sitzen hat, sollte das zusammen mit ihr tun. Portugiesinnen lieben Sand und Sauereien, die man danach einfach wieder abspülen kann. Nach […]