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BYND

Konstantin Arnold

ROM III

ROM III

 

Rom ist warm und sonnig und wie immer anders im Frühling, weil man nach so einer Zeit immer ein anderer ist. Orte ändern sich doch nicht so wie wir und das Wetter unserer Gefühle im April. Man braucht dann seine Rayban und einen Regenschirm zur gleichen Zeit. Die Rayban, um seine Tränen zu verstecken und den Regenschirm gegen die Sonne. Man glaubt, wenn man bei Regen das Haus verlässt nicht daran, dass es je wieder anders werden könnte, weiß aber, dass es immer anders geworden ist und reagiert. Es sind nur bierschaumweiche Wolken, die da hinter immergrünen Pinien am glockenklaren Himmel hängen. Die Luft ist sanft und dämpft den Aufprall unter den Dingen, Staub und Steinen, die am Ende eines warmen Tages doch noch nicht Staub geworden sind. Blaulichtsirenen zertrennen die Durchsichtigkeit der Atmosphäre. Ein römischer Sommerabend, einer der ersten, und so, dass einem das Erste und der Abend und der Sommer auffällt, oben über Rom. Wenn dann noch der richtige Straßenmusiker spielt, steht man plötzlich über den Dingen, anstatt unter ihnen zu leiden. Ich wohne auf dem Aventino, einem der historischen Hügel Roms, in einer gelben Villa mit langer Einfahrt, die man auf die Villa zugehen kann, wenn man sie nicht fährt. Zur Haustür führt eine Treppe, die man von zwei Seiten gehen kann, wenn man will, mit der Begründung, das man nur einmal ist.  Von den Metallstühlen im Kies sieht man, wie sich sonst alles verhält. Um die Villa ist viel Grün und viel Ruhe und am Abend kann man die Ruhe laut werden hören und riechen, wie das Grüne langsam kalt wird. Angelo, mein braver, fetter Kirchendiener ist der Dirigent dieser Ruhe. Er nimmt mir den Schlüssel ab und schließt auf, wenn ich spät nachts oder früh morgens aus der Messe komme, die ich manchmal nach der Bar besuche, wenn es schon so spät ist, dass es auch früh werden kann. Der Schlüssel ist so groß wie ein Revolver, der ausgewachsene Penis eines unaufgeregten Afrikaners. Ich liebe den allmorgendlichen Lobgesang der Benediktiner. Er ist morgens gerade das, was die Eile früher am morgen für mich war, ein Ritual. Das habe ich schon oft geschrieben, wie das Licht durch die Fenster fällt und sich mit dem Gesang der Mönche vermischt, aber weinen muss man jedes Mal trotzdem. Man fühlt sich danach leer, ohne Verlassen worden zu sein. Der pinke Morgenhimmel ist fast blau und im Park vor der San Sabina noch kein Schwein mit Hund, der scheißt. Auffällig, wie dunkel der Teer dann neben der Backsteinkirche ist. Die Straßenlaternen schalten sich aus und der Tag geht an und die Ampeln funktionieren für noch niemanden. Man steht mitten auf der Kreuzung und sieht sich das Umschalten an, als wäre man der einzige Mensch auf der Welt, der das sieht, mit einem Buch von Tschechow in der Tasche und Penny Loafers an, den Mantel einfach über den Schlafanzug drübergelegt, fertig. Ich stand gestern morgen schon hier, in voller Montur mit einem fürchterlichen Buch von Carver in der Tasche und einem letzten Bier. Die ersten Cafés öffneten gerade in denen noch die letzten Besoffenen gewesen sind, die ihre Nacht auch irgendwie rumgebracht haben. Die ersten Tage war da vor allem das Gefühl, ihr das zeigen zu müssen, den protestantischen Friedhof, die Bar am Gianicolo, die Villa Pamphili, die besten der alten Orte und einige neue. Es war schön, an all diese Orte zu kommen, weil alles noch so war, wie es ist, wenn um einen sonst alles andere vergeht. Mohnblumen  blühen zwischen Ruinen. Die meisten Leute, die man so kennt leben noch, auch wenn die einen in Rom nicht so auffangen, wie wenn man nach Lissabon kommt. Ihnen fehlt die Demut der Portugiesen, ein Atlantik und die Kolonien Lateinamerikas, das Römische ist da irgendwie amerikanisch. Wenn ich abends bei Perilli bin, fällt mir das auf. Das ist ein solides Lokal, einfach, wie man gern sagt den Aventino nicht ganz bis zum Friedhof runter, rechts. Angelo hatte das empfohlen und Angelo hatte recht. Es ist ein einfacher quadratischer Raum mit weißen Tischen und Holzvertäfelung bis zum Bauchnabelpiercing und darüber eine schöne, leicht gestreifte Tapete, wie bei Tulio mit Gemälden drüber gehangen. Die Römer führen sich hier auf, um ihre Mängel zu testen, bevor man die auf den Markt in bessere Lokale bringt. Die Artischocken und die Puntarelle sind fantastisch auch wenn die langsam out of season sind, wie Angelo sagt. Uns verbindet sonst eigentlich nichts. Er ist Roma Fan, ich kann mit Fußball nichts anfangen. Er glaubt an Gott, die Sintflut und Arche Noah. Ich höchstens, dass der, wenn überhaupt schon in uns ist, oder wenigstens in Epikur und Marc Aurel war. Angelo hat sich früher mit Leuten wie mir angelegt, er ist Christ. Ich hatte eine Fußballvater und war auf einer christlichen Privatschulen, die einem das austreiben. Manchmal, wenn er mir den Schlüssel gibt, behutsam, als wäre es ein Revolver oder ein Penis, sprachen wir uns kurz. Er sagte, wies bei AS Roma steht und ich wie die Puntarelle waren. Es war eben das, was wir tun konnten, um uns zu arrangieren, immer  hin bin ich für den Rest meines Lebens gekommen. Es ist nicht so, dass ich für immer in Rom bleiben werde, nur so, dass ich mit diesem Gedanken kommen wollte, um zu sehen, wie es ist und das nichts so ist, wie man denkt […]

TAGEBUCH EINER TRENNUNG II

TAGEBUCH EINER TRENNUNG II

Ich ging oft auf diesen Friedhof und mit ins Farnese und auch an anderen Tagen in die Sant’Andrea della Valle. Manchmal gingen wir danach auch zu Buccone, einer sehr hohen Enoteca, nicht weit vom Popolo. Meine Rechnung ist aufgegangen. Seit drei Wochen bin ich jetzt schon hier. Ich bin in Rom gekommen, um nicht in Lissabon zu sein und geblieben, bis es nicht mehr nur darum ging, nicht mehr nur in Lissabon zu sein, sondern in Rom und die Schuld ein für alle Mal tot ist. Ich bin geblieben und nicht mehr weggegangen, habe das Scheitern gefeiert und nicht weiter gewusst. Abends blicke ich von der Gymterrasse des Hotel Hassler über die Spagna weg auf Rom und habe das Gefühl gescheitert, aber glücklich zu sein und das ist eigentlich kein Zustand meines Lebens. Ich sehe die Stufen runter, die Via dei Condotti lang, über die Kuppeln und tausend Touristen und denke, hier bleibe ich, hier weiß ich nichts und hier feiere das Scheitern, von hier bringt mich nichts mehr weg. Ich hatte vergessen, dass es außer meiner leidvollen Welt der Liebe auch eine andere Welt, mit Liebe, ohne Leid gibt. Ich hatte vergessen, was es heißt, ein Mensch zu sein, der denkt und fühlt, ohne zu denken, was er denken und fühlen sollte. Ich hatte vergessen, dass es auch noch andere Menschen gibt und Städte, die etwas von uns haben und uns zu uns führen, einer Form unserer selbst, die uns vielleicht mehr entspricht. Ist im Umgang mit jedem, doch immer ein etwas anderer und wer weiß dann schon noch wer er ist, wenn er in sich schaut und nicht um sich sieht, oben über die Spagna von der Gymterrasse des Hotel Hassler aus? Ich war größenwahnsinnig geworden, ein Hochstapler wie Felix Krull, talentierter als Ripley, gesünder als Thomas Bernhard und doch so wie alle, die wir uns in Städten als jemand ausgeben, der wir nicht sind, bis wir es werden, weil wir einfach lange genug so getan haben als ob. Ich schrieb meinem besten Freund einen Brief, schrieb, dass er doch gerade in der gleichen Scheiße sitzt und nach Rom kommen soll, mit dem Zug von München über Bologna, aber vor allem nach Rom, wenn er sonst niemanden liebt. Es wäre für uns doch das Beste irgendwo zu sitzen, zu trinken und zu hören, wie der andere über die Welt herzieht. Außerdem würde ich ihm gerne meinen neuen, alten Freund vorstellen. Ich hätte Giorgio schon viel von ihm erzählt. Zwei Gedanken dürften aber nicht gedacht werden, wenn er kommt: Was kommt danach und wie funktioniert das ganze Finanzielle. Ich würde um Vorabhonorare betteln, er um Filme. Vielleicht waren es genau genommen auch drei Gedanken, aber Rom war so schön, dass ich nicht weiter über Hämorriden und Flecken nachdachte. Ich musste ja in Rom bleiben und unbedingt im Hassler wohnen, ich war ja größenwahnsinnig geworden. Der Plan war im Hassler zu wohnen, bis wir nicht mehr im dort wohnen konnte, und dann eine Italienerin kennenzulernen, also eine Bleibe zu finden oder eine kulturelle Einrichtung (lieber nicht), große einflussreiche Leute aus La Grande Bellezza, Kirchenväter, Monseigneurs, die sich junge Autoren halten, Kardinäle, Mäzene, Leute, die Schnitzlers Traumnovelle nachmachen und die Dolce Vita leben, die sich, so sagt man, in diesen moralischen Zeiten, in die privaten Palazzi zurückgezogen hat, hinter zugezogene Gardinen großer, mysteriöser Fenster. Das Schöne am Hassler war, dass egal ist, wer man ist und was war, seitdem man das letzte mal hier gewesen ist. Es ist ein Familienhotel in fünfter Generation. Der Vater der Direktorin soll ein sehr eleganter Mann gewesen sein, der in drei Sprachen Lippen lesen konnte. Es steht ganz unauffällig da an der Treppe und reiht sich ein, anstatt sich anzubiedern wie wenige Gebäude, die ihren Wert für sich behalten. Ich schrieb ihm das alles in einem Brief, weil es die einzige Art ist, mit Freunden zu kommunizieren, wenn man unbedingt mit einander kommunizieren muss und in verschiedenen Städten traurig ist. Es ist eines dieser letzten sinnlosen Überbleibsel einer untergehenden Welt aus Briefbeschwerern, Telegrammen, Depeschen, Gepäckträger, Abendzeitungen, Manschettenknöpfen und Nachtzügen, die wie Dampfschiffe noch enorme romantische Zusammenkünfte an all den Orten zuließen, an denen das Spiel der Verführung in subtiler, undurchsichtiger und geschickter Weise über die Bühne geht. An denselben Orten, mit denselben Leuten, die auch an all den anderen Orte sind. Man hält es aus, sich ihnen nicht gleich mitzuteilen und teilt auch nicht mit, wenn man sich in einem Brief mitgeteilt hat, der (in Italien) oft erst lange nach den Ereignissen eintrifft. Er hatte jetzt meine Adresse: Hotel Hassler Roma, Piazza della Trinità dei Monti. Eine Woche später kam er. In der Lobby des Hassler lief gerade Aqua e Sale und es pulverisierte mein zerbrochenes Herz. Er fragte, was los ist und ich sagte, das ist das Lied, dass ich mit ihr einmal morgens im Taxi hörten, als wir unseren Rückflug aus Rom nach Lissabon verpassten. Wir waren schon in Sichtweite des Flughafens, aber der Taxifahrer meinte, das bringe bei dem Verkehr alles nichts und drehte voll auf und das ist nur einer dieser Momente, die es nun nicht mehr gibt, wenn man den Menschen nicht mehr hat, mit dem man ihn teilt. Zusammen könnte man mit den Momenten unter der Brücke leben. Die Frage, wie allein damit umgehen? Die Zukunft wirft Fragen auf, aber die Vergangenheit ist in meinen Augen schwerer zu ertragen, da ich Zukünfte für Erfindungen halte und es schwerer finde, mit einer Vergangenheit umzugehen, ohne sie zu erfinden, zu prahlen oder daran zu Grunde zu gehen. Was wird Teil von uns, was nicht? Welcher Teil ist für wen ersichtlich, wenn nichts und niemand mehr da ist, der die anderen daran erinnert? Er sagte, solche Gedanken durften einfach auch nicht gedacht werden, genauso wie der, dass sie mit schwarzen Modiglianiaugen Männer fickt, die ihre Vergangenheiten erfinden und Reichtümer, und vom wahren Roms und wahren Lissabons sprechen und den vielen Lieben, die ihnen zuteil geworden sind. Menschen kommen und gehen, aber vor allem gehen sie, wenn ihre Zeit vergangen ist und sich herausstellt, dass sie doch nicht jene waren, für die man sie hielt. Was wird Teil von einem und was nicht, welcher Teil ist für wen ersichtlich, wenn nichts und niemand mehr da ist, der uns erinnert? Frauen, die man hatte und eine, die man liebte, weil man sie nie gehabt hat. Alle schönen Momente konzentrieren sich dann im Kollaps eines Ereignishorizonts, der ein schwarzes Loch zurücklässt, das aussieht wie Pierre Soulages Bild eines zehnten Novembers. Schwarz und drübergemalt, an manchen stellen völlig undurchsichtig, mit ein paar hellen Ecken, in einem goldenen Rahmen, wenn gegenüber eine farbenfrohe Komposition von Bran van Velde hängt […]

TAGEBUCH EINER TRENNUNG I

TAGEBUCH EINER TRENNUNG I

Es geht damit los, dass man sich fragt wies nun weitergeht. Man kann das in Rom, nach einer Trennung, aber nicht schon wissen, das geht einfach nicht, das geht nur danach, ich weiß gerade nur nicht, wann das ist und ob es überhaupt ein Danach geben wird. Ich bin nach Rom gekommen, weil ich aus Lissabon flüchten musste. Die Stadt ist nicht Rom. Sie kann schon gar nicht Rom sein, wenn man dort lebt. Man denkt, man könnte das, was man in Rom macht, auch gut in Lissabon machen, es ist die perfekte Stadt dafür, hügelig, melancholisch, nicht weit vom Meer, aber es geht nicht, alles erinnert mich an sie. Für die einen ist es London oder New York; für mich Lissabon. Und Rom, und das war ja das Problem. Rom war immer das Argument, wenn es darum ging, wie unser Leben in Zukunft auszusehen hat, und mit wie vielen Kindern. Es gibt außer Rom kaum Orte, an der wir noch keinen Matisse gesehen haben oder uns bei offenen Fenstern liebten und bis spät in die Nacht auf Plätzen diskutierten. Wenn wir bis Weihnachten nicht in in der Closerie des Lilas waren, im Sommer ums Cap d’Antibes schwammen, in Ventimiglia auf den Zug aus Cannes nach Genua warteten, Zeitungen im Café Sperl lasen, bei Tito in San Sebastian aßen, uns in Mailand trafen, durch den Retiro gingen oder am Lago di Como darüber nachdachten, Schluss zu machen, weil ich nach Rom ziehen wollte, ging bei uns gar nichts. Es zwängen sich Fragen aus der Zukunft auf, die die Gegenwart betreffen, dem einen mehr, dem anderen weniger, mit dreißig oder sechzig, je nach dem wie gut man die mit dreißig beantwortet hat. Das machte sie traurig und weil es sie traurig machte, dachte ich nicht weiter an Rom, und ich glaube, diese Nichtdenken und diese Traurigkeit waren’s und ihr Weinen, dieses Weinen hält einen immer davon ab. Es tötet von innen die Liebe und man beginnt gleichgültig zu werden und denkt an Rom. Vorher versucht man natürlich noch ein guter Mensch zu werden, wird krank durch und durch, unduldsam, unerträglich, ehrlich, ein Idealist, zwanghaft, wie keiner, bis man der andauernden Selbstbeobachtung erliegt. Lissabon blieb dabei die Hauptstadt unseres Vergehens. Natürlich war Valentinstage, als ich in Rom ankam. Ich konnte die Zeichen aber nicht länger ignorieren, schon gar nicht die Flecken. Ich konnte mich und sie nicht mehr sehen, genauso wie das ungelebte Leben meiner Liebe als Preis einer Größe, wie ich sie verstand. Ich begann das Leben wieder als viele Lieben zu sehen und sah mit Sorge ein wachsendes Interesse daran, mich als Mensch in der Welt zu sehen, zu verstehen, wer ich bin in der Welt, als der, der ich jetzt bin, in einer Welt wie jetzt und ob dieser jemand und diese Welt wirklich nur durch sie zustande gekommen sind, wie sie gern sagt. Stellt man sich alles nur so vor, so wie alle Dingen, die man denkt? Ich hatte versucht zu lieben, heißt mich mich zu ändern, aber es geht nicht, es ist nichts für mich, wenn es heißt mit einer Frau im Bett zu liegen, ohne leidenschaftlich zu sein, vielleicht zu wissen, was morgen kommt. Irgendetwas ändert sich in mir, und man wusste es morgens immer, wenn man sowieso das Gegenteil von allem dachte, was man denkt und sich den Tag über beweist, dass alles dann doch nicht so ist, sobald sich die große Ablenkung in Betrieb gesetzt hat und die Relationen einrasten. Der Fehler liegt deshalb nicht in der Liebe, er liegt bei uns, in dem wir sie als gescheitert bezeichnen, wenn sie nicht im Doppelgrab endet, die Tragödie ist vorbestimmt. Wir wollen sie ständig bis in alle Ewigkeit retten, indem wir sie töten und künstlich in die Länge ziehen, aber Ewigkeit hat nichts mit Länge zu tun, sondern mit der Höhe und Tiefe eines Gefühls, und dem, was der Alte sagte, als ich ihn vor dem Grab seiner Frau auf dem Cimitero Acattolico in Rom traf. Er sagte, er hätte seine Frau nie so glücklich gesehen, wie in ihrem ersten Sommer in Rom. Er dachte da noch, egal, wie lange der dauert, der reicht, dieser eine Sommer, der ist für immer, aber nichts ist für immer, nur Rom und der Fernet-Branca bei Farnese, der ihm hätte heute auch wieder wie immer geschmeckt. Er wäre keiner von denen, die sagen, Rom hätte sich geändert. Trastevere ist immer noch die gleiche Scheiße, aber der Gianicolo das Beste. Er kann früher gar nicht besser gewesen sein. Wir schieben Veränderungen nur gerne den Städten zu, aber sie ändern sich nicht so, wie wir. Es sei daher ein Irrtum, das man bestimmte Zeiten für besser hält, die man gar nicht selbst erleben durfte und meint, dass eine Stadt, nicht mehr so ist, wie sie vielleicht nie war, nur weil man Rom einmal zu einem bestimmten Zeitpunkt gesehen hat und von einer Stadt zu verlangt, dass sie sich bis zu seinem nächsten Besuch nicht verändert. Rom hätte es vor uns gegeben und Rom wird nach uns sein. Das Läden schließen, Preise steigen, gab es schon immer. Die Zeit ist egal. Sie wiederhole sich und vergeht in Zyklen, weil der Mensch ihr Vergehen so besser erträgt. Die kulturelle Ausformung dieser Zyklen nennt man Mode und deren melancholische Wiederaufnahme Nostalgie. Es geht darum, die Dinge durch ihre ständige Wiederholung auf eine Essenz zu destillieren, die tröstet, weil es immer so ist, wenn sonst alles um einen herum vergeht. Die Frage zu welcher Zeit eine Stadt am besten ist, ist dann hinfällig. Madrid im Mai, Wien im Dezember, Paris um 1900, Berlin besser nie und Rom eigentlich immer, vor allem nach einer Trennung, nur nicht im August. Seiner Meinung nach hätte ich mich besser am Ende eines Sommers getrennt und Rom im Herbst besucht. Es ist die besinnlichste Jahreszeit, reicher und schöner als alle anderen, für jene, die mehr Bedeutung und reife Tiefe als Glanz und Jugend suchen. Die Touristen sind dann gar nicht so wie Leute, die immer neue Orte brauchen, die das Reisen für sie übernehmen. Man hätte die Erinnerung des Sommers und ahnt das Vergehen. Geschaffen für Genießer der Melancholie, Liebende vor dem Aus, Banker am Rande des Ruins und Dichter, die zwischen den Zeilen nach richtigen Worten suchen […]

ROM

ROM

Moment mal am Nachmittag, abends, oben, über der Stadt. Als ob der Himmel hier näher wäre. Mit den Büsten aller, die schon gestorben sind. Die Via Garibaldi runter, bei den plaudernden Nonnen vorbei und am Paola Brunnen die Treppen der Sakristei links, wo das Wasser immer fließt, und nie gleich und die Straße dann rechts biegt und man eine Weile schön unter Bäumen geht, bevor man auf die Brücke kommt. Ponte Mazzini, die, von der man auf die Ponte Sisto sehen kann und sieht, wie Türme in den Himmel stechen und sich der Fluss windet und über allem die Pinien stehen, schon immer grün im Herbst. Für die Römer geht die Sonne hinter dem Gianicolo unter, nirgendwo anders. Da, wo die Welt dich haben will, kurz nachdem dich dein Freund verlassen hat und du nun allein ist, mit dem Blick auf Rom und den Herbst und den Vögeln über dir, die am Himmel dimensionale Manöver zeigen, all dem Licht und dem Laub, und dich fragst, ob du das alles so fühlst, weil du jetzt alleine bist und nichts zu schreiben hast oder weil es wirklich so ist, wie du siehst. Manche Momente kann man nicht teilen, sie vergehen und sind tief in uns drin. Zwei küssenden Motorradhelme im Verkehr sehen das auch so. Jemand rudert unter den Brücken heim, wie ein Wasserläufer, der ein Zuhause hat. Den Fluss geht alles das nichts an. Er fließt träge und dreckig an allem vorbei in die Dämmerung. Ins letzte Licht. Bis ans Ende des Ausblicks, Albaner Berge oder ist das Umbrien? Was Schönes, einmal nicht Michelangelo, nicht Bernini, einmal nicht wissen, um gucken zu können. Der Tag endet, wie er beginnt. Früh und purpurn. Traurig jede Abendstunde, die man dann nicht in Rom verbringt. Die Luft ist frisch, als ob man noch gar nicht geraucht hätte. Rom hat auf uns gewartet, jaja, als ob, wir auf Rom. Bin das dritte Mal da, aber war noch nie hier. Nur einmal zum Cabrioholen und einmal in einem Hotel am Flughafen, das meine Freundin uns am Flughafen buchte, um den frühen Flug nicht zu verpassen, den wir dann verpassten, weil wir selbst dort eine Bar fanden, in der wir streiten konnten. Man kann Rom einfach nicht denken, ohne es gesehen zu haben. Antikes Herz einer Weltmacht, religiöses Zentrum und auch noch Hauptstadt Italiens. Erfahrungen, die von anderen gemacht werden. Immer nur Worthülsen, Geschichtsunterricht, sonntags, verkatert, TerraX. Ein Vorurteil, wie New York oder Yoga, aber Yoga kann nichts dafür, von dem wes gemacht wird. Jetzt hat die ewige Stadt Bedeutung bekommen: Roma Termini, Taxifahrer, Arschloch. Sie sitzen den ganzen Tag, leben nicht, sterben nur langsam. Wie auch? Sie haben die schlimmsten Väter der Menschheitsgeschichte, die sie selbst Söhne von Vätern sind, die nach dem Krieg heimkamen und erst mal einen Küchenstuhl reparierten. Seit sie von zuhause weg sind, wohnen sie mit ihren Frauen. Meiner Meinung nach muss man sich in der Welt rumtreiben bevor man nach Rom kommt. Prima di arrivare a Roma bisogna muoversi nel mondo, aber der Taxifahrer versteht nur Bahnhof und fährt mich zum anderen. Also Umsteigen ins Nächste. Hotel Excelsior bitte! Bello, meint der neue, das läge wunderbar am Parks der Borghese, gleich an der Via Veneto, ob ich Fellinis Roma gesehen habe? Zwei Wochen in der Stadt? Nein, aber wir werden Rom schon zu unserem machen. Der Taxifahrer meint, bello, aber in Fellinis Rom hätten Frauen drei Titten. Er spricht von all diesen Filmen, die Liste ist lang und man hat nur ein Leben und das hat Vorrang und ist nie genug, nicht mal für Bücher. Er sagt, es sei nicht leicht in Rom ein Buch zu lesen. Das Leben finde in den Straßen statt und man wäre ein Teil von ihnen. Rom ist aus Fleisch und Blut, nicht nur Resten, dem Gesicht einer Frau, die vor einem Schaufenster steht und sich auf den Feierabend freut. Sie schaut sich […]