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BYND

Konstantin Arnold

DAVONKOMMEN II

DAVONKOMMEN II

Manchmal trägt der Nordwind die Traurigkeit her und manchmal fegt er den Himmel blank. Das schlechte Wetter ist hier aber nichts Schlimmes. San Sebastián ist ein Winterort, schwimmen im kalten Meer. Ein Seebad, wie Biarritz, wo man Baden kultiviert hat, nachdem man das Meer lange genug nicht zum Schwimmen benutzte. Jetzt gibt es auf der ganzen Welt keinen besseren Ort, um sich eine Badehose zu kaufen. Während San Sebastián den aristokratischen Glanz der englischen Königin verdankt, wurden in Biarritz Promenaden gebaut als Eugène ihren Ehemann Napoleon III davon überzeugte, eine Sommerresidenz im Süden Frankreichs zu errichten. Biarritz wurde zum Ferienziel der Pariser, hier sollte die Welt genesen. Wenn man aus San Sebastián dorthin fährt, weiß man am Anfang nie wo lang, weil man aus den Bergen kommt und sich fragt, wo Osten ist und es ist auch egal bis man an der Küste ist. Das Stück zwischen Hendaye und Saint Jean de Luz ist weltbekannt. Es ist das, von dem ich ihr am Igueldo erzählte, aber ihr wars egal, sie schlief, dachte oder fummelte sich an den Haaren. Es war schade, dass sie den Ausblick nicht sah, weil es schön war, zu sehen, wenn sie so etwas Schönes sah. Wenn sie so traurig und vorwurfsvoll dasaß, wie eine Statue von Maillol in den Tuilerien, versuchte ich das zu ignorieren. Sie war trotz allem ein schönes Tier, mit einem Lebensraum auf dem Beifahrersitzt und der Unordnung voller Sachen und Taschen, die sie schuf. Keine Ahnung, wie jemand so beifahren konnte. Ich dachte für mich, dass das eine sehr schöne Straße war, die nahe am Wasser vorbeigeht, und von den Leuten Corniche Basque genannt wird. Für mich ist das die Straße auf der Jakes Barnes mit Bill am Ende der Fiesta mit offenem Verdeck fährt. Man erkennt sie an den Wäldern und Wiesen und dem sich ins sehr blaue Meer räkelnde Land. Das Buch verbindet mein altes und neues Leben und Peter Viertel, der es verfilmt und nach den Dreharbeiten zu Fiesta sein Surfbrett hierlässt, aus dem die europäische Surfkultur erwächst. Bald zwei Jahrzehnte war Biarritz für mich nicht mehr als ein breiter Strand zum Surfen gehen. Schildmütze an. Bier trinken. Fertig. Jetzt waren wir auf dem Weg und ich jemand anderes und kam an vielen Orten vorbei, an denen ich schon geschlafen hatte. Campingplätze, Kreisverkehre, eine Picknickstelle im Wald. Wie alle Surfer fuhr ich damals mein Dieselfahrzeug durch Europa, schiss in die Büsche, ließ mir die Haare wachsen, brachte meinen Restmüll und meine Geschlechtskrankheiten mit und dachte ich bin aber sowas von cooler. Jetzt wohne ich im Hotel du Palais. Das hatte ich früher schon vom Meer ausgesehen. Jetzt sehe ich das Meer vom Hotel. Es ist ein wundervolles Gebäude, groß und rot und alt, ich glaube das älteste, da Biarritz erst um Eugènes Sommerresidenz entstand. Vorher war das nur eine Düne. Jetzt stehen hier Chateaus und Schlösser in tausend verschiedenen Stilen. Der lange Teer der Einfahrt steht dem Hotel prächtig und dann steht da Patrick, der uns den Audi abnimmt. Er ist dieser Mensch, der einen Ort ausmacht. Drinnen ist dann alles sehr Hyatt-mäßig, renoviert und ohne Zeit, mit ständig wechselnden Mitarbeitern. Der Concierge gab einem das Gefühl immer was Besseres zu tun zu haben. Aber jedes Mal, wenn ich Patrick den Schlüssel gab, war es, als würde es auf der Welt sonst keinem geben, dem er das Auto parkt. Er sah mich mit seinen weichen Buttleraugen an und fragte, wies geht und ob wir schon im Hinterland waren. Von ihm weiß ich alles, was ich über diesen Teil Frankreichs weiß und andere und dass Anne Desclos in Wahrheit die Geschichte der O geschrieben hat und eine Frau war und dass sie und Georg Sand die Befriedigung der Frau literarisch legitimierten. 1792 wurde die Guillotine zum ersten Mal an Schafen ausprobiert und Oscar Wilde machte die bittere Erfahrung, jemanden in der Seine ertrinken zu sehen und ihn retten zu wollen. Er fürchtete, man könnte denken, er würde sich aufspielen und ließ ihn ertrinken. Ich fragte ihn warum Franzosen alles mit Soße fressen und warum ihre Küche überhaupt so bekannt ist? Er sagte, dass hätte mit dem Hof Ludwigs zutun, der Diplomaten aus aller Herren Länder zu seinen Banketten einlud und so die Mode der Gänge einführte. Ich gestand schon, dass es den Franzosen gelang, aus den einfachen Zutaten des Alltags, etwas leidenschaftliches, besonderes zu machen, aber ich hatte noch die Weinernte in Portugal unter den Nägeln und ließ mir vom Sommelier hier gar nichts erzählen. Ich erzählte Patrick von Biarritz und wie es früher für mich war und er meinte, dass es nicht leicht ist, einen Ort wieder für sich zu entdecken, wenn man ihn schon lange kennt. Wir sollten in die Berge fahren, nicht weit von hier. Das würde uns beruhigen und wir müssten uns nicht mehr so auf dem Balkon aufführen, vor den Augen der ganzen Stadt […]

RIVIERA

RIVIERA

Es ist ein Stück vom Himmel gefallen. Liegt an der französischen Riviera als Kap im Meer. Wellen schlagen dagegen und Wege führen drum rum und ein weißes Haus steht im Grünem, das von tiefem Blau umrahmt wird, wie ein wertvolles Gemälde. Ich hoffe, wenn man stirbt, kommt man hier hin und darf seine Gefühle mitbringen. Manche können sich das im Leben schon leisten. Nirgends ist ein Hotel so Hotel, das Leben so Leben, weiß so weiß und Liebe so einfach gemacht. Das Westenweiße macht was mit einem. Man trägt helle Anzüge und raucht leichte Zigaretten und auch nicht viel. Morgens kann man das Trocknen der Pinien riechen und abends hört man den Vogel, der die Dämmerungen in warmen Ländern besingt. Gesehen hat den keiner, aber es reicht zu wissen, dass so der Süden klingt. So nah am Wasser sind selbst schlechte Zeiten besser als die guten. Weit weg von der Welt und doch jener Teil, der sie lebenswert macht. Regen durch weiße Fensterläden betrachtet. Heute ein stürmisches tristes Meer, Palmen, die dann halt wehen, na und? Wir sehen das nackt durch Gardinen, ein Blick aufs Leben vom Bett und vom Bad ausgesehen. Blaue Jeans und braune Haut. Keine Ahnung, ob die Welt uns so sehen kann, wenn die Gardinen wehen. Schöne Orte sind sehr schön im Regen. Sie sind wie Menschen, die auch mal weinen. Ein falscher Gedanke (das kann ein Moment sein, der nicht ist wie tausend andere Momente) und ihr durchleuchtender Blick, die Kraft meiner Empfindung, keine Ahnung, wie sie das aushält, ich glaube, sie liebt mich, wirklich, bedingungslos, auch wenn ich mir das schwer vorstellen kann. Einen kleinen unsicheren Jungen, der sich hinter breiter Brust an seinen Obsessionen vorbeischreibt und aus der wunderbaren Unvollkommenheit des Lebens in seine Texte rettet. Oder hier her. Auf dem Hinflug sah ich eine Stadt unter mir. Tausend Lichter und Straßen, die irgendwo hinführen, blinken, leuchten, wollen, sich verbinden, vielleicht Paris. So, sagte ich zu ihr, stelle ich mir ein Gehirn vor. Ich schaute nochmal raus und sagte, meins nur mit mehr Schleifen und Kreisverkehren. Dann wurde das Wetter schlecht und ich musste das Wetter noch für sie ändern und es ändert sich auch. Wie versprochen. Einen Platz im letzten vollen Lokal bekommen wir auch noch und den französischen Weinpreis bezahlen wir nicht. Die spinnen wohl, und denken der Traum einer Frau ist, der Traum eines Mannes zu sein. Man muss den Traum schon erfüllen. Es reicht ihr nicht Mrs. Irgendwer zu sein. Sie will auch nicht, dass man ein Foto davon macht und ihr Feuer gibt, wenn sie selbst eins dabeihat. Ich halte die Tür des Taxis auf und sie geht auf der anderen Seite rein und wenn sie eine Tasche trägt, will sie die selbst tragen, was ja okay ist, bis ein anderer fragt, ob man helfen kann. Wir haben jetzt den Deal, dass ich die Tasche in der Öffentlichkeit nehme, damit ich nicht wie ein Idiot dastehen muss. Wir kommen an Frauen vorbei, die gucken und sie weißt mich später darauf hin, dass meine Ärmel nicht gleichlang aus dem Jackett geguckt haben. Das soll so sein, fahre ich aus mir heraus und zweifle in mir drin. Selbst Frederic, dem Hoteldirektor hat das gefallen und er ist die junge, schwule Form von Gott. Wir haben ihn das letzte Mal in Istanbul getroffen. Erinnern konnte er sich nicht, was nicht schlimm ist, denn […]