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BYND

Konstantin Arnold

DIVA

DIVA

Spät ist die Nacht. Spät und schwarz und einsam. Sie war schon schwarz und einsam, als ich aus der Nacht ins Café kam. Nur spät war sie noch nicht. Spät ist sie geworden. Keine Ahnung wie spät sie schon geworden ist, aber sie sieht nach Ende aus, nach zu spät. Eine leere Zeit liegt im Raum. Meine Fragen sitzen mit mir an der Bar und beobachten mich im Spiegel. Gut sehe ich aus, so hemdärmelig auf die Theke gelehnt, übersinnlich in Zigarettennebel gehüllt. Vor mir das Notizbuch, wie die ganz Großen. In der Luft liegen dreckige, alte 80er. Die Stimmung passt nicht zu den Gästen. Außer mir ist da nur noch ein dicker Mixer und eine Frau, die mit einem Mann am anderen Ende des Raumes zu ende plaudert. Die Frau sieht schön aus. Aber es braucht nicht viel, um schön auszusehen. Duft, Lippen, Pferdehaar und ein paar Zentimeter freigelegte Beine am anderen Ende des Raumes. Armselige Leidenschaften, die bedeuten gar nichts. Sie wiegen nicht, sie haben keinen Wert, sie haben nur viel gekostet. Denn alles, was Wert hat, wiegt, wenn es Leiden schafft. Vor Mitternacht trug sie einen schwarzen Rollkragenpullover, der durch ihre handvollen Brüste und den Gürtel ihrer Jeanshose zu einer straffgezogenen Figur gespannt wurde. Als es später wurde, pellte sie sich den Rollkragenpullover von der Haut und legte ein Oberteil frei, das nun nahtlos und weiß um ihr Dekolleté klebt. Ihre Haut sitzt eng. Drall, so als würde ihre Haut fast platzen. Ich mag es, wenn Haut fast platzt. Und mit ihr das Negligé oder die Lingerie, oder wie auch immer man das mit der Seide nennt. Außerdem mag ich Arme. Dünne, portugiesische Arme. Vor allem den Knick zwischen Oberarm und Schulterblatt, der beim Melden entsteht. Anoperieren kann man den nicht. Ja, was glaubst du denn? Natürlich, da ist immer noch Schönheit. Viel Schönheit. Sie sind alle noch schön, schöngemacht. Ich weiß nur nichts mehr mit ihrer Schönheit anzufangen, ihre Schönheit ist wertlos. Sie muss nicht mehr gelöst werden –höchstens in Worten aufgelöst werden, bis nichts mehr von ihr übrig ist, außer Schönheitschirurgie und Seide. Aber das ist Zwang. Einmal kam die schöne Frau an dir Bar und bestellte. Ihr Dekolletee holperte auf mich und den Mixer zu. Ich konnte den kurvigen Schatten zwischen ihren goldbraunen Brüsten im Spiegel sehen. Ein Riss in etwas Festem. Silikon. Die Erde bebte. Sie zahlte. Ihr Duft verweilte. Es waren junge, gemachte Brüste, die sie da trug. Felsenfest. Ihr Gesicht war durch die junggemachten Brüste gar nicht zu erkennen. Ob der Mann, oder das, was von dem Mann noch übrig ist, ihr Mann ist, kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich schon, die Ärmste. Der Mann ist nicht, er hat. Und wenn er wäre, dann wäre er nicht nach innen, sondern würde nur nach außen leben. Er trägt fürchterlich weiße Turnschuhe, die sich höchstens zum Angeben eignen und eine Chinohose, die enger sitzt als Haut. Um seine Glatze hängt ein Schal. Hätte er eine Frisur, würde die sitzen. Und wie er redet, so angespannt sieht er aus wie ein steifer Pimmel mit Bart, der sich von seinem Erbe in der Freizeit gerne Kokain kauft. Als hätte man ihm das Fleisch schon seit der Muttermilch mit jenem Geld geflutet, aus dem er geworden ist. Ich stelle mir vor, wie er auf dem Perserteppich seines puritanischen Vaters in Kotze kniet und um Liebe fleht. Soll ich aufstehen und ihm aufs Maul hauen und dann mit Scheiße am Schuh auf seine unverschämt weißen Schlappen latschen? Nur wo um diese Zeit noch frische Hundescheiße herbekommen? Der Gedanke verf[…]

 

NORTON

NORTON

Norton war ein Säufer, aber einer von den Guten. Einer, der saufen musste, weil er sich sonst vorm Saufen fürchtete. Er trank Schnaps wie Bier und das Bier wie Wasser, aber nicht wie andere Briten. Er hatte weichen Händedruck und dachte keinen schlechten Gedanken. Jedenfalls versuchte er keinen schlechten Gedanken zu denken und deswegen kamen ihm die allerschlimmsten Gedanken. Er hatte nie Dreck unter den Nägeln und kannte keine Kraftausdrücke. Manchmal begann er zu zucken. Wenn er von Frauen sprach, sprach er ausschließlich von seiner Freundin. Nüchtern schwärmte er von antiken Philosophen und wenn der Schnaps in ihm anstieg, redete er nur noch über Russen. Tolstoi, Dostojewski. Puschkin und Knut Hamsun, auch wenn der kein Russe war, aber es war zwecklos, ihn in seinem Rausch zu unterbrechen. Ich kannte Norton von der Sprachschule, zu der uns unsere Freundinnen verdonnert hatten. Wir hatten beiden schöne Freundinnen. Sehr feste Portugiesisch sprechende Freundinnen. Freundinnen, zu denen wir nachts heimkehrten. Norton eine Brasilianerin, ein richtiges Feuerzeug, das ihn an den Eiern hatte, aber er mochte es an den Eiern gehabt zu werden, weil er sich fürchtete und schwarze Locken hatte. Ich meine Portugiesin, eine süße Kastanie, Mahagoni, mehr Streichholz, so beschrieb ich sie Norton. Vor uns lag die ganze Stadt ausgebreitet in der Sonne. Es war ein klarer Tag. Gestochen scharf. Lissabon brauchte keine Filter. Man konnte über den Fluss bis zu den Bergen Sesimbras gucken, oder mit seinem Blick den Tankern auf dem Fluss hinaus aufs Meer folgen. Am Meeresende waren Wolken, aber hier über der Stadt war der Himmel klar und der Wind blies von den Hügeln durch die Straßen hinunter zum Fluss, in dem sich die Stadt und der Tag spiegelten und mit ihm hinaus aufs Meer flossen. Hinter dem Fluss entspannte sich eine Ebene und der Himmel war dort sehr hoch, höher als auf den Hügeln und die Flugzeuge machten ihren bekannten Schlenker über den Ozean bevor sie über die Ebene weiter landeinwärts flogen. Aus der Ferne stieg Dampf auf und wir erreichten nun eine glühende […]

MARTINI

MARTINI

Jenen Winter verbrachten wir da, wo die spanische Königin einst ihre Sommer verbrachte. Wir wohnten in einem Gründerzeithotel mit Blick aufs Meer und tranken Martinis in der Hotelbar. Es war eine schöne Bar mit rotem Samt und Messing, die Kellner trugen Manschettenknöpfe und verteilten Häppchen. Die Bar war lang und hatte Polster, auf die man seine Ellenbogen beim Sprechen stützen konnte oder nichts sagte und einfach stumm stützte und dasaß und durch den Raum hinaus aufs Meer blickte. Das Hotel lag in der Mitte einer Bucht und auf den Armen der Bucht standen einzelne Häuser, die auf uns und die Bucht zurückblickten. Wenn der Sand bei Ebbe hart war, spazierten wir am Strand zum Ende der Bucht und den einzelnen Häusern und wieder zurück. Wir gewöhnten uns sehr an die Spaziergänge und liebten unsere Routine. Morgens lagen wir lange da, taten alles, machten nichts und schauten aus dem Fenster hinaus aufs Meer. Wir frühstückten. Wir lasen die Zeitung in der Lobby und erfuhren, dass alle ehemaligen ETA-Terroristen in die Politik gegangen wären. Seitdem blühe die Stadt wieder auf, trotz des vielen Regens. Das Wetter der Stadt war meistens schlecht, aber die Stadt war schön im Regen und die Restaurants hatten alle Sterne, zusammen mehr Michelin-Sterne als Paris und eine der höchsten Dichten an Sterne-Restaurants weltweit. Das lag wahrscheinlich an der spanischen Königin, die samt Aristokratenpack hier ihre Sommer verbrachte, dachten wir. Nachts gingen wir Tanzen. Es waren einsame baskische Discos. Wenn wir tagsüber zu viel Martini getrunken hatten, badeten wir im Meer. Dann gingen wir auf unser Zimmer, wickelten uns in Bademäntel ein, rubbelten uns trocken und bestellten mehr Martini aufs Zimmer. Einmal sind wir mit dem Riesenrad gefahren. Unter uns lag die Stadt, der kleine Teil des Universums, den wir uns einen Winter lang teilten.Wir gewöhnten uns sehr an den Ausblick aus unserem Zimmer. Und als der Tag unserer Abreise kam, waren wir traurig, so als würden wir etwas in diesem Ausblick zurücklassen. Das Riesenrad und das Baden im Martini. Es war ein schöner Ausblick, der weit über das Angucken hinausging und viel Glanz in die Fassaden der Häuser gebrachte hatte. Am Wochenende, an dem die Tamborrada begann, ein Fest zu Ehren der Stadt, welches an den spanischen Unabhängigkeitskrieg erinnern soll, verließen wir die Stadt. Im Festsaal des Hotels probten gerade 160 Trommler, viele waren angestellte des Hotels. Einige von ihnen waren sehr traurig, dass wir gingen und hörten für einen Augenblick auf zu trommeln. Vor allem der Kellner mit den grauen Koteletten von der Bar und unser Zimmermädchen, dem ich immer […]

NACHT

NACHT

Es ist Nacht und ich bin nackt. Tiefste Nacht, nur mit ein bisschen Gardine bekleidet. Ich stehe vor einem Balkonfenster, der Straße, dem Strand und dem Meer und halte nach Tatsachen Ausschau. Das Meer ist weiß vom Mond und es ist glatt, und die Brandung greift über den Strand an und zieht sich zurück. Kaum Wolken. Sterne. Greift an und zieht sich wieder zurück. Die Straße ist welliger als das Meer und das Pflaster der Straße ist nass und gelb, genauso nass und gelb wie die Straßenlaternen darüber oder die Scheinwerfer der spanischen Kennzeichen, die hin und wieder unter ihnen hindurch fahren. Keine Ahnung wie spät es ist, hinter der Straße ist Promenade und Sand. Eins noch, der Baum vor dem Balkonfenster ist groß und stark, aber kahl, also ob Wind weht, kann ich nicht genau sagen. Aber ich kann sagen, dass die Welt kalt aussieht, so durch Glas betrachtet. Die Welt sieht lange schon kalt aus. So lange und so kalt, dass man den Sommer glatt vergessen könnte und mit ihm die vollen Strände und vielen Touristen mit ihren Ärschen, die jetzt unter Hosen und Mänteln im Verborgenen liegen. Ich denke an Suppe, an Omas warme Milchsuppe, die sie mitEiern aus Weltkriegen machen konnte. Schmeckt vorzüglich. Dann denke ich an Schnaps. Kühlen, heißen Schnaps. Außerdem würde ich gern im Zimmer rauchen. Scheißrauchmelder, scheiß spanische Küche, Scheißminibar. Wenn wenigstens Kameras da wären, die mich filmen könnten, wie ich in tiefster Nacht nackt vor dem Balkonfenster ans Glas atme, vor mir nichts als Straße, Strand und Meer und hinter mir, im Bett, ein Mädchen im Mondschatten. Schnarchend und braun in die weißen Laken einer sorglosen Wolke gehüllt, aus der Kopf und Arme hängen. Die Brandung greift an. Ich habe Frauen auf dem Gewissen […]

SONNTAG

SONNTAG

Es war ein später Nachmittag oder früher Abend, irgendwo dazwischen. Ich hatte gerade eine Story fertig geschrieben und wollte das feiern. Also nicht feiern, eher zelebrieren, irgendwie wertschätzen. Ich hatte noch 50€ im Dispo zur Verfügung und ging zum Weinhändler. Ich war arm, ständig arm, obwohl die Kohle ständig kam, ständig romantisch arm. Manchmal lehnte ich die Kohle sogar ab, so als ob ich welche hätte, nur, weil mir die Fresse des Redakteurs nicht passte oder das Rückgrat vom beschissene-Reportagen-schreiben schmerzte. Ich war arm, arm im Vergleich zu Menschen, die nicht arm sind, also eigentlich nicht arm und sehr zufrieden damit. Was ich hatte, investierte ich in Taxis, Zigaretten, Restaurants, Caféhäuser und Bücher. Keine Ahnung, was dann damit passierte. Der Weinhändler fragte mich, was es für eine Story wäre, die ich da fertig geschrieben hätte und empfahl mir eine schweineteure Flasche Portwein. Einen edlen Tropfen, zehn Jahre alt, so rot wie Blut, dass durch die wichtigsten Organe fließt. Man konnte nicht durchgucken. Ich nahm die Flasche, kaufte Zigaretten und drei frankierte Umschläge, in die ich dreimal meine frisch geschriebene Story steckte, um sie an drei deutsche Magazine zu schicken. Dreimal Hoffnung. Und mit dieser Hoffnung auf Geld ging ich essen. Essen in meinem Lieblingsladen. Ein geiler Schuppen, von gelangweilten Rentnern und Pensionären geführt, die Abstand von ihren Frauen brauchen. Eine Art Alt-Herren-Club, alles geile Hunde, Uniform Schnauzer, weiße Hemden, die es sich zum Ziel gemacht hat, nichts geringeres als das beste Grillhähnchen der Stadt zu verkaufen. Zum Spottpreis. Eine Flasche Hauswein, pralle Oliven, Käse, Brot, Grillhähnchen mit Antibiotika, Reis oder Pommes, Antibiotika, Pommes oder Reis, Salat und eine Tasse Kaffee für schlappe zehn Euro. Und sie haben Medaillen bekommen für ihre Hähnchen. Wie die meistens portugiesischen Restaurants erstrahlt der Laden in grässlicher Grelle, aber einer, die man sich schön trinken kann. Es ist laut und man kennt sich und ich komme oft allein her. Es gibt noch einen anderen Autor, der oft alleine herkommt. Wir sitzen uns oft gegenüber, mit aufgeschlagenen Notizbüchern an einen Tisch gegenüber, glaub mir, dass sieht unheimlich doof aus. Kürzlich habe ich mir vorgenommen im nächsten Jahr weniger Notizen zu machen. Ich mache immer Notizen, immer und überall, ob auf Tischdecken oder Hände. Sogar beim Joggen und Einkaufen mache ich Notizen. Ich frage an der Kasse oder einem Kiosk, an was auch immer ich eben vorbeirenne, nach Zettel und Stift. Er sagt, bei ihm wäre das ähnlich, weswegen ich unbedingt damit aufhören will. Er ist all das, was ich nie sein wollte. Alles, was mein Vater früher wahrscheinlich über Autoren dachte. Er ist alt, trägt billiges Aftershave, hat Geheimratsecken und das wenige Haar, was aus seinem Kopf quillt, ist fettig. Er spricht ständig, aus seinem dicken Bauch heraus, über Gefühle und schreibt Gedichte und sagt mir, ich müsse unbedingt auch Gedicht schreiben. Er spricht viel von Gott, ist  […]